Radiohead macht Streber glücklich

Pop-Theorie Wer gute Schulnoten hat, hört nicht unbedingt Aerosmith, sagt eine populäre Website. Die dümmsten Fans haben allerdings die cleveren Bands, weiß ein NME-Journalist

Nachdem eine im Internet veröffentlichte Liste von "Büchern, die dumm machen" (Books That Make You Dumb), sich enormer Beliebtheit erfreut, widmet sich nun ein Nachläufer der „Musik, die dumm macht“ (Music That Makes You Dumb). Ermittelt wird diese durch den Abgleich von Schulabschlussnoten und Lieblingsbands der Probanden – wobei wohlgemerkt keine wissenschaftlichen Methoden zum Einsatz kommen.

In einigen Fällen sind die Ergebnisse vorhersehbar. So schneiden Fans des klassischen Rock schlecht ab, genau wie Menschen, die Gospelmusik hören (offenbar ist Religiosität der absolute Maßstab für Dummheit). Andere wiederum sind schlichtweg falsch. Pop, Raggaeton, Soca, Aerosmith, Jazz, Hip Hop oder Beyonce wurden im unteren Bereich der Skala eingeordnet und gelten damit als Dummen-Musik – obgleich wohl eher die Schlussfolgerung zutrifft, dass eine Vorliebe für MTMYD (Music That Makes You Dance, also Musik, die einen zum Tanzen bringt), vielmehr ein verlässlicher Indikator für den sozialen und ethnischen Hintergrund der Hörer ist, als für deren Intelligenz.

Irreführend ist auch der Blick auf das obere Ende der Skala. Der Popmusiker, dessen Fans die besten schulischen Leistungen vorzuweisen haben, ist der schrottige Sufjan Stevens, der ausschließlich christlichen Akustikmist verzapft.

Niederschmetternde Ansichten

Auch die Counting Crows und Radiohead werden als Bands für Streber eingestuft. Ich bin mir zwar über die rein anekdotische Aussagekraft des Folgenden bewusst, möchte aber trotzdem darauf hinweisen, dass es sich bei den zwei dämlichsten Musikjournalisten, die mir je über den Weg gelaufen sind, um Riesenfans ebenjener Gruppen handelt. Einer der beiden erzählte mir einmal, dass Thom Yorke nie fröhliche Lieder schreibe - übrigens sein größtes Versagen als Künstler -, weil es einfach sei, fröhliche Songs zu machen, wohingegen Stücke, die gewollt depressive Teenager noch tiefer in die Depression treiben, „unglaublich schwer“ seien. Ich habe das sofort in meinem Notizbuch festgehalten - als das absolut Dämlichste, das irgendjemand jemals mir gegenüber behauptet hat.

Es ist nämlich meinen Erfahrungen mit Musikfans nach zu schließen so, dass die dümmsten unter ihnen ausnahmslos diejenigen sind, die anerkanntermaßen clevere Bands favorisieren.

Als ich noch ein kleiner Junge war, standen die Kids, die mit sechzehn Jahren die Schule verließen, alle auf Slade und Black Sabbath. Diejenigen, die weitermachten und hinterher studierten, standen auf Yes und Genesis, womit bewiesen wäre, dass sie zumindest in einer Hinsicht nicht halb so schlau waren, wie die Prollos. Als ich das Alter dann selbst erreicht hatte, standen alle auf Punkrock, vorzugsweise das richtig schlaue Doofkopp-Zeug wie The Damned oder die Ramones. Der Streberrock war also eine Popgeneration lang tot.


If the kids are united...

Zu der Zeit, in der ich begann, für den NME zu schreiben, kehrten die Intelligenzbolzen dann auf umso breiterer Front zurück. Von den versammelten Schreiberlingen war kein Einziger in der Lage, Nietzsche nicht mindestens einmal alle 750 Worte zu erwähnen – egal bei welchem Thema. Ein Typ ging sogar so weit, eine Gruppe Südlondoner Skinheads, die auf einem Hausdach zu Platten von Sham 69 feierten, mit der Schlaumeier-Industrialband Test Department zu vergleichen, die auf die Trümmer der zunehmend postindustriellen Gesellschaft einschlugen und sich, wie die Skinheads auch, in bewusst karikierender Weise „proletarisch“ kleideten. Später dienten Test Department sowohl Stomp als auch der Blue Man Group als Inspiration, was den Bandmitgliedern das postmoderne Herz gebrochen haben muss. Vielleicht aber auch nicht, das kann man bei Postmodernisten ja nie so genau sagen.

In den folgenden Jahren machten sich viele dieser jungen Intellektuellen ihren Grips kaputt bei dem Versuch über die als „Rave“ bekannte, damals sehr populäre Spielart der Disco-Musik zu schreiben. Traurigerweise begriffen sie aber trotz (möglicherweise aber auch aufgrund) ihrer Cleverness nie, dass es nun wirklich nichts Schlaues über eine Musik zu sagen gibt, die – Achtung! – nur gemacht ist, Leute zum Zucken zu bringen, die Drogen genommen haben, die sie dazu bringen, zu einer Musik zucken zu wollen, die gemacht wurde, Leute, die auf besagten Drogen sind, zum Zucken zu bringen. Die Folge war, dass ihre Gehirne - aufgeweicht durch Ketamin und Amphetamine – ihnen buchstäblich aus den Ohren tröpfelten und sie es nur noch zu einer Existenz als Feature-Autoren bei Magazinen wie Mojo oder Word brachten.

Gibt es den Streber-Rock dieser Tage noch und geht es ihm gut? Lebt er heute im Gewand von Math-Rock und Progressive Punk? Wer weiß. Vielleicht wissen es ja die Leser.

Die besten Blätter für den Herbst

Lesen Sie den Freitag und den neuen Roman "Eigentum" von Wolf Haas

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Steven Wells, The Guardian | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Wissen, wie sich die Welt verändert. Abonnieren Sie den Freitag jetzt zum Probepreis und erhalten Sie den Roman “Eigentum” von Bestseller-Autor Wolf Haas als Geschenk dazu.

Gedruckt

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt sichern

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden