Regeneratives Rechnen

Bioinformatik Computer stoßen an ihre technischen Grenzen. Liegt die Zukunft der Datenverarbeitung in biologischen Überlebensstrategien? Ein Gespräch mit Computerwissenschaftler Dennis Shasha

Roboter auf dem Mars, die sich selbst reparieren können und aus DNA gebaute Computer: Das ist keine Science Fiction, sondern die Arbeit führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der Computertechnologie. Dennis Shasha, 55, ist Professor für Computerwissenschaften am Courant Institute of Mathematical Sciences der New York University und mit Cathy Lazere zusammen Autor des Buches "Natural Computing: DNA, Quantum Bits and the Future of Smart Machines". Darin geben die Autoren einen Überblick über so unterschiedliche Forschungsbereiche wie Maschinenbau und Medizin, bei denen sie für die Zukunft einen gemeinsamen Trend ausmachen: Dass die Zukunft der Informatik in einer Verbindung mit der Natur liegt.

The Observer: Was können Computer von der Biologie lernen?

Dennis Shasha: Wenn man sich die Geschichte der beiden Bereiche ansieht, erstaunt es, dass sie zusammenkommen sollten. Die Verarbeitung von Daten ist eigentlich aus der Physik und aus dieser Labor-Mentalität heraus entstanden und vieles auf dem Gebiet ist auch heute noch so. Der Versuch, alles zu kontrollieren, ganz genau zu sein und sicher zu gehen, dass auch ja nichts schief gehen kann, ist das schon etwas, das sich von dem Durcheinander in der Natur sehr unterscheidet.

Aber dadurch, dass die Computer mobiler und autonomer werden – entweder können sie sich die von ihnen benötigte Energie selbst aus ihrer Umwelt holen oder sie verfügen über eine starke Batterie – ändern sich ihre Probleme. Diese sind jetzt nicht mehr algorithmischer Natur (und können in Form eines „Rezeptes“ ausgedrückt werden, in dem man durch eine Abfolge bestimmter Schritte zu einer Antwort gelangt), sondern können z. B. die Frage nach dem eigenen Überleben aufwerfen, wodurch dann auf einmal alle Überlebensmechanismen der organischen Natur relevant werden.

Und Roboter, die sich selbst reparieren, wären ein Beispiel hierfür?

In der Geschichte der Raumfahrt war es einfacher, ein Computerprogramm zu entwickeln, das ein Raumschiff zum Mars steuert als einen Roboter zu bauen, der sich in dem Terrain dort zurechtfinden kann, wie etwa eine Ziege dies könnte.

Ein Professor für Robotertechnik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) namens Rodney Brooks stieß auf ein Problem mit dem sogenannten monarch model: Sensoren versorgen eine Art höherer Intelligenz mit Daten, die daraufhin ein Modell der Welt entwirft, bevor sie eine Reihe von Entscheidungen an eine Reihe von Bedienungselementen schickt (etwa die Räder). Aber es ist sehr schwer, ein Modell der realen Welt zu entwerfen. Brooks verfiel daher darauf, dass die reale Welt selbst ihr bestes Modell ist und kam auf den Gedanken, dass es viel besser sein könnte, Einheiten von sehr geringer Intelligenz zu haben, die zusammenarbeiten können. Die eine Intelligenz könnte sagen: „Stoß mit nichts zusammen“ – eine Aussage von grundlegender Bedeutung, wenn man ein Unglück verhindern will. Eine andere hingegen könnte sagen: „Erforsche so viel wie möglich.“ Und wenn diese Maxime mit der ersten in Konflikt gerät, soll immer die erste obsiegen. Und so weiter.

Infolgedessen war Brooks in den Achtzigern in der Lage, äußerst einfache Roboter zu bauen, die nicht viel Rechenleistung brauchten, die aber zu Dingen in der Lage waren, die andere nicht vermochten. Er schlug vor, man solle lieber viele kleine Roboter auf den Mars schicken und sie dort einfach drauflos schicken anstatt kontrollintensive Roboter einzusetzen, die sehr teuer sind, leicht kaputt gehen können und auf die Entfernung überdies sehr schwer zu steuern wären. Die Idee erwies sich als sehr einflussreich und andere Wissenschaftler denken heute darüber nach, wie Roboter quasi beiläufig und fast schon nach Art der Evolution lernen könnten, sich mithilfe von genetischen Algorithmen selbst zu reparieren.

Wenn wir von Computern reden, denken wir an elektronische Geräte wie Laptops. Welche Rolle kann die Natur hier spielen?

Mein Kollege, der Chemiker Ned Seeman, erfand in den Neunzigern eine völlig neue Methode der Kontrolle, als er herausfand, dass er die DNA dazu bringen konnte, sich so anzuordnen, dass die Anordnung einer Skulptur ähnelt. DNA besteht aus den Desoxyribonukleinsäuren A, C, G und T, von denen sich A mit T und C mit G verbindet. Wenn es einem gelingt, einzelne DNA-Stränge auf die korrekte Art und Weise zu erzeugen, kann man sie dazu bringen, sich in allen möglichen Formen wie der von Sternen oder Zwölfflächern anzuordnen.

Vor kurzem haben Ned und andere Roboter aus DNA gebaut. Diese sind zwar winzig klein, es handelt sich aber um Roboter in dem Sinne, dass man ihre Bewegungen steuern kann. Es gibt Millionen von ihnen, so dass es vorstellbar ist, dass sie die DNA bestimmter Bakterien entdecken können und jeder von ihnen ein Signal gibt, das sagt: „Hier sind diese Bakterien und man muss diese Antibiotika anwenden“ oder sie sogar selbst mithilfe anderer Enzyme bekämpfen können. Das alles ist noch Zukunftsmusik, aber diese Zukunft ist nicht mehr sehr weit entfernt. Das Prinzip ist, wie ein Rechner zu denken und Befehle zu vergeben. Computerwissenschaftler sind oft auf einer Art von Machttrip und wollen dem Computer dauernd sagen, er solle dies oder jenes machen. In diesem Fall denken Biologen wie Computer und bringen die DNA dazu, zuerst dieses, dann jenes und dann wieder etwas anderes zu tun. Die Art des Denkens ist sehr ähnlich.

Es gibt schon seit geraumer Zeit Anhänger dieser Verbindung von Biologie und Informatik, aber erst jetzt beginnen sie, sich auf bestimmten Feldern zusammenzutun.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Caspar Llewllyn Smith | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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