Meetings Über 90 Prozent der Sitzungen in Unternehmen sind überflüssig. Das hatten Sie sich auch schon lange gedacht? Dann versuchen Sie es doch mal mit Meditation...
Stellen sie sich vor, es ist ein strahlend schöner Sommertag, Sie aber müssen den ganzen Nachmittag in einem düsteren Konferenzraum mit herabgelassenen Jalousien zubringen, aus dem alles aussperrt bleibt, was an das Leben und die Freiheit erinnert. Wenn Ihre Chefs könnten, würden sie auch noch die Vögel vergiften, die draußen vor dem Fenster ihr Liedchen trällern. Während der kommenden vier Stunden – auch wenn es Ihnen viel länger vorkommen wird – werden Sie mit ein paar Ihrer Arbeitskollegen versuchen, mittels Brainstorming irgendein verzwicktes Problem ihres Unternehmens zu lösen, nach dem nächsten Paradigmenwechsel suchen und eine weiße Plastiktafel nach der anderen mit vollkommen unverständlichen Ablaufdi
fdiagrammen vollmalen. „Der Mensch ist frei geboren und überall sitzt er in einem Meeting fest“, so könnte man das Problem frei nach Rousseau auf den Punkt bringen.Dann aber erscheint ein Bote und ruft Ihnen zu: „Nehmt euch den Rest des Tages frei! Ein Wissenschaftler, von dem ihr noch nie zuvor gehört habt, hat herausgefunden, dass Sitzungen die reine Zeitverschwendung sind!“ Das wird natürlich niemals geschehen, was aber nicht heißt, dass unser imaginierter Bote seine Botschaft vollkommen aus der Luft gegriffen hätte. Wissenschaftler der Texas A University (die gibt es wirklich und sie wird auch nicht von einer Plattenfirma gesponsort) haben vor kurzem nachgewiesen, dass die Mitglieder einer Gruppe bei einem Brainstorming sich nicht gegenseitig mit ihrer Kreativität inspirieren, sondern weniger Ideen zutage fördern, als wenn jeder für sich alleine arbeitet. „Brainstorming-Meetings sind nutzlos“, fasste eine Zeitung die Untersuchung zusammen, was man über die Studie, die Nicholas Kohn und Steven Smith im Journal Applied Cognitive Psychology veröffentlicht haben, hingegen keineswegs behaupten kann, denn sie stellt ungemein nützliche Ausreden bereit, um sich um das nächste Laber-Treffen zu drücken. Das „Produktivitätsdefizit“, das Kohn und Smith ausgemacht haben, rührt teilweise vom Phänomen des „social loafing“, des „sozialen Faulenzens“ her: Man schiebt eine ruhige Kugel und überlässt die Arbeit den Kollegen.Meetings als MachtdemonstrationDies ist aber nur für Flipchart-Hersteller und Meeting-Mediatoren (das ist offensichtlich ein richtiger Beruf) eine schlechte Nachricht. Der Rest von uns sollte sich über diese Erkenntnis freuen. Sitzungen „werden oft lediglich aus dem Grund einberufen, weil sie einberufen werden können“, schreibt ein amerikanischer Blogger namens Jakal (dt. Schakal), der in seinem „Überlebensguide für die Firma“ Gift und Galle spuckt angesichts all der Stunden, die im Namen von Entscheidungsfindung und der Informationserhebung verschwendet werden. „Ein Mensch, dem es obliegt, eine Sitzung einzuberufen, tut dies oft nur um eben diese Macht unter Beweis zu stellen“, so Jakal. „Im Allgemeinen sind solche Sitzungen eine komplette Zeitverschwendung. Sie werden schlecht geleitet, haben keine klar formulierten Ziele, keine wirkliche Agenda und viele Leute reden nur um der Bestätigung willen. Meiner bescheidenen Meinung nach grenzen in der heutigen Unternehmenswelt 90 Prozent der einberufenen Meetings an Machtmissbrauch.“Dann gibt es noch jene Manager, die eine Sitzung einberufen, um Informationen weiterzugeben, die sie genauso gut in einer E-Mail unters Volk bringen könnten oder um Entscheidungen abnicken zu lassen, die ohnehin schon vorher feststanden. Keine wichtige Entscheidung wurde jemals während eines Meetings getroffen. Ein leitender Manager räumte ein, dass er, wenn er eine Sitzung leiten muss, stets dafür sorgt, dass die wichtigen Entscheidungen schon im Vorfeld feststehen und jemanden damit beauftragt, die Argumente, die für diese Entscheidung sprechen, fürs Protokoll zu wiederholen.Nur wer öfters Meetings einberuft als selbst einbestellt zu werden, kann allen Ernstes glauben, dass es um das Meeting zum Besten steht. Der Autor und Programmierer Paul Graham (Hackers Painters: Big Ideas for the Computer Age) äußert auf seiner Webseite die Ansicht, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen Managern und denen gibt, die er als „Macher“ bezeichnet: „Manager und Macher arbeiten nach unterschiedlichen Zeitplänen. Ein Manager-Zeitplan ist etwas für die Vorstandsetage. Er wird durch den klassischen Terminkalender verkörpert, in dem jeder Tag in Stundenintervalle eingeteilt ist. Wenn nötig, lassen sich darin ein paar Stunden am Stück für eine Aufgabe reservieren, aber eigentlich macht ein Manager jede Stunde automatisch etwas anderes. Und so sind Meetings für den Manager lediglich eine Frage der Organisation. Er muss einfach nur einen freien Termin finden, ihn fest einplanen und fertig ... Aber die Macher, zu denen ich auch Autoren und Programmierer zähle, folgen einem anderen Zeitplan. Sie teilen sich ihren Tag in ganz andere Intervalle ein – ein halber Tag ist meistens das Minimum. Innerhalb einer Stunde kann man weder einen Text schreiben noch etwas programmieren. Eine Stunde reicht gerade mal, um richtig anzufangen. Wer nach dem Zeitplan eines Machers arbeitet, für den sind Meetings eine Katastrophe. Ein einziges Meeting kann einen ganzen Nachmittag kaputt machen.“Dominante Manager-ZeitpläneDie beiden Zeitpläne funktionieren separat ganz gut, meint Graham: „Probleme entstehen dann, wenn sie aufeinandertreffen. Und da die meisten Leute, die das Sagen haben, nach dem Manager-Zeitplan arbeiten, können sie allen anderen ihren Rhythmus aufzwingen, wenn sie wollen.“Diese Einsicht ist faszinierend, und vermutlich würden mehr von uns auf solche Ideen kommen, wenn unser Gehirn nicht von all den Meetings so ausgebrannt wäre, die von vornherein nie hätten einberufen werden sollen. John Linwood von der BBC beschwert sich: „Ich befinde mich oft in der Situation, dass ich mich vor einer ganzen Reihe von Leuten für eine Entscheidung rechtfertigen muss, obwohl ich sowohl die Qualifikation als auch die Befugnis dazu habe sie alleine zu treffen. Doch sie haben das Gefühl, sie hätten daran beteiligt sein sollen.“ Im Niederländischen gibt es ein Wort dafür: „Vergaderziekte“, was so viel wie „Meeting-Überdruss“ bedeutet.Laut Unternehmensberater Steve Kaye verschwenden Firmen im Durchschnitt 20 Prozent ihrer Gehaltskosten auf schlechte Meetings. „Im Prinzip kommt nicht mehr dabei heraus, als wenn sie ihren Mitarbeitern sagen würden, setzt euch einen Tag in der Woche da draußen auf den Randstein.“Ausweg MeditationEiner der wenigen Chefs, die das Leid der Untergebenen teilen, ist der Videospiel-Designer Will Wright, der auf den genialen Einfall kam, für seine Anwesenheit bei Meetings Geld zu verlangen. „Danach haben sie zweimal darüber nachgedacht, bevor sie eine Sitzung einberiefen“, erzählt er. „Obwohl ich nur einen Dollar verlangt habe.“ Vielleicht sollte diese Idee Schule machen, wie auch der Vorschlag, Spam zu reduzieren, indem für jede verschickte E-Mail eine kleine Geldsumme fällig wird. Für verantwortungsbewusste Nutzer der Datenautobahnen und der Konferenzräume würde es kaum einen Unterschied machen – aber es würde diejenigen treffen, deren Missbrauch das Leben für alle anderen so unerträglich macht.Wie sollen wir nun aber die tausend Meetings, die noch vor uns liegen, ertragen? Die australische Webseite thedailymind.com rät zu „fernöstlichen Weisheiten“: Wir sollen Meetings als eine Gelegenheit begreifen, um in Ruhe zu meditieren. Allerdings unter der perversen Auflage, unsere Aufmerksamkeit nicht nach innen zu richten, sondern auf das, was da draußen so schleppend vor sich hinläuft. „Das Ziel ist, dass Sie Ihre Gedanken voll und ganz auf die Aufgabe konzentrieren, die vor ihnen liegt. Das ist selbst im besten Fall nicht einfach, aber umso schwieriger, wenn das Thema, das verhandelt wird, langweilig und trocken ist. Versuchen Sie jedoch ganz genau auf alles zu hören, was die Anwesenden sagen. Lassen Sie Ihre Gedanken nicht zu anderen Themen abschweifen, wie etwa den Kleidern ihrer Kollegen, deren gelbe Zähne oder die Frage, was Sie zu Mittag essen wollen. Sobald Sie die ersten Fortschritte machen, werden ihnen die langweiligen Themen viel weniger öde vorkommen.“Und falls man das für keine attraktive Aussicht hält? „Schalten Sie ab“, empfiehlt Blogger Jakal. „Lassen Sie sich tief in die hintersten Regionen Ihres Hirns fallen und kappen sie alle Verbindungen zur Realität. Es reicht vollkommen aus, in einem Meeting still zu sitzen und zu beobachten. Meine Empfehlung: Denken Sie an ihre Flüssigkeitszufuhr – trinken Sie ausreichend.“
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