So lautet zumindest die Diagnose von Terry Eagleton. Der Atheismus hat ein Problem. Das 20. Jahrhundert war für ihn eine echte Erfolgsgeschichte. Den Kirchen liefen ihre Gemeinden davon und die Theologie wurde von den Naturwissenschaften auf die Plätze verwiesen. Doch dann kam der 11. September 2001 und alles änderte sich. Der traditionelle Kirchgang mag seinen steten Niedergang fortgesetzt haben, der beißende Skeptizismus eines Richard Dawkins oder Christopher Hitchens mag bei der bücherkaufenden Klasse weiter-hin Anklang finden. In anderen Teilen der Welt ist die Religion jedoch aus einemlangen Dämmerschlaf erwacht. Unter den Armen grassieren zügellose Formen der Anbetung – christliche, muslimische oder auch andere. Religiosität ist viral geworden.
Das zumindest glaubt Eagleton, und er findet, wir hätten es kommen sehen müssen. Eagleton ist ein gefeierter Fachmann für weitschweifende, intellektuelle Kommentare. Unter seinen über 40 Büchern sind mehrere Bestseller, seine streitbaren Zeitungsartikel sind Legion. Er scheint sämtliche Philosophen und Theoretiker gelesen zu haben, die unsereinem zu furchteinflößend sind. Er hat ein Händchen dafür, sie mittels wohlgeformter Epigramme und Stabreime geschickt zurechtzustutzen. Seine Prosa ist voll von Widersprüchen, Beleidigungen und Schenkelklopfern, und am Ende sind wir jedes Mal aufgefordert, die „Ironie“ auszukosten, wenn diese klugen Köpfe all ihr Charisma verlieren, weil ihnen die Wahrheit aus den Händen gleitet.
Breitseite gegen Atheisten
In seinem neuen Werk Culture and the Death of God, das gerade auf Englisch erschienen ist, setzt er all seine kolossalen Fertigkeiten ein, um zu erklären, weshalb die großen Erwartungen einer Generation von säkularen Materialisten mit den Twin Towers in sich zusammengebrochen sind.
Eagleton machte in den siebziger Jahren Karriere. Er war Dozent in Oxford und verstand sich als revolutionärer Sozialist. Er schaffte das Kunststück, sich als unkompromittierbarer Theoretiker und unprätentiöser Linker zu profilieren und gleichzeitig die universitäre Karriereleiter emporzuklettern. In jüngster Zeit wittern seine Anhänger jedoch eine gewisse Abtrünnigkeit: Eagleton mag zwar immer noch ein loyaler Linker sein, aber sein kühner Materialismus scheint ihm abhanden zu kommen. Wie sonst soll man seine jüngsten Breitseiten gegen die Neuen Atheisten verstehen, denen er vorwirft, sie würden das echte Christentum falsch auslegen?
Culture and the Death of God wird die alten Eagletonianer nicht beruhigen. Das Buch nimmt uns auf eine schnelle Tour durch die intellektuellen Schlachtfelder Europas der vergangenen 300 Jahre mit, dorthin also, wo der landläufigen Geschichtsüberlieferung zufolge die tapferen Soldaten des Fortschritts und der Rationalität wieder und wieder über einen reaktionären Mob aus religiösen Eiferern triumphiert haben. Diese Siege jedoch waren laut Eagleton bestenfalls zweifelhaft und so war es nur eine Frage der Zeit, bis die „List der Geschichte“ sie wieder in ihr Gegenteil verkehrte. Zuerst waren da die sagenumwobenen Philosophen der Aufklärung, die die Anklage gegen die Niederträchtigkeit des Klerus führten und gegen eine Theologie, die sich mit der Frage befasste, wie viele Engel denn nun auf eine Nadelspitze passen. Keiner von ihnen konnte sich jedoch eine Welt ohne Gott vorstellen auch wenn sie ihn lieber in Gestalt der Vernunft oder Wissenschaft anbeteten. Und sollte die Religion doch einen gewissen Schaden genommen haben, so wurde er umgehend von den deutschen Idealisten mit ihrer verschwommenen Vorstellung vom Geist repariert und von ihren Nachfolgern, den Romantikern, die Gott als Natur oder Kultur neu erfanden. Man sollte meinen, Marx habe bei der Göttervernichtung einen besseren Job gemacht, aber bei genauerer Untersuchung stellt sich die kommunistische Grundannahme als Surrogat für das Himmelreich heraus. Und der arme Nietzsche hat, da konnte er noch so tollkühn toben, am Ende Christus in Form des Übermenschen von den Toten erweckt. Die Modernisten des 20. Jahrhunderts tappten in die gleiche Falle, als sie die Kunst vergebens darum anflehten, „die Lücke zu schließen, wo Gott einst war“. Und sollte es ein paar postmodernen Freaks tatsächlich gelungen sein, sich in jüngster Zeit von der Religion loszusagen, dann um den Preis jeglicher Hoffnung und Bedeutung, den wohl kaum ein anderer Mensch zu zahlen bereit ist. „Den Allmächtigen“, schlussfolgert Eagleton, „bringt man nicht so einfach um die Ecke“. Gerüchte seines Todes seien außerordentlich verfrüht gewesen: Er ist „zurück auf der Agenda“ und „die Ironie ist kaum zu überschätzen“.
Schamloses Recycling
Eagleton nimmt jeden großen Gedanken einmal kurz in die Mangel, aber er legt großen Wert darauf, nichts besonders ernst zu nehmen. Er war nie ein Held im Kampf gegen Klischees, er wiederholt sich schamlos und recycelt ganze Passagen. Anstatt Philosophen als Individuen zu betrachten, die bemüht sind, Klarheit in konzeptuelle Probleme zu bringen, die sie umtreiben, staffiert er sie als Figuren für eine Story von der Stange aus: Über die Aufklärung, die den Idealismus gebar, der die Romantik hervorbrachte, die wiederum die Moderne gebar, welche die Postmoderne hervorbrachte. Wenn er über die Idealisten und ihre „hochtrabende Verachtung alltäglicher Gewohnheiten“ spottet oder auch über die „hochtrabenden liberalen Plattitüden“ eines Salman Rushdie, dann klingt er eher wie ein halbstarker Rowdy als wie ein ernst zu nehmender Umstürzler. Und wenn er Kant, Burke, Condorcet, Schiller, Marx, Nietzsche und Freud für ihre „tollen“ Bücher lobt oder Alain Badiou als „den vielleicht bedeutendsten Philospophen unserer Zeit“ bezeichnet, dann scheint er mit der Stimme metaphysischen Selbstwusstseins zu sprechen, anstatt mit der Anerkennung, die wahre Größe gebieten würde.
Terry Eagleton ist bisweilen überhebliche Ichbezogenheit vorgeworfen worden. Nichts könnte weiter entfernt von der Wahrheit sein. Sein eigentliches Alleinstellungsmerkmal ist eine irritierende Zurückhaltung. Er ist wie ein Marionettenspieler, der eine gute Show auf die Bühne bringt, aber sich weigert, selbst vor sein Publikum zu treten. Seine Bücher wären andere, wäre er bereit, uns wissen zu lassen, welche Fragen ihn nachts wirklich wach halten und ob er im Lauf der Jahre mehr Klarheit über sie gewonnen hat.
Debüt vor 50 Jahren
Er hätte auch erwähnen können, dass Culture and the Death of God mit dem 50. Jahrestag seines Debüts als öffentlicher Intellektueller zusammenfällt. Terence Eagleton zählte damals zu den Köpfen einer Gruppe radikaler Katholiken, die im Frühjahr 1964 ein schwungvolles, aber kurzlebiges Magazin namens Slant herausbrachten. In einer Serie von mitreißenden Artikeln argumentierte er damals, Christen würden dem Wagemut, den ihr Glauben erfordert, nicht treu sein, solange sie sich nicht dem revolutionären Sozialismus verschrieben. Umgekehrt sei Marx’ Materialismus so erschöpft, dass nur das Christentum ihn retten könne. „Das Christentum“, erklärte er, „ ist ein ex-tremistischer Glaube, extrem und kompromisslos in seiner Toleranz und Liebe“. Christen müssten sich verpflichten, „als potentielle Märtyrer zu leben“, die gegen die „kapitalistischen Banausen“ kämpfen – für eine Gesellschaft, in der „sich der Mystische Leib in der Produktionsstätte manifestiert“ und „Christus in Taten anstatt in Worten leben kann“. Eagletons Analyse mag etwas verschroben gewesen sein, aber wenigstens trug er sie mit einer entwaffnenden Arglosigkeit vor, die bald schon ausweichender Oberflächlichkeit wich. Vielleicht sollte er 50 Jahre später versuchen, mit seinem freimütigen und verletzlichen Ich von damals wieder Kontakt aufzunehmen. Würde der echte Terry Eagleton bitte aufstehen?
Culture and the Death of God Terry Eagleton Yale University Press 2014, 264 S., 24,70 €
Jonathan Rée ist ein britischer Philosoph, Historiker und Publizist
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