Rishi Sunak: Rückkehr zur Austerität?

Großbritannien Nur 50 Tage war Liz Truss im Amt. Doch auch wenn ihr Nachfolger Rishi Sunak sich länger halten wird – die tiefgreifenden Probleme der britischen Gesellschaft wird auch er nicht lösen. Der Grund: die Ideologie der Tory-Partei
Ausgabe 43/2022
Wie lange wird er durchhalten?
Wie lange wird er durchhalten?

Foto: Imago/Zuma Wire

Fast ein Drittel aller britischen Premierminister der Nachkriegszeit war in den letzten sechs Jahren im Amt, und alle gehörten der gleichen Partei an. Doch die Ursache dieser politischen Instabilität ist nicht nur Tory-Psychodrama, sondern vielmehr ein Wirtschaftsmodell, das dabei versagt, den Lebensstandard der Menschen zu heben.

David Camerons politische Karriere wurde vom Brexit überschattet, bei dem der Unmut über stagnierende Einkommen eine Schlüsselrolle spielte: Eine Studie hat seitdem festgestellt, dass es „die Unzufriedenheit über die Austeritätspolitik“ war, die der Austrittskampagne die Mehrheit bescherte. Als Theresa May bei den vorgezogenen Neuwahlen 2017 nur knapp einer Schlappe entging, lag das vor allem an der Wut vieler Wähler über deren angespannte finanzielle Lage – und an dem Glauben, dass Labour nicht in der Lage sei, etwas dagegen zu unternehmen. Auch Boris Johnsons Fall lag weniger an seinen Skandalen als an der Wut über eine eskalierende Lebenshaltungskostenkrise, was sich auf die Umfragewerte der Tories auswirkte und damit auf die Entscheidung der Fraktion, ihn abzusägen.

Schon vor dem jüngsten Anstieg der Inflationsrate und Liz Truss’ Manövern, die britische Wirtschaft durch eine Reihe marktradikaler Maßnahmen zu ruinieren, deuteten die Zahlen darauf hin, dass die Reallöhne im Jahr 2026 niedriger liegen würden als 2008. Nach der Finanzkrise und der darauffolgenden Tory-Austeritätspolitik sprach man von einem verlorenen Jahrzehnt für die Lebensstandards der Menschen. In Wahrheit haben wir es mit einer verlorenen Generation zu tun.

Rishi steht rechts von Boris

Was bedeutet da der Aufstieg von Rishi Sunak, dem neuen Premierminister? Er gilt als gemäßigter Tory, aber das stimmt nicht: Sunak steht in der Wirtschaftspolitik deutlich rechts von Boris Johnson. Sunaks Anhänger waren mit Johnson vor allem deswegen unzufrieden, weil dieser eine Neuauflage der Austerität ablehnte und es ihm an echtem ideologischen Engagement für ein Schrumpfen des Staates fehlte. Sunak hingegen wird genüsslich den Sparhammer schwingen, angefangen bei Reallohnkürzungen für die systemrelevanten Beschäftigten, bis hin zu den zentralen Bereichen der Daseinsvorsorge, auf die eine gesunde Gesellschaft angewiesen ist. Sunak muss glauben, dass ihm das Schicksal seiner vier Vorgänger erspart bleibt, auch wenn er es höchstwahrscheinlich mit einem noch viel dramatischeren Einbruch des Lebensstandards zu tun bekommen wird als sie alle.

Sunak wird wahrscheinlich der fünfte Tory-Premierminister sein, dessen Karriere mit einem demütigenden Scheitern endet: in seinem Fall eine Wahlniederlage gegen die Labour-Partei. Viele von Parteichef Keir Starmers Anhängern glauben, dass damit auch das Zeitalter des Chaos enden wird. Sie sind überzeugt, dass die Turbulenzen seit 2016 allein an dem infantilen ideologischen Furor der Tories lagen: Kehrt Labour an die Macht zurück, glauben sie, wird ein „Pragmatiker“ das Sagen haben, Stabilität wird einkehren und die Politik wieder langweilig werden.

Doch sieht man sich die Rhetorik der derzeitigen Labour-Partei an, ist viel von vernünftiger Finanzpolitik, „harten Entscheidungen“ und einem „ausgeglichenen Haushalt“ die Rede. Es ist deshalb zu befürchten, dass auch Labour von der Austeritätspolitik nicht lassen wird. Doch sollte das der Fall sein, werden auch die politischen Turbulenzen weitergehen. Mit der Amtszeit von Tony Blair und New Labour wäre das nicht zu vergleichen, schließlich regierte der in einer langen Periode relativen sozialen Friedens. Kommt die Labour-Partei aber in einer Zeit akuter sozialer Krisen an die Macht und bietet sie dann keine transformative Politik zu deren Bewältigung an – sondern setzt sogar noch auf Sparpolitik –, dann ist der Tumult vorprogrammiert.

Nur werden manche mit Margaret Thatcher sagen: „Es gibt keine Alternative.“ Eine Regierung Starmer, die schuldenfinanzierte öffentliche Ausgaben plant, werde das gleiche Schicksal erleiden wie Liz Truss. Daraus folgt aber nur, dass Labour die Steuern für die Reichen drastisch erhöhen muss, um eine Ausweitung der Staatsausgaben zu finanzieren.

Die Labour-Partei muss ihren Spielraum für ehrgeizige Vorschläge nutzen. Es gibt bereits ein fertiges Konzept in der Schublade, das Steuerexperten im Jahr 2020 entwickelt haben: eine Vermögenssteuer für Millionäre, die fünf Jahre lang mit einem Prozent pro Jahr erhoben wird und mehr als 260 Milliarden Pfund einbringen würde. Sollte die Labour-Partei in zwei Jahren dem Tory-Wirrwarr endlich ein Ende bereiten, wird sie vor der Wahl stehen: entweder zur Sparpolitik greifen und damit Kaufkraftverluste und weiteres Chaos bewirken oder den Staatshaushalt schuldenfinanziert erhöhen und dann von den Märkten abgestraft werden. Oder aber sie geht die zahlreichen sozialen Notlagen endlich mit einer grundlegend anderen Politik an, finanziert durch Steuererhöhungen für diejenigen, die von diesen 14 trostlosen Jahren profitiert haben. Dazu gibt es wirklich keine Alternative.

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Geschrieben von

Owen Jones | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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