Japan verfügt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs über eine betont pazifistische Verfassung. Wenn, dann wurde seine Armee zumeist nur bei Peacekeeping-Operationen unter UN-Schirmherrschaft zu Auslandseinsätzen geschickt. Dabei ging es so gut wie nie an Orte, an denen das Leben japanischer Soldaten über Gebühr in Gefahr geraten konnte. Im Februar jedoch wird nun ein Zerstörer Kurs auf den Mittleren Osten nehmen. Zu einer Aufklärungsmission soll das Kriegsschiff im Golf von Oman, im nördlichen Teil der Arabischen See und in der Straße von Bab al-Mandab patrouillieren. Ein Seegebiet, in dem es im Vorjahr zu Angriffen auf Öltanker, nicht zuletzt einen japanischen, kam.
Die Entsendung hat ihre Tücken. 90 Prozent der japanischen Öleinfuhren stammen aus dem Mittleren Osten, vier Fünftel davon werden durch die Straße von Hormus gelotst, wo Tanker mittlerweile durch eine von den USA geführte Marinekoalition eskortiert werden. Das japanische Schiff wird nicht an diesem entscheidenden Flaschenhals kreuzen, sich aber in der Nähe aufhalten. Wenn es zu Kampfhandlungen kommt, was nach der Ermordung des iranischen Generals Qasem Soleimani wahrscheinlicher geworden ist, könnte der Auftrag sehr schnell auf bewaffneten Beistand für besagte Koalition lauten.
Ein Affront gegen Teheran
Diese Aussicht auf eine schleichende Eskalation ist genau das, was die japanische Öffentlichkeit beunruhigt. Laut Meinungsumfragen vom Jahresende lehnen 52 Prozent die Entsendung ab, während sie nur 34 Prozent befürworten. Premier Abe wird darauf hoffen, dass sein Zerstörer nicht zum Eingreifen gezwungen wird. Nichts wäre besser geeignet, den Widerstand gegen die von ihm geplante Verfassungsrevision anzufachen, die mehr Militär-Engagement im Ausland ermöglichen soll. Tote japanische Soldaten würden dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zunichtemachen. Ohnehin ist in der Bevölkerung Unbehagen darüber zu spüren, dass Japan auf Geheiß Washingtons in einen Konflikt hineingezogen wird, der sich aus den 2015 verabschiedeten amerikanisch-japanischen Verteidigungsrichtlinien ergibt. Sie sehen vor, dass Japan die USA gegebenenfalls massiver unterstützen muss, als das vordem der Fall war.
Insofern ist die Mittelost-Mission für Shinzō Abe eine Gratwanderung, denn sein Land unterhält seit langem gute Beziehungen zu Teheran. Eine Woche bevor die Marine bekannt gab, ihr Schiff entsenden zu wollen, begrüßte er Irans Präsident Hassan Rohani in Tokio. Abe wollte den Gast davon überzeugen, trotz Donald Trumps Rückzug aus dem Atomabkommen weiterhin auf eigene Kernwaffen zu verzichten. Schließlich hält man den Vertrag in Tokio für die beste Option und lehnt Trumps Ausstieg insgeheim ab, wie das fast alle Verbündeten und strategischen Partner der USA tun.
Der US-Präsident ist in Japan alles andere als wohlgelitten. Sein ungebührliches Auftreten und sein rücksichtsloses Verhalten gelten als permanenter Affront, desgleichen die sprunghafte Diplomatie seiner Administration. Washingtons Forderung, Japan solle mehr für den Unterhalt der US-Stützpunkte im eigenen Land bezahlen, hat die Regierung Abe in der Überzeugung bestärkt, sich stärker engagieren zu müssen, um die USA militärisch in der Region zu halten. Umfangreiche Rüstungskäufe bei US-Herstellern und ein Handelsabkommen, das den US-Agrarexport nach Japan ankurbeln soll, spielen für das Taktieren gegenüber den Amerikanern eine entscheidende Rolle. Sie dürften vor dem Hintergrund eines 60-Milliarden-Dollar-Handelsdefizits der USA nur der Anfang sein.
So viel ist unstrittig – Japans minimalistisches Engagement mit einem Schiff für den Mittleren Osten reicht der US-Regierung nicht, genügt aber, um Teheran zu verärgern, was sich für die japanische Öffentlichkeit als entscheidend erweisen könnte. Die ist wegen Abes Absicht besorgt, Artikel 9 der Verfassung zu revidieren, weil der den Streitkräften des Landes Beschränkungen auferlegt. Jahrzehntelang hat Abes konservative Liberaldemokratische Partei (LDP) daran festgehalten, dass die eigene Armee nur der Selbstverteidigung dienen darf. 2015 jedoch verabschiedete die Regierung ein Gesetz, das dem Land ein Recht auf kollektive Selbstverteidigung einräumt. Das schließt ein, sich an der Seite der USA und anderer Partner an Kriegshandlungen zu beteiligen und Soldaten in Konfliktgebiete zu entsenden, wenn der Premierminister das für erforderlich hält. Abgesehen von den amerikanischen Forderungen nach mehr Engagement betrachten Abe und seine Entourage Artikel 9 auch als Symbol für Japans Unterordnung unter die USA und drängen sowohl aus nationalem Stolz wie aus Gründen der Sicherheit auf eine Änderung.
Risiko für Shinzō Abe
Ein Grund für diese Position sind gewiss die regionalen, teils hegemonialen Ambitionen Chinas, dazu Nordkoreas Atomwaffenprogramm. Auch wenn das so ist, lehnen die meisten Befürworter einer Verfassungsänderung ab, dass dabei der Premier Regie führt. Dessen Reaktion auf diese Vorbehalte ließ nicht auf sich warten und bestand in einer abgeschwächten Version für die Revision von Artikel 9. Im Augenblick wird dazu die nicht angreifbare Erklärung abgegeben: Natürlich müssten die Verteidigungskräfte stets verfassungskonform handeln.
Abe geht ein großes politisches Risiko ein, das mit der Ermordung Soleimanis noch einmal erheblich gestiegen ist. Seine Regierung wird dafür kritisiert, den Mittelost-Einsatz durch Erlass eines schwammig formulierten Gesetzes dekretiert zu haben, das dem Verteidigungsminister einen erheblichen Ermessensspielraum gibt, der nicht parlamentarischer Kontrolle unterliegt. Obwohl Abe beteuert, es bestehe für die Marinesoldaten keine unmittelbare Gefahr, erklärt er gleichzeitig, man sei auf eine mögliche Eskalation vorbereitet. Sollte es dazu kommen, darf niemand einen patriotischen Ausbruch erwarten. Die Wahrscheinlichkeit einer starken innenpolitischen Reaktion ist größer. Angesichts der Tatsache, das die Verfassungsinventur für Abe den Heiligen Gral darstellt, steht für ihn momentan sehr viel auf dem Spiel.
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