Rückkehr in die Vorzeit

Myanmar Der Militärputsch zeigt, dass die einstige Hoffnungsträgerin Aung San Suu Kyi ausgedient hat
Ausgabe 05/2021
Bei einem Protest vor der myanmarischen Botschaft in Bangkok halten Unterstützer ein Porträt der de-facto Regierungschefin Aung San Suu Kyi hoch
Bei einem Protest vor der myanmarischen Botschaft in Bangkok halten Unterstützer ein Porträt der de-facto Regierungschefin Aung San Suu Kyi hoch

Foto: Lauren DeCicca/Getty Images

Als Aung San Suu Kyi vor gut zehn Jahren von ihrem Hausarrest befreit war, löste das in der damaligen Kapitale Rangun einen Sturm der Begeisterung aus. Soldaten hatten an der University Avenue sämtliche Barrikaden geräumt, die diese Symbolfigur so lange von ihren Anhängern getrennt hatten. Hunderte drückten sich gegen einen alten, nachgebenden Bambuszaun am Anwesen der Friedensnobelpreisträgerin, trugen T-Shirts mit dem Porträt der „Lady“ und sangen: „Es lebe Aung San Suu Kyi“. 15 Jahre des Hausarrests waren vorbei. Der demokratische Wandel schien von Myanmar Besitz zu ergreifen und Aung San Suu Kyi eine politische Verantwortung zu übertragen, die sie immer gewollt hatte.

Heute muss man konstatieren, dieser Wandel war kein Regimewechsel. Die Erwartungen hielten nicht, was sie versprochen hatten. Das galt auch für Aung San Suu Kyi selbst. Sie war den Untiefen und Unwägbarkeiten eines politischen Spitzenamtes in einem Staat ausgesetzt, in dem sich diktatorische Militärs nun damit begnügten, dominante Autoritäten zu sein, denen die Macht nicht entglitt. Dabei fiel Aung San Suu Kyi, seit 2016 als Regierungschefin faktisch Staatsoberhaupt, schwer und unwiderruflich vom Podest des moralischen Anstands. Die Lichtgestalt mit der Blume im Haar, die den kantigen Epauletten der Militärs ein Kontrastprogramm bot, war plötzlich befleckt und schien dem Bild entronnen, das bis dahin die Gemüter erbaut hatte.

Keine Frage, dass sie sich mit den Generälen arrangieren musste. Immerhin hatten die weiterhin Anspruch auf ein Viertel der Parlamentssitze und beherrschten die wichtigsten Ministerien. Damit auszukommen, hieß das zwangsläufig, sich anzubiedern? Musste der arrangierte Burgfrieden dazu führen, die Verfolgung und Vertreibung der muslimischen Rohingya-Minderheit zu rechtfertigen? Da wurde die Ex-Ikone zum willfährigen Werkzeug einer inhumanen Strategie, die sie auch noch vor aller Welt verteidigte. Und das unablässig und ungerührt.

Wie der Militärputsch zu Beginn dieser Woche zeigt, hat Aung San Suu Kyi offenbar ausgedient. Aus einer verschleierten wird wieder eine unverhüllte Autokratie. Für Myanmar verheißen die jüngsten Ereignisse eine Rückkehr zu den dunklen Tagen einer repressiven Militärautorität. Davon zeugen die Ankündigungen, für ein Jahr die Kontrolle über das Land zu übernehmen und am Ausnahmezustand festzuhalten, sowie die Praxis, Telefonleitungen und das mobile Internet vorübergehend zu kappen. Aufschlussreich wird es sein, die Frage zu beantworten, inwieweit Aung San Suu Kyi trotz ihres Pragmatismus noch Idol und Leitbild wie vor zehn Jahren ist. Wird sich der Widerstand gegen den Putsch an ihr orientieren? Oder werden die Menschen darauf verzichten und über sich ergehen lassen, was geschieht?

In den stark ethnisch geprägten Bundesstaaten gibt es viele, die ihre Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), und Aung San Suu Kyi nicht ausstehen können. Denen aber das Militär noch mehr suspekt ist. Weltweit wird der Militärputsch trotz des irreparabel angekratzten Ansehens der Regierungschefin einhellig und lautstark verurteilt. Aber das hat die Obristen in Myanmar schon vor 2010 kaum beeindruckt, geschweige denn verunsichert.

Rebecca Ratcliffe und Ben Doherty berichten für den Guardian aus Asien

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Rebecca Ratcliffe, Ben Doherty | The Guardian

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