Russische Soldaten werfen Kommandeuren Rückzugsblockade vor
Ukraine-Krieg Mitglieder einer russischen Sturmtruppe behaupten in einem Video, dass sie durch „Blockadeeinheiten“ am Rückzug gehindert wurden, nachdem sie in der Ostukraine große Verluste erlitten hatten. Vorgesetzte hätten „uns hinrichten wollen“
Westliche Stellen schätzen, dass auf russischer Seite bisher bis zu 200.000 Menschen getötet oder verletzt wurden
Foto: Imago/Itar-Tass
Mitglieder einer kürzlich gegründeten russischen Sturmtruppe werfen ihren Kommandeuren vor, sie nach „großen Verlusten“ in der Ostukraine am Rückzug gehindert zu haben. Sie hätten dazu Truppen eingesetzt und ihnen mit dem Tod gedroht. In einem an den russischen Präsidenten Wladimir Putin adressierten Video bezeichnen sich rund zwei Dutzend Männer in Militäruniform als überlebende Mitglieder von „Sturm“, einer Einheit, die dem Verteidigungsministerium zugeordnet ist.
„Wir waren vierzehn Tage lang offenem Mörser- und Artilleriebeschuss ausgesetzt“, berichtet der russische Soldat Alexander Gorin in dem Beschwerdevideo, das am Freitag zunächst auf russischen Telegram-Kanälen veröffentlicht wurde
icht wurde. „Wir hatten hohe Verluste erlitten. 34 Männer wurden verletzt und 22 starben, darunter auch unser Kommandant“. Vor Beginn der Militäroperationen bestand die Einheit aus 161 Männern, erklärte ein weiterer Soldat.Laut Gorin trafen die überlebenden Männer die Entscheidung, sich zurück zum russischen Hauptquartier zu begeben, doch der Rückzug wurde von ihren Vorgesetzten blockiert: „Sie stationierten Blockadetruppen hinter uns und ließen uns unsere Position nicht verlassen … Sie drohten, uns einen nach dem anderen und als Einheit zu zerstören. Sie wollen uns als Zeugen einer völlig verantwortungslosen kriminellen Führung hinrichten.“Barrieretruppen oder Anti-Rückzugstruppen sind Militäreinheiten, die hinter den Truppen an der Front platziert werden, um die Disziplin aufrechtzuerhalten und zu verhindern, dass Soldaten fliehen. „Unsere Kommandeure sind eine kriminelle Organisation. Man kann es nicht anders bezeichnen“, fügte ein weiterer russischer Soldat hinzu, der sich als Sergei Moldanow vorstellte.The Guardian identifizierte acht Männer in dem Video. Als sie kontaktiert wurden, bestätigten drei, dass sie Mitglieder von „Sturm“ waren und bestätigten, was im Video-Clip berichtet wurde. Die Männer, die anonym bleiben wollen, erklärten, sie seien mittlerweile von der Front zurückgeholt worden.Schlechte Moral in russischer TruppeDie Einheit „Sturm“ wurde im Januar vom russischen Verteidigungsministerium gegründet, um an der zermürbenden Winteroffensive Moskaus in der Ostukraine teilzunehmen. Damals erklärte das Ministerium, die Einheit sei „speziell dafür konzipiert, die komplexesten und am besten organisierten Verteidigungsbereiche der ukrainischen Streitkräfte zu durchbrechen“. Laut Berichten russischer Medien und Fotos, die in den sozialen Medien-Accounts einiger der Kämpfer veröffentlicht wurden, besteht die Einheit zum Großteil aus russischen Veteranen, die an Russlands erstem Angriff gegen die Ukraine 2014 beteiligt waren.Die „Sturm“-Soldaten in dem Video behaupten, gezwungen worden zu sein, ihren Kommandeuren Geld zu geben. Wer sich geweigert habe, sei an die Front geschickt worden. Ihr Appell ist der jüngste in einer steten Folge ähnlicher, seit Januar aufgetauchter Videos, in denen sich russische Soldaten über ihre schlechte Behandlung beklagen.Während Moskaus Winteroffensive in der Ostukraine veröffentlicht, weist das Video darauf hin, dass die russischen Truppen weiter unter schwacher Moral und schlechtem Management leiden. Die Bilder sind zudem Zeugnisse für Moskaus Bereitschaft, im Bestreben, die ukrainische Verteidigung zu durchbrechen, Soldaten an Positionen zu schicken, an denen ihnen der sichere Tod droht.Bereits im November sprach das britische Verteidigungsministerium davon, dass die russische Armee wahrscheinlich begonnen habe, Barrieretruppen oder „Blockadeeinheiten“ einzusetzen. „Die Taktik, Deserteure zu erschießen, zeugt wahrscheinlich von niedriger Qualität, schlechter Moral und fehlender Disziplin in den russischen Streitkräften zu“, hieß es in einem Statement des Ministeriums.Umstrukturierung der russischen Militär-FührungsriegeUnterdessen weist der Kreml Berichte weitgehend zurück, nach denen die russische Armee in der Ukraine wegen schlechter Bedingungen und niedriger Moral Probleme mit Desertationen hat. „Gibt es Männer, die ihre Kampfposten verlassen? Ja, das ist vorgekommen … aber mittlerweile immer weniger“, sagte Putin Ende vergangenen Jahres dazu. „Ich wiederhole noch einmal, dass solche Fälle von Desertation nichts Massenhaftes haben.“ Der russische Präsident behauptete zudem, die Ukraine setze ihrerseits Barrieretruppen ein, die „ihre eigenen Soldaten in den Rücken schießen“.Unterstützt von der paramilitärischen Gruppe Wagner hat die russische Armee seit über zwei Monaten zehntausende Soldaten in den Kampf geschickt, um in der Region Donbass Land zu gewinnen. Doch Moskaus Offensive entlang eines 160 Meilen (257,5 Kilometer) langen Bogens in der Ostukraine hat nur minimale Fortschritte gebracht, dafür aber gewaltige Kosten verursacht. Westliche Stellen schätzen, dass auf russischer Seite bis zu 200.000 Menschen getötet oder verletzt wurden.Ein weiteres Zeichen für die Unzufriedenheit Moskaus mit dem Stand der Kämpfe: Laut russischen Medienberichten von Sonntag soll Verteidigungsminister Sergei Schoigu den Kommandeur des russischen östlichen Militärdistrikts, Generalleutnant Rusam Muradow, gefeuert haben.Seine Entlassung ist die jüngste Umstrukturierung der russischen Militär-Führungsriege inmitten einer Reihe von Kampf-Rückschlägen. Dem Kreml nahestehende Kriegsbefürworter brachten Muradows Entlassung mit seinen erfolglosen Versuchen in Verbindung, die Stadt Wuhledar in der Region Donezk einzunehmen. Unter Muradows Kommando soll Russland während dreiwöchigen Kampfhandlungen in Wuhledar im vergangenen Monat mehr als 100 Panzer und Schützenpanzer verloren haben.
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