Selten hat ein Leck so gute Dienste geleistet. Ein Memo des französischen Innenministers bestätigte diese Woche, dass Präsident Nikolas Sarkozys Krieg gegen die Lager von Nichtsesshaften in Frankreich eine explizit rassistische Dimension hat und bewusst auf Roma abzielt. Es hat die Europäische Kommission aus ihrer Nachsicht gegenüber Sarkozys Stunt aufgescheucht und sie dazu veranlasst, Paris nun lautstark zu attackieren. In Frankreich hat das Memo eine längst überfällige Selbstinspektion ausgelöst, wie mit Minderheiten eigentlich umgegangen wird, auch wenn die Politiker in Panik wegrennen, um nach dem Gesetz zu rufen, damit die wenigen Muslima, die einen Gesichtsschleier tragen, bestraft werden. Und es hat aufgezeigt, wie die Roma, die mit rund zehn Millionen Europas größte Minderheit sind, über die Grenzen hinweg in Europa leiden.
Denn Frankreich ist nicht allein. Die systematische Diskriminierung der Roma in Osteuropa – wo ihre Kinder oft in Schulen für „geistig behinderte“ abgeschoben werden – eine anerkannte Tatsache, wenn auch wenig darüber berichtet wird. Doch mit der Osterweiterung der EU und der daraus resultierenden Migration ist auch diese Haltung westwärts gewandert. Dänemark hat versucht, Roma auszuweisen, die schwedische Polizei wurde dabei erwischt, wie sie Roma illegal zum Verlassen des Landes zwang. Deutschland hat die Kinder von Roma in den Kosovo zurückgeschickt, Belgien hat ein Camp in Flandern aufgelöst und die Italiener haben die Präsenz der Roma zum Anlass genommen, um den Notstand auszurufen.
Feindseligkeiten mit Tradition
Die Wahrheit ist, dass offene Feindseligkeiten gegen Roma eine lange Tradition haben, die unangenehme Anklänge an die offenen Feindseligkeiten gegenüber einer anderen geächteten Minderheit birgt. In den meisten europäischen Ländern sind saloppe Bemerkungen gegen „Zigeuner“ längst nicht so tabu, wie Beleidigungen anderer Ethnien es größtenteils sind. Rollende Wohnwagen eignen sich nicht für eine bodenständige Integration, insbesondere wenn sie sich von den westlichen Vorstellungen vom Eigentumsrecht abkoppeln. Frankreichs jüngste Razzien folgten auf Krawalle, die durch die Erschießung eines Roma-Mannes ausgelöst worden waren, bei den Behörden ecken die Roma öfters als andere Bevölkerungsgruppen mit hohen Raten an Schulabbrechern an. Diese Aspekte des Roma-Lebens machen es leicht, sie als ein Prekariat darzustellen, dessen Ambitionen mit denen der breiteren Gesellschaft nicht vereinbar sind.
Sarkozy ging einst als Innenminister hart gegen die Banlieus vor, jüngst scheiterte er daran, seine sinkenden Umfragewerte durch ein Burka-Verbot aufzupäppeln, nun ist er erneut auf der Suche nach einem Sündenbock. Würde er andere Motive verfolgen, dann hätte er vielleicht festgestellt, dass die große Mehrheit der europäischen Roma in der Tat gar kein Vagabundenleben führt und würde innehalten, um darüber nachzudenken, ob es nicht möglich wäre, mit den Roma durch eine sinnvolle Wohnungs- und Jobpolitik besser klarzukommen. Stattdessen beharrt das französische Establishment darauf, es sei von jeher vollkommen farbenblind. Selbst als die rassistische Sprache des Memos bekannt wurde, behauptete der Immigrationsminister: „Das Konzept ethnischer Minderheiten ist ein Konzept, das diese Regierung nicht kennt.“
Die Vielfalt untergräbt Frankreichs Hoffnungen, dass die ethnischen Unterschiede durch einen Assimilationsprozess irgendwie weggeschwemmt werden können. Diese Haltung hatte schon immer einen imperialistischen Unterton, doch in einer Vielflieger-Welt, in der einige Immigranten gar nicht lange genug bleiben, um Wurzeln zu schlagen, ist sie nicht mehr haltbar. Die Roma jedoch – die in ihrer „Heimat“ Südosteuropa diskriminiert werden, in die sie die wütenden Westeuropäer so gerne zurückschicken möchten – werden auch weiterhin auf dem ganzen Kontinent ein Problem darstellen, solange dieser sie so schlecht behandelt. Es wäre eine bittere Ironie, wenn die Europäer als Gemeinschaft keinen Weg finden würden, das von ihnen so hoch geschätzte Recht auf Bewegungsfreiheit mit einer Bevölkerungsgruppe in Einklang zu bringen, deren einzige Sünde darin besteht, dass sie dazu tendiert, sich frei zu bewegen.
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