Schattenkrieger am Werk

Atomvertrag Iran erhöht die Uran-Anreicherung auf 60 Prozent und setzt so vor den Wiener Verhandlungen ein deutliches Zeichen
Ausgabe 17/2021
Männer, die auf Atomtechnologie starren
Männer, die auf Atomtechnologie starren

Foto: Imago Images

Wenn Israels Premier Netanjahu eine Rückkehr der USA zum Atomvertrag mit dem Iran verhindern will, gibt es dafür ein todsicheres Mittel: den Schattenkrieg mit Teheran. Dass daraus ein harter militärischer Schlagabtausch wird, ist jederzeit möglich. Die Biden-Regierung hätte dann keine andere Wahl als die der Parteinahme und des Beistands für Israel. Was hieße das für den Nuklearvertrag?

Vorerst scheint die iranische Regierung nicht gewillt, aus dieser Eskalationsdynamik auszusteigen. Nach dem Anschlag am 11. April auf die Atomanlage in Natans, der Israel angelastet wird, gab sie bekannt, Uran auf 60 Prozent, also deutlich stärker als bisher anzureichern. Dieses Niveau wäre zwar noch nicht waffentauglich, käme dem aber sehr nahe. Vizeaußenminister Seyed Araghchi deutete den Schritt als Conditio sine qua non für die Wiener Gespräche, mit denen der Atomdeal von 2015 reanimiert werden soll. Im Klartext: Wir greifen auf diese vertragswidrige Anreicherung zurück, solange die USA ihre vertragswidrigen Sanktionen nicht zurückfahren.

Ausgeklügelte Sabotage

Nach Auskunft von Alireza Zakani, dem Vorsitzenden des Islamic Parliament Research Center in Teheran, wurden mit dem Angriff auf Natans mehrere tausend Zentrifugen zerstört. Ein Teil davon habe sich zur Reparatur im Ausland befunden. Auf dem Rückweg seien 136 Kilo Sprengstoff in die Fracht geschmuggelt worden, so Zakani. Man mache sich keinen Begriff vom Entsetzen der iranischen Wissenschaftler über das Ausmaß des Schadens. Fereidun Abbasi-Dawani, Chef der Energiekommission im iranischen Parlament, ergänzt, dass es die Täter auf ein Elektrizitätsumspannwerk 50 Meter unter der Erde abgesehen hatten. „Da waren Experten am Werk. Die Explosion traf das Stromverteilungssystem und das Notfallkabel für die Generatoren.“

Schon im Januar hatte der Iran nach der Ermordung von Mohsen Fakhrizadeh – einem seiner wichtigsten Nuklearwissenschaftler – die Uran-Anreicherung auf 20 Prozent erhöht und so die vom Nuklearabkommen zugestandenen 3,67 Prozent bereits überschritten. Laut Vizeminister Araghchi sei die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) stets auf dem Laufenden gewesen. Sie kenne auch jetzt die Pläne seines Landes, gut 1.000 neue Zentrifugen zu installieren, mit denen man in der Lage sei, bei Uran einen höheren Reinheitsgrad zu erzielen als mit den Aggregaten, die am 11. April zerstört wurden.

Kurz vor Beginn der Wiener Gespräche wurde ein Israel zugeordnetes Handelsschiff im Persischen Golf vor der Küste der Arabischen Emirate von einer Rakete getroffen. Der israelische TV-Sender Channel 12 zitierte eigene Regierungskreise, die den Iran dafür verantwortlich machten. Verletzte habe es nicht gegeben, und die unter der Flagge der Bahamas fahrende Hyperion Ray habe ihre Fahrt fortsetzen können.

Außenminister Mohammed Sarif meinte auf einer Pressekonferenz in Teheran, Israel habe „falsch gewettet“, wenn es glaube, dass der Angriff auf Natans sein Land bei den Nuklearverhandlungen schwächen werde. „Im Gegenteil, es wird unsere Position stärken.“ Israel selbst hat sich zu Natans nicht geäußert, jedoch war von Verteidigungsminister Benny Gantz zu hören, es müsse ein Informationsleck untersucht werden. Israels traditionelle Politik der Ambiguität (Mehrdeutigkeit) sei kompromittiert worden, möglicherweise aufgrund von Rivalitäten zwischen einzelnen Behörden. Die USA wiesen es klar von sich, „in irgendeiner Weise“ an dem ausgeklügelten Sabotageakt beteiligt gewesen zu sein, ließen aber offen, im Vorfeld davon gewusst zu haben. Immerhin ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass US-Geheimdienstmitarbeiter Details durchsickern ließen, weil der Anschlag Joe Bidens Absicht unterläuft, den Atomvertrag, wenn nicht retten, so doch neu aushandeln zu können. Das wirft die Frage auf, ob die Ankündigung des Iran, Uran höher anzureichern, als Warnung an die USA gedacht ist, entweder den Verbündeten Israel zu zügeln oder das unwiderrufliche Ende des Nukleardeals zu riskieren.

Kein Verzicht auf Sanktionen

Ebendiese Alternative ist es, die den iranischen Verhandlungsspielraum in Wien nicht unbedingt einschränkt. Jetzt ticke die Uhr, warnte Außenminister Sarif die Vertragspartner Großbritannien, Frankreich und Deutschland: „Wenn Sie diese Gelegenheit verpassen, werden Sie mit unangenehmen Folgen konfrontiert sein.“ Als ob er Sarif recht geben wollte, räumte Deutschlands Außenminister Maas ein, der Anschlag auf Natans sei „kein positiver Beitrag“ gewesen. China und Russland, ebenfalls Vertragspartner, hatten die iranische Regierung gedrängt, trotz der Sabotage-Aktion nicht auf Wien zu verzichten. Auch wenn Teheran dem entsprach, flexibler verhandeln wird es kaum. Viel wird davon abhängen, ob die USA alle verfügten Sanktionen aufheben oder nur die nach der Kündigung des Nuklearabkommens verhängten. Das Weiße Haus ließ wissen, ein Teil der Strafmaßnahmen habe nichts mit dem Vertrag zu tun, sondern ergebe sich aus Menschenrechtsverletzungen des Iran, seiner Terrorunterstützung und dem Raketenprogramm. Für einen baldigen Durchbruch in Wien spricht das nicht.

Patrick Wintour ist Autor des Guardian

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Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Patrick Wintour | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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