Schaut doch woanders hin

Angelina Jolie Nun wissen alle, was Mastektomie heißt. Doch mit ihrem Brust-Bekenntnis stellt sich Angelina Jolie auch gegen ein sexistisches Ideal, dem Stars entsprechen sollen
Schaut doch woanders hin

Foto: Leon Neal / AFP / Getty

Angelina Jolie ist nicht die erste Schauspielerin, die sich einer Mastektomie – wie die medizinischste Bezeichnung für die Entfernung von wenigstens einem der beiden anatomischen Attribute lautet, die Schauspielerinnen aus Karrieregründen vor sich her tragen sollen – unterzogen hat. Spontan fallen mir Christina Applegate, Olivia Newton John, Lynn Redgrave und Kathy Bates ein, die alle ebenfalls öffentlich über ihre Brustentfernungen gesprochen haben.

Auch ist Jolie nicht die Erste, die eine präventive Doppelmastektomie hat vornehmen lassen: Sharon Osborne (zwar keine Schauspielerin, aber dennoch eine in der Öffentlichkeit stehende Frau) hat erst im vergangenen Jahr erklärt, sie habe sich beide Brüste abnehmen lassen, nachdem sie erfahren habe, dass sie – wie sie im britischen Klatschmagazin Hello! sagte – das „Brustkrebs-Gen“ in sich trägt.

Doch auch wenn Jolie nicht die Erste ist, hat sie über den medizinischen Eingriff hinaus etwas getan, dass an allen Maßstäben gemessen ziemlich außergewöhnlich und mutig ist. Sie ist ganz bestimmt die bekannteste Frau seit langem, die das öffentlich mitteilt und wohl eine von denen, für die besonders viel auf dem Spiel steht. Wenn eine junge, gutaussehende Schauspielerin erklärt, dass sie sich ihre Brüste entfernen lassen hat, ist das in Sachen Karriere ungefähr so, als würde ein gutaussehender Hauptdarsteller verkünden, er sei schwul. In beiden Fällen ist das widerwärtig und lächerlich.

Dienst an der Öffentlichkeit

Letztlich hat Jolie nicht nur ihr öffentliches Image in Frage gestellt, sondern auch das ermüdende Klischee davon, was eine Frau sexy macht und wie eine Frau, die als sexy gilt, über ihren Körper zu reden hat.

In der New York Times hat Jolie einen klaren, besonnen und offenen Artikel veröffentlicht, in dem sie erläutert, warum sie sich zu einer beidseitigen Brustamputation entschlossen hat. Nach dem Bekenntnis zu urteilen betrachtet sie es schlicht als einen Dienst an der Öffentlichkeit, ihre Entscheidung publik zu machen:

„Ich habe mich entschieden, meine Geschichte nicht für mich zu behalten, weil es viele Frauen gibt, die nicht wissen, dass sie möglicherweise unter dem Schatten einer Krebserkrankung leben. Ich hoffe, dass auch sie ihre Gene testen lassen können und wissen, dass auch ihnen starke Optionen zur Verfügung stehen, wenn sie ebenfalls ein hohes Risiko haben“, schrieb sie. Dabei ließ sie die finanziellen Gründe nicht unerwähnt, die viele Frauen daran hindern, sich testen und behandeln zu lassen.

Jolie ist inzwischen sicherlich daran gewöhnt, dass gewisse Teile ihres Körpers ständig von den Medien begutachtet werden. Dass dies bei ihr sogar noch mehr der Fall ist, als bei anderen weiblichen Prominenten, will wahrlich etwas heißen. Ihre Figur wird immer wieder nach Anzeichen einer beginnenden Essstörung untersucht. Ihren Beinen widmete sich nach der Oscarverleihung 2012 ein eigener Twitterfeed. Die persönlichsten Elemente ihres Lebens sind seit langem Bestandteil des popkulturellen Diskurses – von der belasteten Beziehung zu ihrem schwierigen Vater, ihren Kindern und Ehen, bis hin zu dem ewigen Brimborium über das Aniston-Pitt-Jolie-Dreieck, von dem man den Eindruck hat, dass es die Boulevardpresse schon sehr viel länger fasziniert, als die Beteiligten selbst.

Keine sexualisierten Filme mehr

Dennoch hat Jolie sich immer die Art Privatheit erhalten, die sich heutzutage nur noch die größten A-Listen-Aktricen leisten können. Sie gibt kaum Interviews und posiert nicht beinahe nackt auf den Titeln von Männermagazinen. Selbst in ihrer sexy Rolle als Lara Croft trug sie meist einen Ganzkörperanzug und keinen Bikini.

Für eine Frau, die regelmäßig die wichtigsten aller Wahlen – die zur Sexiest Woman in the World – gewinnt, hat Jolie eigentlich nie viel Interesse daran gezeigt, sich selbst oder ihren Körper mit der Öffentlichkeit zu teilen. Das macht ihre Entscheidung, es nun auf die persönlichste aller Arten zu tun, umso stärker. Zu einem gewissen Grad aber auch umso verständlicher.

Seit beinahe zehn Jahre versucht Jolie nun schon sehr nachdrücklich von dieser Art sexualisierter Filme wegzukommen, die sie berühmt gemacht haben - Tomb Raider etwa oder den besonders vergessenswerten Original Sin, in dem sie neben Antonio Banderas spielte. Wohl zu Ungunsten ihrer Karriere trat sie stattdessen in Filmen wie Ein mutiger Schritt oder Der fremde Sohn auf, in denen sie eine trauernde Witwe bzw. eine trauernde Mutter spielte. Ihrer vielgepriesenen Sexyness zum Trotz hat Jolie sich schon seit langem für ihre Rollen nicht auf ihren Körper verlassen (zeitweise schien es sogar, als sei sie gar nicht so interessiert am Schauspielern und konzentriere sich lieber auf ihre Arbeit für die Uno und die Mutterschaft).

Für sie ist es also doch nicht ganz so karriereschädigend, eine solche Veränderung öffentlich zu machen, wie für andere, die zu dem Glauben verleitet worden sind, ihre Brüste seien die einzige Währung, die sie zu bieten hätten.

Am Ende ihres Artikels schreibt Jolie über die „Herausforderungen“ des Lebens – sonst greift sie aber kaum zu Euphemismen. In vorhergehenden Paragrafen beschreibt sie die Prozedur, den nipple delay, die Entfernung des Brustgewebes, die vorübergehenden Füllungen, die Expander und Schläuche, die Narben und blauen Flecken. „Ich fühle mich kein bisschen weniger als Frau“, schreibt sie. „Ich fühle mich bestärkt, weil ich eine starke Entscheidung getroffen habe, die meine Weiblichkeit in keinerlei Hinsicht mindert.“

Auch Schwule sollen heilig sein

Dass Brüste nicht nur existieren, um andere Leute anzumachen, sollte für jeden fühlenden erwachsenen Menschen keine Überraschung darstellen. Außerdem sollte eigentlich nicht erwähnt werden müssen, dass es nicht die Brüste sind, die eine Frau ausmachen. Muss es leider doch. Für die brutale, reife Wirklichkeit ist in der Regel wenig Platz übrig in dem Fantasieland, in dem sich Promimythen und öffentliche Wahrnehmung vermischen.

Tatsächlich war Angelina Jolie in den Augen der Medien noch vor 48 Stunden die sexverrückte, bluttrinkende, männerraubende Verführerin (wenn auch eine mit sechs Kindern), als die sie im Grunde gilt, seit sie vor Jahrzehnten bekannt wurde. Gerade erst am vergangenen Wochenende war in einem Artikel – um diesen Begriff einmal im weitesten Sinne zu gebrauchen - zu lesen, Jolie sei so erpicht darauf, vor Jennifer Aniston zu heiraten, dass sie und Brad Pitt bereits einen „romantischen Flitterwochenurlaub“ gebucht hätten. Jetzt wissen wir, dass Pitt und Jolie nicht im Internet nach „sexxxxxy Hotels“ gesucht haben und dabei irren Sex hatten. Stattdessen waren sie anderweitig beschäftigt: Im Pink Lotus Breast Center, wo der Eingriff vorgenommen wurde. Selten wurde die Kluft zwischen dem Promiklatschmüll und der eigentlichen Wahrheit so in ihrer Lächerlichkeit offenbart.

Anfang dieser Woche hat der Autor Bret Easton Ellis eine ebenfalls starkes, wenn auch ganz anderes Stück im dem amerikanischen Schwulenmagazin Out veröffentlicht. Darin ging es darum, dass von prominenten Homosexuellen erwartet werde, sie sollten heiligenhaft sein: Personen, die „'echt' und 'menschlich' (also mit Makeln)“ seien, sollte die Heterokultur nicht unbedingt zu Gesicht bekommen, wenn es nach den "schwulen Gatekeepern“ ginge, schrieb Ellis.

Mehr Geld in Tests

Ähnliches ließe sich über die Darstellung schöner junger Frauen in der Presse sagen: Sie sollen perfekt proportioniert und immer fotogen sei. Alle herkömmlichen Attribute ihrer Sexyness sollen sich am richtigen Platz befinden. Dabei gehört es dazu, eine „echte“ und „menschliche“ Frau zu sein, sich der Möglichkeit einer Brustkrebserkrankung zu stellen und damit umzugehen.

Vor noch nicht allzu langer Zeit war es noch vollkommen tabu, über Mastektomien zu sprechen (Betty Ford war die erste, die sich dagegen zur Wehr setzte und öffentlich über ihre OP sprach – zollen wir ihr an dieser Stelle Respekt). Die Wahrheit ist aber, dass Jolie – so wie Applegate, Redgrave und einige wenige andere – nur die Spitze eines pragmatischen Eisbergs sind. Es gibt viele bekannte Frauen, die ähnliche Operationen ertragen haben. Ihre „Bikinikörper“ werden wahrscheinlich heute in den Promimagazinen diskutiert. Sie haben sich aber entscheiden, es vor der Presse zu verbergen – für ihre Karriere, für ihr mentales Wohlbefinden.

Und wer könnte ihnen schon einen Vorwurf daraus machen? Welche Frau möchte den Rest ihres Lebens in Interviews nach ihrer Mastektomie gefragt werden? Welche Frau könnte es ertragen, zu wissen, dass jedes Mal wenn sie fotografiert wird – auf einem roten Teppich, in einem Film, an einem Strand – Fremde auf der ganzen Welt ihren Körper daraufhin absuchen, ob und wie ihre Brust sich verändert hat?

Eine Mastektomie bringt auch ohne den Gedanken an das lüsterne und makabere Interesse von Millionen mehr als genug emotionale und körperliche Schmerzen mit sich.

Wenn es um Prominente geht, wird instinktiv oft mit Zynismus reagiert. Jolie aber sollte man applaudieren – dafür, dass sie all das auf sich genommen hat, ohne, dass es einen Nutzen für sie hätte. Einfach, um Aufmerksamkeit auf die Krankheit und die Möglichkeiten der Prävention und Behandlung zu lenken.

Dass die Promiwelt anfängt, erwachsen zu werden und ihre Frauen als Frauen und nicht als Sexobjekte zu behandeln, bleibt die Hoffnung. Und dass weltweit mehr Geld in Tests und Behandlungen gesteckt wird, damit mehr Frauenleben gerettet werden können, bleibt das Ideal.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Hadley Freeman | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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