Auf den ersten Blick wirkte das Treffen am Dienstag wie tausend andere exklusive Business-Events: Ein Haufen Anzugträger hatte sich im Claridge’s Hotel in London-Mayfair versammelt, um darüber zu diskutieren, wie man die griechische Wirtschaft reformieren könnte. Wenn man sich dann aber die Präsentationen der griechischen Minister und anderer Vertreter des Staates anhörte, bei denen es um die Flugplätze, Seehäfen und den übrigen Grund und Boden ging, die sie an die Höchstbietenden versteigern wollten, wurde sehr deutlich, worum es an diesem Tag eigentlich ging. In diesem Art Deco-Zimmer mit fünf Kronleuchtern und so vielen verspiegelten Oberflächen, dass man erst garnicht zu zählen anfangen musste, nahm ein Notverkauf erster Güte seinen Anfang.
Die Männer aus Athen nannten es aber natürlich nicht so. George Christodoulakis, der Mann, der für den Verkauf des griechischen Staatseigentums verantwortlich zeichnet, zieht es vor, von einem „ professionell ausgeführten Privatisierungsplan“ zu sprechen. Doch selbst er räumte ein, dass Geschwindigkeit und Umfang dieses Planes – in staatlicher Hand befindliche Werte und Anlagen mit einem Wert von 50 Milliarden Euro im Laufe der kommenden fünf Jahre zu veräußern – der Regierung aufgezwungen wurden. „Man kann fragen, ob dies die beste Zeit für einen Verkauf ist.“
Tafelsilber zum Schnäppchenpreis
Wenn Premierminister George Papandreou die nächste Tranche des Kredites von EU und IWF erhalten will, braucht er die Zustimmung des Parlaments zu einem noch nie da gewesenen Programm von Sparmaßnahmen, Steuererhöhungen und dem Verkauf staatlichen Eigentums. Dies wurde bei dem Treffen griechischer Funktionäre und ausländischer Investoren in London zwar nicht offen ausgesprochen, gab aber bei all den langen Sitzungen über die Privatisierung der griechischen Energieversorgung, Autobahnen und Glückspielindustrie den Takt vor. „Auf dem Höhepunkt einer Krise bietet sich immer die Möglichkeit zu neuen Investitionen“, sagte Aris Syngros, der die "Invest in Greece"-Kampagne leitet, vom Podium herab. „Die Krise eröffnet die Möglichkeit zu großen Gewinnen.“ Diese Gewinne machen aber natürlich diejenigen, die das Tafelsilber des griechischen Staates zu Schnäppchenpreisen aufkaufen.
Während die Geschäftsleute sich in London die Präsentationen anhörten, drangen Nachrichten von den Protesten aus Griechenland durch: Hunderttausende im Generalstreik gegen Sparmaßnahmen und Privatisierungen; Tränengas; verletzte Menschen. Was ist repräsentativer für die Zukunft des Landes, fragte ich Syngros: Die Demonstrationen oder dieses beschauliche Treffen zum Zwecke der Aufteilung des griechischen Staatseigentums?
„Diese Leute auf dem Syntagma-Platz sind nur eine winzige Minderheit“, antwortete er verächtlich. „Das sind Staatsbedienstete, die ihre Privilegien verloren haben und Arbeitslose, die sich Sorgen machen, sie könnten ein paar Unannehmlichkeiten erfahren. Die schweigende Mehrheit in Griechenland weiß, dass wir Fehler gemacht haben und die Struktur unserer Wirtschaft verändern müssen.“
Soviel zur Einschätzung des Verkäufers. Was aber denken die potenziellen Investoren? „Schwachsinn“, sagt Stephanie, eine junge Frau mit griechischen Wurzeln, deren Familienbetrieb in der Handelsschifffahrt tätig ist. „Was ist, wenn Griechenland Pleite geht? Oder aus dem Euro austritt? Was würde ein Unternehmen sagen, wenn es plötzlich Drachmen besäße?“
Ein Private-Equity-Investor, dessen Firma bereits eine Hotelkette in Griechenland gekauft hat, kommt mit den üblichen Vorbehalten: „Die griechische Regierung ist ein sehr kooperationsbereiter Verkäufer, aber wer würde unter solchen Umständen kaufen wollen? Was ist mit der Korruption, der Bürokratie?“
London ist ein kleiner Fisch
Und was ist mit der Politik? In der vergangenen Woche traf ich Arbeiter der Hafenbehörde von Piräus. Eines ihrer Terminals wurde bereits an die Chinesen verkauft und hunderte Arbeiter und Angestellte werden ihre Arbeitsplätze verlieren. Jetzt haben sie Angst vor dem nächsten Brocken – und noch mehr Entlassungen. Die Privatisierung bringe dem Staat zwar Bares, meinte der Hafenarbeiter Anastasis Fzantzeskaki, gleichzeitig aber fallen ihr die Einkommen zum Opfer. „Unsere Eltern haben uns eine bessere Gesellschaft hinterlassen. Wir geben unseren Kindern nichts.“
Ein örtlicher Gewerkschafter fuhr mich auf einen Hügel, von dem aus man die von den Chinesen betriebene Anlage überblicken kann: hell erleuchtet und geschäftig hob sich die Anlage von der umliegenden Industrie ab, die die Regierung heruntergewirtschaftet hat.
Zurück in London sagt mir George Gourdomichalis – ein weiterer Handelsschiffer aus Athen, die Griechen wüssten, dass das größte Interesse an ihrem Staatsvermögen gar nicht aus London kommt, sondern aus China, Indien und Brasilien. „Das ist in Ordnung. Diese Gesellschaften erwachen gerade.“ Dann ist Kaffeepause.
Kommentare 6
Es geht schon los, das Volksvermögen des griechischen Volkes wird verramscht. Die Order der Eu , EZB, und des IWF beginnt zu greifen. Die verarmung weiterer Bevölkerungskreise wird die Folge sein. Papandreou macht gegen sein eigenes Volk mobil.
Statt einen Schnitt zu machen und aus dem Euro raus zu gehen.
Die Demos werden weitergehen und eine Art von Bürgerkrieg steht den Griechen ins Haus. Das hatt die griechische Bevölkerung nicht verdient.
Nun, mir ist nicht ganz klar, ob die Verwaltung (das "Management") des Volksvermögens, das nun verramscht wird, überhaupt in der Vergangenheit Früchte für das Volk abgeworfen hat. Vielleicht hat es in erster Linie dazu gedient, in einem Geflecht aus Vetternwirtschaft und Korruption, einem Kreis von gerissenen Kennern dieses Systems Vorteile zu bringen - nur so ein Gedanke. Die Verluste mag man gut versteckt haben, genau kenne ich mich da nicht aus. Dass aber Kostenrechnungen und Bilanzen fälschbar sind bis zum Gehtnichtmehr (oder bis zur augenscheinlichen Widerlegung im Realen) wäre ja nichts Neues. Der vorletzte Absatz des Artikels spricht doch Bände, oder?
Ob die Privatisierung allerdings die richtige Konsequenz ist - sehr, sehr großes Fragezeichen. Besonders und zusätzlich tragisch ist, dass die Verhältnisse die Preise zu Gunsten der Käufer der Staatsvermögen enorm drücken. Auch da wird das Volk beraubt.
Die größten Profiteure in der Vergangenheit scheinen es aber ganz gut verstanden zu haben (mehr als sonstwo vielleicht), die "kleinen Leute", ihre Mitwisser also, zu korrumpieren. Sonst würden die kleinen Leute die Profiteure längst an Olivenbäume hängen.
Gibt es noch einen souveränen Staat, ein Land der Griechen?
Oder hat der "Dealer" den "Junkie" wo er ihn haben wollte?
Bye, bye Geld-Schein-Δημοκρατία oder anders...sell, sell.
"Uganda-Burundi" (Alfred Tetzlaff) ist näher gerückt. "auf den Straßen tobt der Mob" (Spon) ...Mob!!!!
Dies ist ein weiteres Lehrstück, für den "kleinen Mann" der "ersten" Welt, der in seinem Dünkel meint, "seine" cleveren Finanz- und Businesseliten nehmen nur die "Bimbos", die "Kanaken" und "Schlitzaugen" aus, weil die einfach zu blöde sind um "richtig zu wirtschaften". Es bestünde die Möglichkeit etwas über eigentliche "Werte" und "Loyalitäten" derer, denen er in den Arsch kriecht zu lernen. Was hört man aber den "klugen kleinen Mann" murmeln? "Solidarität darf keine Einbahnstrasse sein" quiekt eine leitende Jungunternehmerin. Griechen sind faul und selbst Schuld; Nackig machen oder austreten plappert Hinz und Kunz nach. Lernen sollen sie, die Anderen.
Sie tun es. Was tun wir?
Es gibt einen hartnäckigen Konsens in der widerständigen Bevölkerung Griechenlands.
Die wissen, dass das verordnete Verelendungsregime Programm, Inhalt und Mittel der berühmten „marktmäßig“ notwendig-ökonomischen Talsohle ist – allerdings hier ohne Ende (also keine geringsten Aussichten auf einen kapitalisierten Neuanfang) auf dem Weg in den Abgrund.
Die Eliminierung der Existenzgrundlage ganzer Bevölkerungsschichten, für die weitere und kurzfristige Anerkennung der GESAMTeuropäischen Staatsschulden als echte und geldwerte Handelsware durch die Finanzmärkte, also für die Beglaubigung des gegenwärtig extrem aufgeblähten „Eurokredits“ als Kapital. Und für die (drohende) kollabierende Währungsunion oder deren „Neuformierung“ (Hallo T.G.) auf dem Müllhaufen geworfen zu werden, sind aus bekannten Gründen weder der jugendliche Anarcho noch der kommunistische Gewerkschafter zu gewinnen - allerdings der existentiell bedrohte, prinzipiell opferbereite und staatsbürgerlich orientierte „konservative Mittelständler“ auch nicht.
„Volkstümlich“ und sympathisch trotzig drückt sich dass in der Haltung aus: wenn es Systembedingt und deswegen alternativlos sowieso immer auf Elend hinauslaufen soll – werden wir uns für den oben genannten Zweck ganz gewiss nicht verelenden lassen!
Und der Parlamentsbeschluss heute mag Folgen haben, vermutlich auch wieder Panzer auf Athens Strassen – und zwar deswegen, weil dieser Beschluss die Menschen nicht eingeschüchtert und widerstandsmüde gemacht hat (jede hat damit gerechnet) – die werden nicht aufhören!
Woher ich das „weiß“? Wissen kann man das nie – bin aber seit 5 Tagen in Athen und auch ziemlich (positiv) aufgewühlt und wahrhaftig „belebt“ über dass ganze Ausmaß an Wut und Renitenz …
Kalinichta
Löchrige Sparstrümpfe
Das griechische Sparpaket ist beschlossen und es kommen harte Zeiten auf das Land zu. Doch während der Gürtel noch enger geschnallt wird, sind die wirklichen Probleme kaum gelöst.
Christos Katsioulis
www.theeuropean.de/katsioulis/7211-sparpaket-fuer-griechenland
Löchrige Sparstrümpfe
Das griechische Sparpaket ist beschlossen und es kommen harte Zeiten auf das Land zu. Doch während der Gürtel noch enger geschnallt wird, sind die wirklichen Probleme kaum gelöst.
Christos Katsioulis
www.theeuropean.de/katsioulis/7211-sparpaket-fuer-griechenland