Schmach der Rettung

Irische Malaise Es herrschen harte Zeiten in Dublin. Die Regierung muss einräumen, das Land ist dem Bankrott nahe, in die Knie gezwungen vom fahrlässigen Handeln seiner Banken

Ministerpräsident Brian Cowan und sein Regierungsgespann aus der bürgerlichen Fianna Fáil und den Grünen geben ihr Bestes, um EU-Finanzhilfen zu entgehen. Wie jede andere Regierung, die mit den Märkten um Leben und Tod ringt, hält die Koalition am Glauben fest, die Situation aus eigener Kraft bewältigen zu können. Die Entscheidungsträger entwerfen Pläne für einen neuen Sparhaushalt und nähren die Hoffnung, der Geschichte ein Schnippchen schlagen zu können. Doch mit welchem Ergebnis?

Von Mitte der neunziger Jahre bis zum Beginn der Kreditkrise 2007 war das Wirtschaftswachstum Irlands mit durchschnittlich sechs Prozent im Jahr spektakulär. Das Land befand sich in einer Aufholjagd mit dem Rest Europas: Eine niedrige Körperschaftssteuer und der Vorteil der Muttersprache Englisch zogen ausländische Investoren aus dem High-Tech-Sektor an. Nach 2000 wandelte sich der Boom jedoch zur Blase, als die neue Einheitswährung viel zu niedrige Zinssätze mit sich brachte, um einer schnell wachsenden Wirtschaft gerecht zu werden. Wachstum hing nun stark von der Baubranche ab; die Banken pumpten Milliarden in die Geschäfte von Bauunternehmern, die darauf aus waren, die Insel mit Beton zu überziehen. Das Vermächtnis des Kreislaufs von Hochkonjunktur und anschließender Krise, von Aufstieg und Fall am Bau zeigt sich nun im insolventen Zustand der Banken, die ohne Finanzspritzen der Europäischen Zentralbank nicht überleben würden.

Modell Tea Party

Während die Banker der Grünen Insel mit Samthandschuhen angefasst werden, muss sich die Bevölkerung mit einer Reihe radikaler Sparpakete arrangieren, deren Ziel der Ausgleich eines Haushaltsdefizits ist, das inzwischen bei 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt. Mehr finanzpolitische Selbstgeißelungen sind für Anfang Dezember geplant und werden das Elend einer Bevölkerung, die unter steigender Arbeitslosigkeit, sinkenden Immobilienwerten, gekürztem Sozialleistungen und der Abwanderung von jungen und fähigen Arbeitskräften leidet, noch ausweiten.

Die Ankündigung des Sinn-Féin-Vorsitzenden Gerry Adams, seine Sitze in der North Ireland Assembly und in Westminster aufzugeben und bei der nächsten Wahl für einen Sitz im Parlament der Republik Irland zu kandidieren, darf als Zeichen dafür gewertet werden, dass sich Adams eine Chance beim demoralisierten irischen Wähler ausrechnet, der die europafreundliche Politik der Regierung nun missmutig beäugt. Das Abwenden von der Einheitswährung könnte Irland die Freiheit einräumen, Schulden neu zu bewerten und umzuverteilen – die klassische Strategie des IWF für Länder in finanzieller Not. Allerdings gibt es derzeit wenig Zustimmung zu einem Euroaustritt, und ob Sinn Féin der Nutznießer einer aufbegehrenden Wählerschaft wäre, wird sich erst zeigen müssen. Sollten politische Entscheidungen künftig tatsächlich weniger einvernehmlich aufgenommen werden, könnte sich in den nächsten Jahren eine rechtspopulistische, antieuropäische Partei nach dem Modell der Tea-Party-Bewegung in den USA formieren.

Mit Sicherheit lässt sich allerdings sagen, dass die Krise eines Vier-Millionen-Einwohner-Staates, die als klassischer Boom-Bust-Kreislauf begann, Auswirkungen auf andere Wackelkandidaten der Eurozone, die Zone selbst und auf Großbritannien haben wird. Das Vereinigte Königreich exportiert momentan dreimal so viel nach Irland wie nach China.

Mehr Steuern, mehr Sparen

Aus der Sicht Berlins liegt die Situation recht einfach. Europa sollte in der Lage sein, seine internen Probleme selbst zu lösen, doch wenn die stärkeren Mitgliedsländer der Eurozone zu nachsichtig mit den Beihilfekonditionen für Irland verfahren, werden sich Portugal, Spanien und Griechenland weniger dazu verpflichtet fühlen, ihren Defizitabbau voranzutreiben. Irische Banken werden sich auf harte Auflagen für Kredite einstellen müssen, was die Krise noch verschärfen wird. Eine Alternative hieße jedoch, das Risiko eines Dominoeffekts einzugehen, der die schwächeren Mitglieder der Währungsunion mitreißt.

Für Deutschland und Frankreich rechnet sich ein solches Risiko nicht – nicht zuletzt, weil deutsche und französische Banken Verluste für ihre unklugen Investitionen verzeichnen müssten, sollte sich die Krise verschärfen. Für Berlin stellen die Probleme, die das Beispiel Irland aufzeigt, aber auch eine Gelegenheit dar, den Aufbau der Einheitswährung in die Hand zu nehmen und nach deutschen Interessen zu einem Abschluss zu bringen. Die Vereinheitlichung von Zinssätzen nicht mit einem gemeinsamen Ansatz zur Haushaltsführung zu koppeln, das war der entscheidende Konstruktionsfehler der Währungsunion. Es gab keinen Mechanismus, der es erlaubt hätte, Länder mit zu niedrigen Zinssätzen zu Steuererhöhungen oder Sparmaßnahmen zu zwingen.

In ähnlicher Weise fehlte Europa auch ein Mechanismus, finanzielle Hilfen für Mitgliedsländer in Not bereitzustellen. Instabilität war programmiert. Der Eurozone bleiben deshalb nur drei Handlungsalternativen: weiter vor sich hin zu wurschteln, zu akzeptieren, dass die Politische Union unvermeidlich auf die Währungsunion folgen muss, oder die Auflösung der Einheitswährung zu tolerieren. Deutschland bevorzugt die zweite Option, vorausgesetzt die Regeln sind streng genug.

Großbritannien kann von der Krise lernen, wie es hätte sein können, wäre man Teil der Einheitswährung. Wie in Irland wäre der Zinssatz für die britische Wirtschaft viel zu niedrig angesetzt gewesen, die Immobilienblase kolossaler, die Rezession verheerender. Die Mitgliedschaft in der Währungsunion ist kein Thema mehr und macht Platz für die viel interessantere Frage, ob das Vereinigte Königreich die Anpassung des irischen Steuersystems für Unternehmen ausnutzen wird. Finanzminister George Osborne würde nichts lieber sehen, als dass sich Großbritannien auf dem Weltmarkt als englischsprachige Wirtschaft mit Investitionspotenzial verkaufen ließe. Irlands Notlage könnte dabei zum Durchbruch verhelfen.

Übersetzung: Therese Hopfmann

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Geschrieben von

Larry Elliot | The Guardian

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