Gerne würde man das Jahr 2012 mit Freude, großen Hoffnungen und leichtem Herzen erwarten. Doch stehen dem leider bedrückende Tatsachen im Weg. Denn zumindest in der Weltpolitik sind die Aussichten miserabel. Am besten kann man sie wohl mit den drei Keins zusammenfassen: kein Frieden, kein Aufschwung, kein Fortschritt.
An den Konfliktherden vom Nahen Osten bis nach Afrika besteht auch 2012 nur wenig Aussicht auf Besserung, und es gibt gute Gründe für die Annahme, dass sich die Situation eher noch verschlimmern wird. In der Ökonomie drohen die Finanz- und Staatsschuldenkrisen in Europa und den USA die Weltmärkte weiter zu belasten und eine allgemeine Depression auszulösen. In der Politik werden sich verschärfende Nationalismen und eine zunehmende Ausrichtung auf Angst und Neid wohl auch nächstes Jahr ambitionierte internationale Führung untergraben – in krassem Widerspruch zu Barack Obamas noch im Wahlkampf 2008 propagierter Politik der Hoffnung.
Wahlen
Im kommenden Jahr werden in vier der fünf ständigen Mitgliedsstaaten des Weltsicherheitsrates Wahlen stattfinden: in den USA, in Russland, China und in Frankreich - nur in Großbritannien nicht. Auf diese Wahlen wird in den betreffenden Ländern das Hauptaugenmerk gerichtet sein. Das internationale Engagement muss sich dem unterordnen. Das beste Beispiel sind die USA, wo Obama im November zum zweiten Mal ins Weiße Haus gewählt werden will. Schon jetzt richtet er seine Außenpolitik nach diesen politischen Ambitionen aus: Als er unlängst den Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak zu einem „Erfolg“ hochjubelte und von der Erfüllung seines Wahlversprechens sprach - nämlich, den Krieg zu beenden und die Soldaten nach Hause zu bringen –, zielten seine Worte direkt auf die amerikanische Mittelschicht. Dass die Spannungen im Irak so groß sind wie eh und je, focht ihn dabei nicht an.
Obamas zweiter Wahlkampf wird vermutlich ohne die erhebenden Momente auskommen müssen, die sein erster zu bieten hatte. So, wie die Dinge stehen, sind seine wahrscheinlichsten Herausforderer Mitt Romney oder Newt Gingrich - beides erfahrene Politikermaschinen, denen nichts so sehr abgeht wie neue Ideen und Charisma. Trotzdem dürfte es eng werden. Denn die US-Wirtschaft wankt, und die Arbeitslosenrate ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht.
Geführte Demokratie
Auch in Russland und China stehen Wahlen an. Die erneute Bestimmung Wladimir Putins zum Präsidenten schien eigentlich schon ausgemachte Sache. Dann kamen die Massenproteste gegen die gefälschten Parlamentswahlen und machten einen Strich durch die Rechnung. Putin wird im März wahrscheinlich trotzdem das Rennen machen, aber der Glanz seines Sterns ist erloschen. In seiner dritten Amtszeit dürfte der Nationalismus immer chauvinistischere Züge annehmen und die innenpolitischen Auseinandersetzungen werden zunehmen. Es handelt sich zwar noch nicht um eine zweite Russische Revolution, die Sache verdient aber auf jeden Fall große Aufmerksamkeit.
In Peking wird, wenn es nicht zu einem unerwarteten Erdbeben kommt, auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei im Oktober Xi Jinping zum Generalsekretär und Nachfolger von Präsident Hu Jintao gewählt werden. Das Schlüsselwort dürfte Kontinuität sein. Doch China sieht sich zunehmenden, wirtschaftlich bedingten inneren Spannungen gegenüber. Der Appetit des Weltmarkts auf chinesische Exporte ist dramatisch zurückgegangen.
French Disconnection
Schließlich wird auch der wortgewandte und scharfzüngige französische Präsident, Nicolas Sarkozy, im März gegen den Light-Sozialisten François Hollande, den Zentristen François Bayrou, und die Rechtspopulistin Marine Le Pen zur Wiederwahl antreten.
Sarkozy wird auf eine Frankreich-zuerst-Kampagne im gaullistischen Stil setzen und sein früheres reformistisches Programm ad acta legen. Beurteilen wird man ihn in erster Linie danach, wie er die Eurokrise und deren negative Auswirkungen auf die französische Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in den Griff bekommt.
Arabischer Frühling II
Nach über einem Jahr ist noch nirgendwo sicher, wie dieser unerwartete Aufbruch der Bevölkerung hin zu Demokratie und Selbstbestimmung ausgehen wird. Die einzige eindeutige Erfolgsgeschichte ist Tunesien. Die anhaltende Unterdrückung durch das Regime in Syrien stellt dagegen den Tiefpunkt dar.
Die Frage des politischen Überlebens von Syriens Präsident Bashar al-Assad dürfte ein Schlüsselthema des kommenden Jahres werden. Sein Sturz könnte bedeutsame Umwälzungen nach sich ziehen: im Libanon, wo die mit Syrien eng verbündete Hisbollah dominiert; in Palästina, wo die Hamas ihre Kontrolle über den Gazastreifen zu großen Teilen der syrischen Unterstützung verdankt; und im Irak, wo die sunnitische Minderheit versuchen könnte, ihren syrischen Glaubensbrüdern nachzueifern.
Die größten Auswirkungen könnte eine erfolgreiche Revolution in Syrien auf den wichtigsten nicht-arabischen Verbündeten des Landes haben: Iran. Der Sturz Assads wäre ein schwerer Schlag für die regionalen Ambitionen Teherans und könnte möglicherweise sogar Israel in Versuchung bringen, die Gelegenheit für einen Militärschlag gegen seinen Hauptgegner zu nutzen.
Mehr Krieg
Doch das Konfliktpotential für 2012 ist noch weitaus größer. In Ostasien hat der Tod von Nordkoreas Kim Jong-il zu großer Unsicherheit geführt und Zweifel aufkommen lassen, ob sein unerfahrener Nachfolger Kim Jong-un dem Job gewachsen ist.
Der zähe Abwicklung der Besatzung Afghanistans dürfte weiter blutig, unbefriedigend und chaotisch verlaufen. Auch die chronische Instabilität in Pakistan dürfte zunehmen, solange das Land sich mit den USA nicht auf eine Taktik im Kampf gegen den Terrorismus einig wird und es in Afghanistan keinen Frieden mit den Taliban gibt. In Pakistan gilt die Angst einer erneuten Machtübernahme durch die Armee.
Money, money, money
In Europa wird 2011 als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem der Traum vom Euro zum Alptraum wurde, Griechenland de facto pleite ging und mehrere andere Länder einschließlich Italiens als Folge der Panik auf den Finanzmärkten nicht nur ihre Regierungschefs, sondern auch ihre Kreditwürdigkeit einbüßten.
2012 könnte sich die Situation noch verschärfen. Zum Beispiel dann, wenn die 26 EU-Mitglieder (alle außer Großbritannien), die ein neues Abkommen zur Regulierung der nationalen Haushalte und Staatsverschuldung vereinbart haben, sich nicht über Details einig werden. Es muss nicht so kommen, ist aber äußerst wahrscheinlich.
Unwägbarkeiten
2012 ist ein wichtiges Jahr für Venezuelas Präsident Hugo Chavez, der ebenfalls wiedergewählt werden möchte. Ein Wechsel an der Regierungsspitze Venezuelas hätte große Auswirkungen auf seinen kleinen Verbündeten, das kommunistisch-katholische Kuba, das 2012 mit dem Papstbesuch für eines der kurioseren Ereignisse sorgen wird.
Mit Blick auf das wichtigste umweltpolitische Thema, die globale Erwärmung, lässt sich wohl mit Sicherheit nur eines sagen: Das Klima wird sich von den kümmerlichen internationalen Verhandlungserfolgen kaum beeindrucken lassen und sich weiter wandeln.
In diesem Sinne: Ein frohes neues Jahr!
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.