Schwarz. Schön. Selten

Vielfalt Sie wolle jetzt mit Latinos Salsa tanzen, sagte Bethann Hardison, als sie aus dem Modegeschäft ausstieg. Nun ist sie zurück - und wirbt für Schwarze auf dem Laufsteg

Die größte Modegeschichte des Jahres 2008 hatte nichts mit Haremshosen, der Mantel-oder-Cape-Frage oder der Rückkehr der Brogue-Schuhe zu tun. Vielmehr war eine Industrie, die sonst nicht gerade durch ihr krisenanfälliges Selbstverständnis auffällt, gezwungen, sich ein paar unbequeme Fragen zu stellen. Zum Beispiel, ob auf den Seiten der Hochglanzmodemagazine oder den Laufstegen der internationalen Designer Rassismus herrscht.

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Weiß wie Schnee - Über Rassismus auf dem Laufsteg

Diese von vielen für längst überfällig gehaltene Debatte wäre nicht ohne eine Frau namens Bethann Hardison zustande gekommen. In den sechziger Jahren war sie die erste schwarze Verkäuferin im New Yorker Garment District, in den Siebzigern das erste schwarze Laufstegmodel. In den darauf folgenden zwei Jahrzehnten betrieb sie als eine der wenigen schwarzen Frauen eine eigene Modelagentur (für sowohl schwarze als auch weiße Kunden). In der Modebranche ist sie so bekannt, dass sie meist nur bei ihrem Vornamen genannt wird - wie Naomi oder Imam, zwei Models, für die sie seit vielen Jahren Vertraute und Mentorin zugleich ist.

In den vergangenen eineinhalb Jahren hat Hardison in New York in einer Reihe von Veranstaltungen das in der Modeindustrie lange als Tabu gehandelte Thema zur Sprache gebracht. “Ich wusste, dass ich etwas bewirken kann,” erzählt Hardison heute. Auf jeder der Zusammenkünfte saß sie vorne und bat anwesende Freunde und Bekannte aufzustehen und das Wort zu ergreifen. Zutage kam, wie “weiß” die Modeindustrie tatsächlich ist – dass einige Modehäuser seit Jahren kein einziges schwarzes Model mehr engagiert haben, dass in Amerika eine Vogue-Ausgabe nach der anderen ohne ein einziges schwarzes Model in den Modestrecken erscheint. Dass Castingagenten einfach bestimmen, wenn es in einer Saison “keine Ethnos” geben solle. Dass Redakteure behaupten, mit schwarzen Models ließen sich keine Magazine verkaufen. Dass in den Bildunterschriften selbst die Namen der wenigen erfolgreichen Models durcheinander gebracht werden. Dass Designer immer höchstens zwei schwarze Models buchen, weil ihre Shows sonst angeblich zu “einem Schwarzen-Ding” würden. Dass schwarze Models niedrigere Gagen erhalten, als ihre weißen Kolleginnen. Iman drückt es bei einem der ersten Treffen so aus: “In jeder anderen Industrie würde das als Rassismus gelten und die Verantwortlichen würden vor Gericht gestellt werden.”

Branche der Wankelmut und Eifersucht

Eigentlich hatte Hardison ihre Modelagentur längst verkauft und sich aus der Branche zurückgezogen. Sie ziehe es vor, in einer Hängematte in Mexiko zu liegen und mit hübschen dünnen Latinojungs Salsa zu tanzen, hatte sie erklärt. Es war Naomi Campell, die sie schließlich überredete, aus dem Ruhestand zurückzukehren und aktiv zu werden: “Alle paar Monate rief sie mich an und sagte: Es gibt keine schwarzen Mädchen. Du musst etwas tun.”

Hardison hatte ideale Vorraussetzungen für die Mission. Sie war nicht mehr aktiv im Modelbiz tätig, und wollte in finanzieller Hinsicht nichts erreichen. In einer Branche die für Wankelmut, Egomanie und Eifersucht bekannt ist, wird ihr mit Respekt und Anerkennung begegnet. Sie entschloss sich zu handeln und schrieb Imam eine E-Mail: “Ist dir aufgefallen, dass in den letzten zehn Jahren schwarze Models zu einer bloßen Kategorie reduziert worden sind? Ruf mich an.”

Nun sitzt sie in ihrer kleinen New Yorker Wohnung nahe Bryant Park, nur einen kurzen Fußweg entfernt vom Garment District, wo sie vor vielen Jahren bei einer Firma, die Knöpfe herstellte, den Einstieg ins Berufsleben machte. An den Wänden hängen Gemälde, die größtenteils schwarze Frauen zeigen, außerdem ein großes gerahmtes Poster aus Andy Warhols American Indian-Serie. Sie ist müde. Weil sie gestern wieder ein Kampagnentreffen abgehalten hat und weil Ramadan ist und sie fastet.

Wenn sie über die nicht vorhandene Vielfalt auf den Laufstegen nachdenkt, ärgert sie am meisten, “dass es sie schon einmal gegeben hat, sie aber wieder verschwunden ist.” In den siebziger und achtziger Jahren, erinnert sie sich, in den Nachwehen der Bürgerrechtsbewegung, habe es vielmehr Models verschiedener ethnischer Hintergründe gegeben als dieser Tage. Damals waren die schwarzen Models die Stars.

“Hat man die Spitze des Berges einmal erklommen, erwartet man nicht, sich irgendwann einmal wieder am Boden wiederzufinden. Wir waren schon angekommen, hatten schon so viel erreicht.” Sie setzt sich noch ein wenig aufrechter, reckt das Kinn. Man ahnt, wie atemberaubend sie als junge Frau ausgesehen haben muss, als sie für Oscar de la Renta oder Halston über die Laufstege schritt. “Aber wir sind wieder in der Versenkung verschwunden.”

Weiße Maßstäbe

Wer nichts mit Mode am Hut hat, fragt sich vielleicht, warum dieses Thema überhaupt wichtig ist, warum es irgendjemanden kümmern sollte, wer in irgendeiner Bildstrecke irgendeines Modemagazins oder auf irgendeinem Laufsteg einen Mantel für tausende von Euro zu Schau trägt, den die meisten Menschen sich ohnehin niemals leisten können. Keine Frage für Hardison: “ Die Mode sollte die Gesellschaft widerspiegeln. Diese Industrie soll modern sein, ist aber die unmodernste von allen. Bei der Mode geht es nicht nur um den Fall eines Kleides.” Das Besorgniserregende ist, dass eine Generation junger Frauen - schwarze wie weiße - mit dem Eindruck heranwächst, es gäbe nur einen Maßstab für Schönheit - und dass dieser weiß sei.

Die Gründe dafür, dass in der Modebranche in Sachen ethnischer Diversität eine Rückwärtsentwicklung stattgefunden hat, sind komplex. Zudem beschuldigt man sich gegenseitig – die Modelagenturen beschuldigen die Castingagenturen, die Mode-Redakteure die Leser, die Designer die Modelagenturen.

Bei sich selbst sucht niemand die Gründe. “Ich denke gar nicht in schwarz oder weiß,” sagt die Stylistin Katie Grant. “Nur darüber, wer in den Kleidern am besten aussieht.” Die Designerin Katherine Hamnet hingegen behauptet, sie verstehe die Situation nicht: “Das Komische ist, dass die kaukasischen Models eigentlich benachteiligt sind. Nur sehr wenige von ihnen sind Model-Material. Schwarze und indische Mädchen haben viel bessere Gesichter und eine viel bessere Figur als weiße. Punkt. Warum weiße Mädchen unverändert beliebt sind, ist mir ein Rätsel. Vielleicht weil die Käuferinnen überwiegend weiß sind, oder es zumindest gern wären? Ich weiß es nicht.”

In den USA, wo 30 Prozent der Bevölkerung nicht weiß sind und schwarze Frauen die kollosale Summe von 20 Milliarden Dollar für Mode und Kosmetikartikel ausgeben, ist das Thema besonders sensibel. Während die amerikanischen Medien, teils äußert erfolgreich, eine multi-ethnische Gesellschaft widerspiegeln, bleibt die Modeindustrie weiß wie halbgekochte Hühnerschenkel.


Reaktionäre Kräfte

“In diesem Land gibt es immer noch sehr starke reaktionäre Kräfte,” erklärt Veronica Webb, eine der ersten schwarzen Amerikanerinnen, die in den 80ern erfolgreich als Model Karriere machte und das erste schwarze Model überhaupt, dass einen Vertrag mit der Kosmetikfirma Revlon abschloss. “Und sie sitzen an der Basis der Macht. Das ist unsere nationale Krankheit. Wenn man wegen seiner Hautfarbe abgelehnt wird, kann man nichts mehr machen.” Trotzdem weiß auch sie wie es ist, von einem der größten französischen Häuser abgelehnt zu werden: “Ich war mit dem beteiligten Fotografen befreundet. Er sagte mir, der Kunde wolle nicht, dass seine Accessoires unter den Schwarzen zu Statussymbolen würden.”

Andere Schwarze in der Modeindustrie überrascht diese Geschichte nicht. Das Ex-Model Beverly Bond, dass in Anlehnung an den siebziger Jahre-Slogan "Black is Beautiful", eine Gruppe namens “Black Girls Rock” für junge schwarze Mädchen ins Leben gerufen hat, berichtet bei Vorsprechen gewesen zu sein, “bei denen man die schwarzen Mädchen abwies, ohne auch nur einen Blick in ihre Bücher zu werfen. Das ist rassistisch. Stellen Sie sich das mal bei einem Vorstellungsgespräch für einen Job vor. Es ist unfassbar, wie weit die Modeindustrie hinterherhinkt und damit auch noch durchkommt.” Sie hat das Modeln schließlich aufgegeben und als DJane Karriere gemacht. “Letztlich lassen schwarze Models sich entmutigen. Egal wie heiß du aussiehst - du wirst nie heiß genug sein.”

Wenn Designer und Stylisten sich in die Debatte einschalten, betonen sie häufig den zyklischem Charakter der Branche und dass Trends kommen und gehen. Trotzdem: Der Wandel vollzieht sich unerträglich langsam. Katie Grand, die in der Herbstsaison 2008 an vier Shows mitgearbeitet hat, meint “Die Agenturen könnten mehr machen. Ich habe jedes Mädchen gesehen, aber es waren nur sehr wenig schwarze dabei.” Für die Louis Vuitton-Schau buchte sie unter vierundfünfzig Models nur vier schwarze.

Schmerz des Verschwindens

Carol White, Eigentümerin der Modelagentur Premier Model Management, hat insgesamt 200 Models unter Vertrag. Nur sieben davon sind schwarz oder asiatischer Abstammung. Und die müssen, berichtet ihre Chefin, doppelt so hart arbeiten wie weiße Models um einen Job zu kriegen. White sagt außerdem, die Dominanz der weißen Ästhetik durchdringe alle Bereiche der Branche: “Früher machten die Fotographen eine fünfjährige Ausbildung, in Rahmen derer sie auch in Beleuchtung und Druckverfahren geschult wurden,” erklärt sie. “Heute arbeiten sie mit Digitalkameras und wissen wahrscheinlich gar nicht, wie sie ein schwarzes Mädchen ausleuchten sollen. Gleiches gilt für die Make-Up-Artists. Schwarze Visagisten wie Pat McGrath vollbringen Wunder an weißen Models, den umgekehrten Fall beobachtet man aber nie. Das liegt wohl an Unwissenheit und Angst. Sie können einfach nicht damit umgehen.”

Es wird zwar selten ausgesprochen, doch man geht davon aus, dass die weiße Leserschaft weiße Models sehen will, dass weiße Frauen sich selbst auf den Laufstegen wieder erkennen wollen. “Die Redakteure sagen, die Leser machen das nicht mit und die Sachen würden sich so nicht verkaufen,” berichtet das schwarze Ex-Model Barbara Summers, das die Bücher Black and Beautyful und Open the unusual Door geschrieben hat. “Das ist aber Selbstbetrug. Sie projizieren ihr eigenes Versagen auf andere. Das ist feige. Ironischerweise schrumpft die Industrie im Zuge der aktuellen Finanzkrise. Sie wird nicht wieder wachsen, wenn sie in alten Vorstellungen verhaftet bleibt. Man kann den eigenen Kundenstamm nicht erweitern, wenn man nur Produkte für weiße Mädchen macht.”

Davon abgesehen, sagt Rebecca Carol, führe die mangelnde Präsenz schwarzer Models dazu, dass dunkelhäutige Mädchen in dem Bewusstsein aufwüchsen, auch über das Äußere hinaus nicht wahrgenommen und für schön gehalten zu werden: “Das tut weh,” sagt sie. “Niemand wird gern ausgeschlossen. Sie denken sie existierten nicht, und seien den Leuten deshalb egal.

In der Exotik-Falle

Sieht man in den Zeitschriften doch einmal schwarze Models, dann werden sie immer wieder auf eine bestimmte Weise inszeniert und dargestellt, weiß Zoe Whitley. Sie hat ihre Doktorarbeit über die Darstellung von Schwarzen in der Vogue verfasst und bemerkt, dass diese in den meisten Magazinen immer wieder im Zusammenhang mit animalistischen Mustern und Symbolen gezeigt werden. Gewisse Posen und Gesichtsausdrücke – kriechen, Luftsprünge, Lachen – tauchen immer wieder auf. Mit Accessoires, Schmuck und Farben wie knalliges Türkis, rot oder weiß wird bewusst der Kontrast zwischen Material und Haut herausgestellt. “Das kann überwältigend schön sein,” sagt Whitley. “Aber man bekommt nicht gerade den Eindruck, dass man auch einmal ein Model in einer Strecke zum Thema Tweed oder gedeckten Farben sehen könnte.” Andererseits werden weiße Models in einer fremden Umgebung wie einer afrikanischen Landschaft oder Indien fotografiert, um den Eindruck von Exotik zu erzeugen: “So erscheint das weiße Model exotisch und man braucht überhaupt nicht mehr auf ein Schwarzes zurückgreifen.”

Whitleys These zufolge schaffen Schwarze es, wenn überhaupt nur im Februar, auf die Titelseiten, dem Monat in dem traditionell am wenigsten Druckerzeugnisse über die Ladentheken gehen: “So wird das Argument mit den niedrigen Verkaufszählen zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.” Während Whitleys Kindheit in Washington und Los Angeles pflegte ihrer Familie sofort jede Zeitschrift zu kaufen, von deren Titelseite eine schwarze Person blickte. Sie dachten, die Auflage so im Alleingang steigern zu können.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Louise France, The Observer | The Guardian

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