Die zwölfjährige Julia hat feste Ansichten – „Ich bin Atheistin. Ich glaube an den Urknall und so. Ich singe keine Kirchenlieder und ich bete nicht. In meiner Schulklasse bin ich die einzige Nicht-Christin und das kann manchmal zu Problemen führen. Manche Leuten finden mich ein bisschen komisch.“
Dann, als es zu regnen beginnt, flitzt sie in ein großes Armeezelt und gesellt sich zu ihren Freunden, um an der ersten Sitzung des Tages teilzunehmen. Das Thema ist Philosophie.
Wir befinden uns im Camp Quest, angeblich Großbritanniens erstes Ferienleger für junge Atheisten. Es ist gerade mal der dritte von fünf Programmtagen, doch die in den sumpfigen Feldern von Somerset stattfindende Veranstaltung hat bereits einige Resonanz in den Medien hervorgerufen (die Daily Mail betitelte es als Camp Faithless) und auch die Church of England zeigt sich wenig überraschend skeptisch.
Das Lager soll eine Alternative zu traditionellen christlichen Ferienlagern bieten. Morgens diskutieren die Teilnehmer philosophische Ideen und erweitern ihr Wissen in Fächern wie Astronomie. An den Nachmittagen stehen übliche Sommerlager-Aktivitäten wie Schwimmen, Laufen, Klettern oder Rudern auf dem Programm. Abends sitzt man – wenn es nicht gerade regnet – um das Lagerfeuer herum und grillt Marshmallows.
Julia hat das Gespräch über Charles Darwin großen Spaß gemacht. Genau so schön fand sie es aber auch, über eine riesig hohe Mauer zu klettern. „Das Beste ist aber, dass einem hier nicht gesagt wird, was man glauben soll – man soll einfach etwas glauben und dann dabei bleiben.“
Ein von Religion ungetrübtes Ferienlagererlebnis
Das erste Camp Quest fand 1996 in den USA statt. Mit Unterstützung der Richard-Dawwkins-Foundation wurde dann Camp Quest UK ins Leben gerufen, um den Kindern von „Atheisten, Agnostikern, Humanisten, Freidenkern und all denjenigen, die eine naturalistische einer übernatürlichen Weltanschauung vorziehen“ ein von Religion ungetrübtes Ferienlagererlebnis zu bieten.
Dreiundzwanzig Kinder im Alter von sechs/sieben aufwärts (das Alter des jüngsten Kindes ist umstritten: die Organisatoren meinen sieben – der kleine Leroy beharrt aber darauf, er sei sechs) sind beim Matsch- und Denkfest in Somerset dabei.
An diesem Morgen war als erstes Philosophie dran. Ausgangspunkt der Stunde war Hans Christian Andersens Geschichte über Des Kaisers neue Kleider. Dianna Moylan, eine 67-jährige Lehrerin, Scheunentanz-Musikerin und „erfolgreiche Künstlerin – nicht gescheiterte Christin“, trägt das Märchen vor und teilt die Kinder dann in Gruppen ein, wo sie über die Geschichte sprechen und sich dann philosophische Fragen dazu überlegen sollen.
Zuerst muss aber einmal geklärt werden, was eine philosophische Frage überhaupt ist. Als Matthew, einer der Jungs, „Warum sind wir hier?“ vorschlägt, wird das als Beispiel für eine philosophische Frage gewertet, nicht als Beschwerde.
Weiter geht es mit der Frage, warum die Schneider den Kaiser hinters Licht führen. Brauchen sie das Geld, weil sie arm sind? Und wäre ihr Handeln damit zu rechtfertigen? Julius, der beinahe in seiner großen, blauen Regenjacke ertrinkt, ist beeindruckt von dem kleinen Jungen, der am Schluss aus der Menge heraustritt, auf den Kaiser zeigt und sagt, dass dieser nackt sei. Moylan fragt Julius, ob er denke, dass auch er Recht haben könne, selbst wenn ältere Menschen ihm sagten, er habe Unrecht? „Klar kann ich Recht haben“, antwortete der Jüngste der Gruppe.
"Die fragen uns nie was"
Julia fragt, warum ältere Menschen nie auf jüngere hören. „Die fragen uns nie was.“ Am Ende kehren sie mit zwei Fragen zurück in die größere Gruppe: Wenn alle an eine Sache glauben – wie zum Beispiel die Idee, der Kaiser habe wirklich etwas an – ist das dann so gut wie eine Tatsache? Und zweitens: Gibt es Situationen, in denen es gerechtfertigt ist zu lügen?
Moylan ist sehr angetan. „Wir machen sie zu denkenden Menschen, nicht zu Atheisten. Denkt, trefft eure eigenen Entscheidungen!“ Nach einer kurzen Pause geht es mit Astronomie-Unterricht beim dänischen Gründer der Southhamptoner Atheist Society weiter.
Zunächst erklärt Jens Christensen, wie wir alle mit den Planeten in Verbindung stehen. Wie sind wir geschaffen und wo kommen wir her? Leroy, der darauf besteht, erst sechs zu sein, schreit: „Sternenstaub“. Christensen gibt im in gewisser Weise Recht. „Wir sind alle Teil des Universums und das Universum ist ein Teil von uns.“
Dann fragt jemand, wie groß das Universum denn eigentlich sei und die Sache wird kompliziert. Das gefällt der Leiterin des Camps, Samantha Stein: „Wir versuchen ihnen beizubringen, wie man denkt, nicht was sie denken sollen. Wir sorgen dafür, dass sie das Camp mit 101 Fragen an ihre Eltern und Lehrer verlassen. Und das kann nur etwas Gutes sein.“
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