Die Briten tun gut daran, sich hin und wieder daran zu erinnern, dass ihr Nationaldichter ihnen nicht allein gehört und der Mann, der von den Hörern des Radiosenders Radio 4 zum Briten des Jahrtausends gewählt wurde, auch in zahlreichen anderen Ländern quasi als Einheimischer betrachtet wird – seine Stücke wurden bis heute in über 90 Sprachen übersetzt.
Die erste von ihnen war Deutsch und die Deutschen waren auch die ersten, die Anspruch auf Shakespeare erhoben. August Wilhelm Schlegel nannte ihn „ganz unser“ und Berichte über Tourneen deutscher Adaptionen von Romeo und Julia und Hamlet reichen bis ins erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zurück. Manifest wurde der Einfluss des großen Briten auf die deutsche Kultur dann aber erst im 18. Jahrhundert. Seitdem hat eine Generation deutscher Stückeschreiber, Schauspieler und Philologen nach der anderen seine Werke immer wieder neu gestaltet und -erfunden.
Die Dichter des Sturm und Drang feierten ihn als ihre Inspirationsquelle und sahen in als ihren Geistesverwandten. In einer Rede, die Goethe vor einer Gruppe von Freunden 1771 in Frankfurt über Shakespeare hielt, sagte er, er habe sich nach der Lektüre des ersten vollständigen Stückes gefühlt wie ein Blinder, dem durch eine wundersame Heilung das Augenlicht geschenkt wurde. Goethe war damals gerade einmal 22 Jahre alt. Shakespeare werde helfen, das deutsche Theater aus der Zwangsjacke des neoklassischen französischen Dramas zu befreien, nach dem es modelliert war.
1766 waren bereits 22 von Shakespeares Stücken in deutscher Prosaübersetzung erschienen und die erste vollständige Werkausgabe kam zwischen 1775 und 1782 heraus. Zwischen 1818 und 1838 wurden acht weitere komplette Werkübersetzungen veröffentlicht, zu denen auch die Ausgabe in Vers- und Prosaform von Schlegel, den Tiecks und Wolf Heinrich Graf von Baudissin gehörte, die zum Maßstab aller folgenden Übersetzungen wurde. Die weltweit erste wissenschaftliche Shakespeare-Gesellschaft wurde 1864 in Weimar gegründet und veranstaltet auch heute noch eine jährliche Konferenz. 1904 wurde in Weimar auch eine Shakespeare-Statue errichtet, die dort ebenso zuhause zu sein scheint wie die Standbilder Wielands, Goethes und Schillers.
Deutsche Arbeiten, Übersetzungen und Inszenierungen trugen maßgeblich zur Verbreitung Shakespeares in Europa bei. Friedrich Ludwig Schröders Hamlet-Inszenierung von 1776 regte Inszenierungen und Übersetzungen in Ungarn und Polen an. Gleichzeitig begründete sie eine an Besessenheit grenzende und nicht ablassende Faszination der Deutschen mit dem Stück, die exemplarisch in dem Gedicht „Deutschland ist Hamlet“ zum Ausdruck kommt, das Ferdinand Freiligrath 1844 verfasste.
Die Deutschen begannen sogar noch vor den Briten, mit der Rekonstruktion des elisabethanischen Theaters zu experimentieren. 1836 stellte Ludwig von Tieck Pläne für einen Nachbau des Londoner Fortune Playhouse vor und 1889 wurde ein Münchener Theater mit einer Shakespeare-Bühne ausgestattet. Eine kleine Rekonstruktion des Londoner Globe Theatre eröffnete 1988 in Rheda-Wiedenbrück, bevor es nach Neuss in der Nähe von Düsseldorf umgesiedelt wurde. Seit 1991 findet dort in jedem Jahr ein internationales Shakespeare-Festival statt.
Heute gibt es in Deutschland jedes Jahr mehr neue Shakespeare-Reproduktionen als in England. Norbert Kentrup, künstlerischer Direktor bei Shakespeare und Partner und der erste Schauspieler, der im Globe-Theater 1998 den Shylock darstellte, bedauerte den Umstand, dass Shakespeares Sprache nicht seine Muttersprache ist. Gleichzeitig äußerte er aber die Auffassung, in der Übersetzung liege eher eine Chance, als dass sie einen Kompromiss darstelle, denn sie ermögliche es deutschen Schauspielern, Shakespeares Stücke in ihrem heutigen, modernen Deutsch zu spielen, während ihre britischen Kollegen nur das frühneuzeitliche Englisch zur Verfügung hätten.
Goethe wäre wohl kaum überrascht über eine Spielzeit unter dem Titel „Shakespeare is German“, wie sie am Londoner Globe am vergangenen Donnerstag eröffnet wurde. Überrascht hingegen wäre er aber wahrscheinlich darüber, zu sehen, dass die Veranstaltungsreihe in frühneuzeitlichem Gewand daherkommt. In dem Aufsatz: Shakespeare und kein Ende, den er zwischen 1813 und 1816 geschrieben hat, heißt es: „[M]an [dürfte] uns wohl schwerlich in jene Kindheit der Anfänge wieder zurückführen [...]: vor ein Gerüste, wo man wenig sah, wo alles nur bedeutete, wo sich das Publicum gefallen ließ, hinter einem grünen Vorhang das Zimmer des Königs anzunehmen, den Trompeter der an einer gewissen Stelle immer trompetete, und was dergleichen mehr ist. Wer will sich nun gegenwärtig so etwas zumuten lassen?“
Die Programmreihe Shakespeare is German am wurde am Donnerstag, den siebten Oktober mit der Buchpräsentation Goethe on Shakespeare eröffnet, das neue Übersetzungen der goetheschen Essays von Michael Hofmann und David Constantine enthält.Shakespeares Globe
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