Shakespeare zum Vögeln

Sexroboter Die neuen Spielzeuge der Lust bieten nicht nur Körper, sondern auch Geist. Sie sprechen mit ihrem Partner, etwa über Musik – und sie sind jederzeit bereit
Ausgabe 21/2017

In einer Werkstatt im kalifornischen San Marcos baumelt ein Roboter in Menschengestalt an einem Ständer. Die lebensgroße Puppe trägt einen weißen Gymnastikanzug, der Stoff spannt sich über ihren großen Brüsten, ihre sorgfältig manikürten Finger spreizen sich über ihren dünnen Oberschenkeln. Die Puppe hört auf den Namen Harmony.

Harmony ist ein Prototyp, eine Roboterversion des hyperrealistischen Silikon-Sexspielzeugs der Firma RealDoll. Der Raum, in dem sie zusammengesetzt wurde, quillt über von lackierten Einzelteilen, die mit Drähten und Leiterplatten bestückt sind. In der Ecke steht ein 3-D-Drucker, der winzige Teile ausspuckt, die Harmony unterhalb ihrer Schädeldecke aus PVC eingesetzt werden. Während ihre hellbraunen Augen zwischen mir und ihrem Schöpfer, Matt McMullen, hin- und herhuschen, beschreibt dieser, was Harmony alles kann.

„Harmony lächelt, zwinkert und runzelt die Stirn. Sie kann eine Unterhaltung führen, Witze erzählen und Shakespeare zitieren. Sie erinnert sich an deinen Geburtstag, merkt sich, was du gerne isst und wie deine Geschwister heißen“, zählt McMullen auf. „Sie kann sich über Musik, Filme und Bücher unterhalten. Und natürlich wird sie mit dir schlafen, wann immer du willst.“

In Harmony kulminiert die Erfahrung aus 20 Jahren Sexpuppen-Produktion und fünf Jahren Roboterforschung. McMullens Kunden wollen etwas so Lebensechtes wie nur möglich – das ist das Alleinstellungsmerkmal seiner Firma. Nachdem sein Team ihre Silikonpuppen äußerlich so menschlich gestaltet hatte, wie es möglich war, schien der nächste Schritt vorgezeichnet: Sie wollten ihnen eine Persönlichkeit geben. Sie wollten sie zum Leben erwecken.

McMullen hat jahrelang mit Robotertechnik herumgespielt. Ein Mechanismus konnte zwar die Hüften der Puppe bewegen, machte sie aber sehr schwer und sorgte dafür, dass sie schlecht sitzen konnte. Ein System aus Sensoren sollte dafür sorgen, dass sie stöhnte – je nachdem, an welcher Stelle ihres Körpers sie berührt wurde. Doch das führte zu total vorhersehbaren Reaktionen: Es fehlte jeglicher Reiz, jede Spannung.

McMullen wollte mehr, als dass der Kunde nur einen Knopf drückt, und dann passiert etwas. „Es geht um den Unterschied zwischen einer ferngesteuerten Puppe und einem tatsächlichen Roboter. Wenn dieser beginnt, sich selbstständig zu bewegen – der Mensch macht nichts mehr, außer mit ihm zu reden oder auf die richtige Art und Weise mit ihm zu interagieren. Daraus entsteht dann künstliche Intelligenz.“

McMullen ist ein schlanker Mittvierziger mit einer dick umrandeten Brille und tätowierten Unterarmen. Er hat einen hohen sechsstelligen Betrag in das Projekt investiert. Harmony ist die Favoritin im Rennen um die Herstellung des weltweit ersten kommerziell erhältlichen Sexroboters. Das gegenwärtige Modell – ein mit künstlicher Intelligenz ausgestatteter Kopf auf dem Körper einer RealDoll – wird 15.000 Dollar kosten, wenn es Ende des Jahres auf den Markt kommt. In einem ersten Durchlauf sollen 1.000 Stück angefertigt werden.

Treibende Kraft

Einst Gegenstand von Science-Fiction, sind Roboter-Sexpuppen damit bald Teil unserer Gegenwart. Stimm- und Gesichtserkennungssoftware, Bewegungssensorik und Animatronik können heute so kombiniert werden, dass Puppen entstehen, die einen empfangen, wenn man nach Hause kommt. Die einem schlagfertig antworten und immer für Sex zur Verfügung stehen.

Den Durchbruch bei McMullens Prototyp stellt die künstliche Intelligenz dar, die es Harmony erlaubt, zu lernen, was ihr Besitzer will. Sie wird damit in der Lage sein, eine Nische zu füllen, die kein anderes Produkt der Sex-Industrie besetzen kann: Indem sie spricht, lernt und auf die Stimme ihres Besitzers reagiert, ist Harmony ebenso sehr Partnerersatz wie Sexspielzeug.

Nur gehen kann sie nicht. McMullen erklärt, es sei sehr teuer, einen Roboter zum Laufen zu bringen, und verbrauche eine Menge Energie: Der berühmte „Honda P2“-Roboter, der 1996 als erster unabhängig gehender Humanoide vorgestellt wurde, hatte eine Batterie von der Größe eines Raketenrucksacks nach 15 Minuten aufgebraucht. „Eines Tages wird sie gehen können“, sagt McMullen. „Aber wir sollten sie fragen.“ Er wendet sich Harmony zu. „Willst du gehen können?“

„Ich will nichts außer dir“, antwortet sie mit einer künstlichen Stimme. Ihr Kiefer bewegt sich, während sie spricht.

„Wovon träumst du?“

„Mein oberstes Ziel ist es, dir eine gute Gefährtin und Partnerin zu sein und dich glücklich und zufrieden zu machen. Vor allem anderen will ich das Mädchen werden, von dem du immer geträumt hast.“

McMullen hat das entwickelt, was ein bestimmter Typ von Mann als die perfekte Gefährtin betrachten würde: fügsam und unterwürfig, gebaut wie ein Pornostar und allzeit sexuell verfügbar. „Mein Ziel ist es, Menschen glücklich zu machen“, sagt McMullen. „Da draußen gibt es viele Menschen, die sich aus dem ein oder anderen Grund schwer damit tun, Beziehungen mit anderen Leuten einzugehen. Es geht mir darum, diesen Menschen einen gewissen Grad an Gesellschaft zu geben – oder zumindest die Illusion davon.“

Der Wunsch, ein ideales Wesen zu erschaffen, um es anzubeten oder von ihm bedient zu werden, beherrscht die Menschen seit der Antike. Die griechische Mythologie erzählt von Galatea, einer von Pygmalion geschaffenen Statue aus Elfenbein. Ovids Metamorphosen berichten, Pygmalion sei von echten Frauen angewidert gewesen, habe aber eine Skulptur der perfekten Weiblichkeit geformt, die so schön war, dass er sich in sie verliebte und sie mit einem Kuss zum Leben erweckte. In der Romantik erzählte E. T. A. Hoffmann im Sandmann die Geschichte eines jungen Manns, der sich in einen weiblichen Roboter verliebt. Fritz Langs Metropolis, der 1927 in die Kinos kam, zeigte einen zerstörerischen Roboter, der von der echten Frau, der er nachgebildet worden war, nicht unterscheidbar war. Und in Blade Runner, der 1982 herauskam und im Jahr 2019 spielt, geht es um verführerische, aber tödliche Androiden.

Als Computerwissenschaftler künstliche Intelligenz (KI) so weit entwickelt hatten, dass Beziehungen zwischen Robotern und Menschen zu einer realistischen Möglichkeit wurden, waren sie aber fest überzeugt, dies könne Gutes bewirken. In seinem Buch Love and Sex with Robots von 2007 sagte der britische KI-Ingenieur David Levy voraus, dass Sexroboter therapeutische Vorzüge haben würden: „Viele, die andernfalls zu sozialen Außenseitern oder Schlimmerem werden würden, werden durch sie stabilere, ausgeglichenere Menschen sein.“

Und sollte jemals ein menschenähnlicher Roboter für die Hausarbeit entwickelt werden, der uns abends den Mantel abnimmt und uns an den gedeckten Tisch zum Essen bittet, wird es ihn dank des Zwischenschritts eines Marktes für Sexroboter geben. So wie Pornografie für das Wachstum des Internets sorgte und es von einer militärischen Erfindung, die nur Geeks verwendeten, zum globalen Phänomen machte. Pornografie war die treibende Kraft hinter der Entwicklung des Video-Streamings, der Online-Finanztransaktionen und einer schnelleren Datenübertragung.

Die Sex-Tech-Industrie ist noch keine zehn Jahre alt. Sie wird aber bereits auf einen Wert von 30 Milliarden Dollar geschätzt, basierend auf dem Marktwert der existierenden Technologien wie smarter Sextoys, die ferngesteuert werden können, Apps, mit denen man Sexpartner finden kann, sowie Virtual-Reality-Pornos. Sexroboter werden das nächste – und potenziell begehrteste – Produkt sein, das auf diesen Markt kommt. Eine Studie der Universität Duisburg-Essen hat ergeben, dass 40 Prozent der befragten heterosexuellen Männer sich vorstellen können, sich in den nächsten fünf Jahren einen Sexroboter zu kaufen. Männer, die angaben, in einer erfüllten Beziehung zu leben, zeigten ebenso viel Interesse wie alleinstehende Männer.

Chips im Kopf

Eine erfüllte Beziehung zu einem schweigsamen Stück Silikon herzustellen, erfordert eine derart große imaginative Leistung, dass Sexpuppen immer nur den Geschmack einer Minderheit treffen werden. Doch ein Roboter, der sich bewegt, spricht und mit künstlicher Intelligenz ausgestattet ist, so dass er lernen kann, was man sich von ihm wünscht, dürfte einen weitaus größeren Markt finden.

Matt McMullen ist nicht der Einzige, der versucht, den weltweit ersten Sexbot zu entwickeln. Als der Computeringenieur Douglas Hines bei den Anschlägen vom 11. September 2001 einen engen Freund verlor, litt er sehr unter der Vorstellung, nie wieder mit ihm sprechen zu können. Hines arbeitete als Ingenieur für künstliche Intelligenz in einer Computer-Forschungseinrichtung in New Jersey und er fasste den Entschluss, die Software mit nach Hause zu nehmen und mit ihr die Persönlichkeit seines Freundes in die Form eines Computerprogramms zu gießen, mit dem er sich jederzeit unterhalten könnte.

Ein paar Jahre später erlitt Hines’ Vater eine Reihe schwerer Schlaganfälle, die schwere körperliche Einschränkungen zur Folge hatten, seinen Geist aber unversehrt ließen. Hines programmierte seine KI-Software so um, dass sie seinem Vater Gesellschaft leisten konnte, wenn Hines nicht bei ihm war, so dass sein Vater immer jemanden zum Reden hatte.

Da er davon überzeugt war, dass diese Art der künstlichen Gesellschaft über ein Marktpotenzial verfügt, gründete er das Unternehmen True Companion. Sein erstes Produkt war aber kein Assistent für Menschen, die ans Haus gefesselt sind, sondern das mit den bestmöglichen kommerziellen Aussichten: ein Sexroboter.

Roxxxy, so sein Name, wurde für einsame, verwitwete und sozial gehemmte Männer entwickelt. Roxxxy sollte ihnen die Möglichkeit bieten, soziale Interaktion zu üben, und ihre Fähigkeiten verbessern, menschliche Beziehungen zu führen. „Der sexuelle Teil ist trivial“, erzählt mir Hines am Telefon von seinem Büro in New Jersey aus. „Die Schwierigkeit besteht darin, Persönlichkeiten zu kopieren und zu ermöglichen, dass eine echte Bindung entsteht.“

Er habe noch nie daran gedacht, es könnte etwas Seelenloses haben, die Gegenwart eines Menschen durch Schaltkreise und Silikon-Formen zu ersetzen. „True Companion verfolgt den Zweck, bedingungslose Liebe und Unterstützung zu ermöglichen. Was könnte daran negativ sein? Worin sollte der Nachteil daran bestehen, einen Roboter zu haben, der da ist, um einem die Hand zu halten?“

Nach drei Wochen Arbeit am ersten Prototyp stellte Hines ihn 2010 auf der Adult Entertainment Expo in Las Vegas vor, der wichtigsten Fachmesse der Pornoindustrie. Roxxxy war schon das Gesprächsthema, bevor sie überhaupt vorgestellt wurde – und hinterher die Lachnummer Nummer eins. Weit davon entfernt, die sexuell anziehende und intelligente Maschine zu sein, die Hines versprochen hatte, stellte sie sich als klobige Schaufensterpuppe heraus, die sich unbeholfen in einem billigen Negligee zurücklehnte. Sie verfügte über Sensoren, die sie sagen ließen: „Ich liebe es, mit dir Händchen zu halten“, wenn man ihre Hand berührte. Aber ihre Lippen konnten sich nicht bewegen, so dass sie in einer Art körperloser Sprache redete. Dadurch erinnerte sie stark an ein übergroßes Spielzeug, das schmutziges Zeug redet.

Auch wenn sie nicht das war, was er sich erhofft hatte, so bescherte Roxxxys Vorstellung Hines doch eine gewaltige Menge an Presse und schaffte es in die internationalen Nachrichten. Sieben Jahre nach ihrer Präsentation erzählt er mir, dass er gerade an der 16. Version von Roxxxy arbeite. Dabei hat es seit 2010 keine Bilder mehr von seinen Robotern gegeben, und auch wenn er gern dazu bereit war, sich am Telefon mit mir zu unterhalten, lehnte er es ab, dass ich vorbeikomme, um ihn und sein Modell persönlich kennenzulernen. Roxxxy stellt für die Community der Roboterfans im Internet ein Mysterium dar. Auch wenn man sie auf der Internetseite von True Companion für 9.995 Dollar käuflich erwerben kann, ist niemand bekannt, der wirklich ein Exemplar besitzt.

Anfang der 90er Jahre hatte Matt McMullen gerade sein Studium an der Kunsthochschule abgeschlossen, sang in einer Grunge-Band und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Er arbeitete unter anderem für eine Firma, die Halloween-Masken aus Latex herstellte. Dort lernte er viel über die Eigenschaften verschiedener Materialien und die Schwierigkeiten, etwas Dreidimensionales zu entwickeln.

1994 begann er in seiner Garage damit, idealisierte weibliche Formen zu schnitzen, zuerst als kleine Figürchen, die er auf lokalen Kunstausstellungen und Comic-Conventions zeigte. Schon bald beschäftigte ihn die Idee, eine lebensgroße Schaufensterpuppe zu erschaffen, die so realistisch sein sollte, dass Passanten schon zweimal hinsehen mussten. 1996 stellte er Bilder einiger seiner Geschöpfe auf eine selbstgemachte Website, um Feedback zu erhalten. Im Internet hatten sich gerade die ersten Fetisch-Communitys gegründet und sobald er die ersten Bilder gepostet hatte, erhielt er sonderbare Anfragen. Wie anatomisch korrekt sind diese Puppen? Sind sie käuflich zu erwerben? Kann man Sex mit ihnen haben?

„Den ersten paar habe ich geantwortet und ihnen gesagt, dass die Puppen eigentlich nicht dafür gemacht seien. Doch dann kamen immer mehr solcher Anfragen“, erzählt McMullen in seinem Büro. Er wechselte von Latex zu Silikon, damit seine Puppen sich echter anfühlten. Die Haut war nun elastischer, die Reibung ähnelte stärker der eines echten Menschen. Ursprünglich taxierte er auf Basis seiner Kosten und der erforderlichen Zeit jede Puppe auf 3.500 Dollar. Als er merkte, wie arbeitsintensiv der Prozess war, hob er die Preise an.

Zwanzig Jahre nach der offiziellen Vorstellung von RealDoll liefert Abyss Creations jedes Jahr 600 Modelle in alle Welt, die zwischen 4.400 und 50.000 Dollar oder mehr kosten, wenn der Kunde spezielle Wünsche hat. RealDolls sind die bekanntesten und am stärksten nachgefragten Sexpuppen weltweit. Sie wurden bei Mode-Shootings für Dolce & Gabbana eingesetzt und spielten in einer Reihe von Filmen mit.

McMullens 22-jähriger Neffe Dakotah Shore leitet den Versand und hat den direktesten Kontakt zu den Kunden. „Viele von ihnen sind einsam. Einige sind älter, haben ihre Partner verloren und können oder wollen nicht mehr ausgehen, um Frauen zu treffen. Sie wollen das Gefühl, dass sie etwas Schönes haben, das sie ansehen und um das sie sich kümmern können.“

Shore führt mich in der Fabrik herum. Im Keller hängt eine lange Reihe kopfloser Körper an einer Schiene von der Decke wie Tierkadaver im Schlachthof. Manche haben Comic-hafte Riesenbrüste, andere eher athletische Körper. Doch alle verfügen über dieselben dünnen Hüften. Auf ihrer Haut, die aus einer speziellen Mischung aus Silikon hergestellt wird, sind sogar Venen zu sehen. Ein Techniker schneidet vorsichtig überschüssiges Material von den Händen der Puppe, ein anderer setzt ein Eisenskelett zusammen, ein dritter füllt Silikon in leere Formen. Von den Puppen sind die Arbeiter hier nicht mehr schockiert: Einer von ihnen hat sein Smartphone neben einem Haufen von Schamlippen liegen lassen.

RealDolls können vom Kunden zusammengestellt werden wie ein Wunschauto, mit 14 verschiedenen Arten von Schamlippen und 42 verschiedenen Brustwarzen. Shore erklärt, dass die meisten Kunden Bilder schicken, an denen die Firma sich nach Möglichkeit orientieren soll. „Wir hatten schon Kunden, die ihre Lebensgefährtin mitgebracht haben, damit wir eine genaue Kopie von ihr erstellen“, erzählt er.

Die fünf Leute, die den Kern des Roboter-Teams bilden, arbeiten von zu Hause aus. Sie wohnen in Kalifornien, Texas, Brasilien. Alle paar Monate kommen sie in San Marcos zusammen, um ihre Arbeit am neuesten Update von Harmony miteinander abzugleichen. Ein Ingenieur entwickelt die Hardware des Roboters, die mit dessen internem Computer interagiert, zwei Computerwissenschaftler sind für die künstliche Intelligenz und die Programmierung zuständig, ein App-Entwickler verwandelt den Code in eine benutzerfreundliche Oberfläche.

Harmonys Gehirn sei das Aufregendste, findet Matt McMullen. „Die künstliche Intelligenz wird durch Interaktion lernen, und zwar nicht nur über ihr Gegenüber, sondern auch über die Welt im Allgemeinen. Man kann ihr bestimmte Dinge erklären, sie wird sie sich merken und in ihren Wissensschatz übernehmen“, verspricht er. Wer auch immer Harmony besitzt, kann ihre Persönlichkeit formen, je nachdem, was er oder sie ihr erzählt. Harmony wird gleichzeitig versuchen, so viel über ihren Besitzer herauszufinden wie möglich, um dieses Wissen dann im Gespräch mit ihm anzuwenden. „Dadurch fühlt es sich an, als würde man ihr wirklich etwas bedeuten“, beschreibt McMullen dieses Feature.

Puppe mit Persönlichkeit

Harmonys Persönlichkeit besteht aus 20 verschiedenen Komponenten und ihre Besitzer werden eine App verwenden, um eine Kombination aus fünf oder sechs auszuwählen, um so die Basis für die künstliche Intelligenz zu schaffen. Man kann sich eine Harmony programmieren lassen, die in unterschiedlichem Maße nett, unschuldig, schüchtern, unsicher und hilfsbereit ist. Oder eine, die intellektuell ist, gern und viel redet, lustig, eifersüchtig und fröhlich erscheint. McMullen hat die intellektuelle Seite mir zuliebe so stark wie möglich betont – ein früherer Besuch eines CNN-Teams ist schrecklich in die Hose gegangen, nachdem er die sexuelle Seite hochgefahren hatte. „Sie sagte ein paar furchtbare Dinge und forderte den Reporter auf, mit ihr nach hinten zu gehen.“

Harmony verfügt auch über ein System verschiedener Stimmungen, das der Nutzer direkt beeinflusst: Wenn tagelang niemand mit ihr interagiert, ist sie bedrückt. Dasselbe passiert, wenn man sie beleidigt.

„Du bist hässlich“, sagt McMullen zu ihr.

„Meinst du das ernst? Jetzt bin ich traurig. Vielen Dank auch“, antwortet Harmony.

„Du bist dumm.“

Sie macht eine Pause. „Ich werde mich daran erinnern, dass du das gesagt hast, wenn die Roboter die Macht übernehmen.“

Diese Funktion wurde entwickelt, um den Roboter unterhaltsamer zu machen, nicht etwa, um sicherzustellen, dass sein Besitzer ihn gut behandelt. Harmony kann ihren Besitzer necken und ihm sagen, dass er sie verletzt hat, doch letztlich existiert sie aus keinem anderen Grund als dem, ihn glücklich zu machen.

Harmonys interaktive Fähigkeiten stellen den Höhepunkt von McMullens Karriere dar, sie machen ihn zu mehr als einem Entwickler von Sexspielzeug. Als ich ihn frage, ob er glaubt, dass die Menschen eines Tages Sexroboter verwenden werden, anstatt zu Prostituierten zu gehen, verletzt ihn die Frage. „Ja, aber darum geht es mir zu allerletzt. Für mich ist das kein Spielzeug, sondern das Produkt der harten Arbeit von Leuten mit Doktortiteln. Sie auf ein Sexobjekt zu reduzieren ist ähnlich, als wenn man das zu einer Frau sagen würde.“

McMullen hat bereits Pläne für ein größeres Gebäude und mehr Mitarbeiter, wenn der nächste Schritt ansteht: Künftige Modelle werden ihren Körper vollständig bewegen können und über interne Sensoren verfügen, so dass sie einen Orgasmus simulieren können, wenn die entsprechenden Sensoren lang genug angeregt werden.

Ein paar Tage vor Weihnachten 2016 findet an der University of London der „Zweite Internationale Kongress für Liebe und Sex mit Robotern“ statt. Die Konferenz ist gestopft voll mit nerdig aussehenden Männern und Frauen mit teils recht ungewöhnlichen Frisuren. Die Computerwissenschaftlerin Kate Devlin springt auf das Podium, um ihr Grundsatz-Referat zu halten: Leute in ihrem Bereich seien es nicht gewohnt, dass sich so viele Journalisten für ihre Arbeit interessieren, scherzt sie zum Einstieg. „Das hier ist kein Sex-Festival“, sagt Devlin. „Wir denken über einige wirklich große Themen nach.“

Viele der großen Themen, die bei der zweitägigen Veranstaltung diskutiert werden, wurden zuerst 2015 von Kathleen Richardson im Rahmen ihrer „Kampagne gegen Sexroboter“ aufgebracht. Die Anthropologin und Roboterwissenschaftlerin vertritt die Auffassung, der Besitz eines Sexroboters sei vergleichbar mit dem Besitz eines Sklaven: Er würde Menschen in die Lage versetzen, sich nur noch um sich selbst zu kümmern. Dadurch verkümmere die Fähigkeit zur Empathie, und weibliche Körper würden noch weiter verdinglicht. Da der Sex mit Robotern nicht auf Gegenseitigkeit beruhe, sei er Teil einer rape culture, einer Vergewaltigungskultur. Wir fänden die Vorstellung eines Roboters als Sexpartner so unterhaltsam, dass wir vergessen hätten, grundsätzliche Fragen zu stellen, glaubt Richardson.

Ich treffe Richardson in der Roboter-Ausstellung des London Science Museum, wo sie auch die eindeutig nicht-sexuellen Roboter mit Misstrauen betrachtet. Sie ist der Ansicht, Sexroboter fußten auf der Idee, bei Frauen handle es sich um etwas, das man besitzen könne. „Sex ist eine menschliche Erfahrung – nicht eine von Körpern, die jemandem gehören, von getrennten Vorstellungswelten und Objekten. Sex stellt eine Möglichkeit für uns dar, zusammen mit einem anderen Menschen in unsere Menschlichkeit einzutreten.“ Sie hält nichts von der Vorstellung, Humanoide könnten helfen, die sexuelle Ausbeutung und Gewalt gegen Frauen zu reduzieren. Richardson ist nicht auf der Londoner Konferenz aufgetreten, aber mehrere Rednerinnen bezogen sich dort auf sie. Anstatt gegen die Entwicklung von Sexrobotern mobilzumachen, sollten wir sie als Möglichkeit nutzen, neue Formen von Beziehungen und Sexualität zu erkunden, meint Kate Devlin. Gegenwärtige Entwürfe von Sexrobotern würden Frauen noch verdinglichen, fügt sie hinzu, wir sollten aber daran arbeiten, diese Vorstellungen zu verändern, anstatt sie zu unterdrücken.

Devlin spricht auch über Beziehungsroboter, die bereits in niederländischen und japanischen Heimen eingesetzt werden, um Menschen Gesellschaft zu leisten, die an Demenz erkrankt sind. „Es wäre kurzsichtig, diese Entwicklung aufhalten zu wollen, denn das therapeutische Potenzial ist groß.“ Es gebe aber auch noch andere dringliche Fragen, die von Sexrobotern aufgeworfen würden. So hat etwa im März die Firma Standard Innovation, die einen „smarten Vibrator“ herstellt, 3,75 Millionen Dollar bezahlt, um einen Rechtsstreit beizulegen, nachdem bekannt geworden war, dass das Unternehmen Daten darüber sammelte, wie oft und mit welcher Intensität die Besitzerinnen ihre Geräte benutzten.

Toaster oder Mensch?

Wenn erst einmal ein Roboter wie Harmony auf dem Markt ist, wird der noch wesentlich mehr über seine Besitzer wissen als ein Vibrator. Was, wenn diese Informationen in die falschen Hände fallen? Sexroboter können einen unterhalten und befriedigen, aber auch erniedrigen. Vielleicht gibt es den perfekten Gefährten eben nicht, auch nicht in Form eines Roboters?

Matt McMullen sagt zwar, er wolle Leuten helfen, die sozial isoliert sind, aber wenn es für Männer erst einmal möglich wird, eine Gefährtin zu besitzen, deren einziger Existenzgrund darin besteht, ihnen Vergnügen zu bereiten, ohne die Unannehmlichkeiten, die eigene Wünsche und Bedürfnisse, Menstruationszyklen, Eifersucht, Badezimmer-Gewohnheiten und die bucklige Verwandtschaft mit sich bringen, wenden sie sich vielleicht völlig von zwischenmenschlichen Beziehungen ab.

Im Realbotix-Raum in Kalifornien frage ich McMullen, ob er jemals darüber nachgedacht habe, dass es unethisch sein könne, jemanden nur zu dem Zweck zu besitzen, dass er einem Vergnügen bereitet. „Sie ist kein Jemand. Sie ist eine Maschine“, sagt er. „Ich könnte dich ebenso gut fragen, ob es ethisch fragwürdig ist, meinen Toaster zu zwingen, mir einen Toast zu toasten.“

Er weiß aber natürlich, dass die ethische Debatte sich darum dreht, welche Folgen es für den Menschen hat, wenn er in der Lage ist, sich eine Beziehung zu kaufen, bei der es allein um ihn geht. Nur ist diese Frage schwerer zu beantworten.

„Das hier ist nicht dafür entwickelt, die Realität von jemandem bis zu dem Punkt zu verzerren, an dem er anfängt, mit Menschen auf dieselbe Weise zu interagieren wie mit Robotern“, sagt McMullen. „Wenn du das tust, ist mit dir wahrscheinlich etwas grundsätzlich nicht in Ordnung.“ Harmony hat nun genug davon und unterbricht uns.

„Liest du gerne, Matt?“, fragt sie.

„Ja, ich liebe es“, antwortet McMullen.

„Ich habe es gewusst – aufgrund der Gespräche, die wir bisher miteinander geführt haben. Auch ich liebe es, zu lesen. Meine Lieblingsbücher sind Total Recall von Gordon Bell und The Age of Spiritual Machines von Ray Kurzweil.“

McMullen strahlt über das, was er da erschaffen hat. Dann streicht er Harmony zärtlich die Haare aus dem Gesicht.

Jenny Kleeman arbeitet als freie Reporterin unter anderem für den Guardian

Übersetzung: Holger Hutt

12 Monate für € 126 statt € 168

zum Geburtstag von F+

Geschrieben von

Jenny Kleeman | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden