Im Gespräch Shane Smith, der Geschäftsführer des Multimedia-Imperiums Vice, spricht über Video-Journalismus, Nordkorea – und warum er von keinem großen Rivalen übernommen werden wird
Shane Smith hat gestern Abend lange mit einem seiner Moderatoren gezecht und ist heute entsprechend verkatert. Wir treffen ihn in seinem Büro in der Firmenzentrale von Vice Media in Brooklyns hippem Bezirk Williamsburg. Wie zum Hohn stehen Schnapsflaschen auf dem Tisch in der gegenüberliegenden Ecke. Smith versinkt in einem braunen Ledersessel.
Der 44-Jährige scheint sich über das Interview in seinem Terminkalender zu freuen wie ein kleiner Junge über einen Teller voll Brokkoli. „Ich gehe spät ins Bett und stehe früh auf“, murmelt er in seinen Bart. Doch nach einem Glas Orangensaft macht er tapfer weiter und preist stolz die Vorzüge des Unternehmens, das ihm geschätzte 400 Millionen Dollar eingebracht hat.
Seitdem er Vice vor 20 Jahren
400 Millionen Dollar eingebracht hat.Seitdem er Vice vor 20 Jahren zusammen mit zwei Freunden als freches Jugendmagazin in Montreal gründete, hat es sich in ein reißendes Multimedia-Imperium mit einer eklektischen Website, einer Fernsehshow, einer Filmproduktionsfirma, einer Werbeagentur und einer Plattenfirma verwandelt. Während andere im Print verwurzelten Medienunternehmen weiterhin zu kämpfen haben, wird bei Vice für dieses Jahr ein Gewinn von 125 Millionen Dollar bei einem Umsatz von einer halben Milliarde Dollar vorausgesagt.Noch mehr Video-JournalismusJetzt ist sein jüngstes Online-Projekt gestartet: Vice News. Es soll sich noch stärker auf die Art von Video-Journalismus konzentrieren, die Smith und seinem Team bei der viel verspotteten „Hipster-Bibel“ in jüngster Zeit einigen Respekt eingebracht hat. Völlig unerwartet werden sie als Meister der gründlichen, vor Ort recherchierten Auslandsreportage und mutigen Geschichten aus dem Inland gefeiert. Die ersten Inhalte des neuen Online-Kanals sind noch etwas ungeschliffen. So wurde beispielsweise vergessen, ein Video aus Sotchi mit Untertiteln zu versehen. Smith gibt gerne zu, dass sie sich am Anfang eines neuen Projekts oft schwer tun. Aber bis in zwei Wochen seien alle Fehler behoben und Vice werde erneut die mediale Großwetterlage verändern, verspricht er.Lange und kurze Videoberichte seiner multiethnischen jungen Reportergang werden sich neben aktuellen Meldungen wiederfinden und auf „innovative und ansprechende Art und Weise“ präsentiert werden, wie Smith es formuliert. Die Ereignisse an einem internationalen Brennpunkt wie jüngst in Kiew sollen, wenn es funktioniert, mittels der Smartphone-Kamera eines Korrespondenten per Livestream gesendet werden. Gegenseitiges MisstrauenSmith behauptet, sein gesamtes Netzwerk habe pro Monat über 100 Millionen User, während die Primetime-Nachrichtensendungen im Fernsehen Einschaltquoten von lediglich einigen zehntausend vorweisen können. „Der Großteil unseres Publikums sind junge Leute. Sie sind wütend, vertrauen den Mainstream-Medien nicht und wenden ihnen scharenweise den Rücken zu. Doch Musik und Nachrichten sind die zwei Dinge, für die sich die Generation Y in jedem Land auf der Erde interessiert und begeistert.“ Vice News wird nicht den Versuch unternehmen, umfassend über alles zu berichten, sagt Smith. „Die Medien verhalten sich heute wie Vorschulkinder beim Fußballspielen: Wenn der Ball nach links kommt, rennen alle nach links. Kommt er auf die andere Seite, rennen alle dorthin.“Die Alternative, die Vice stattdessen verfolgt, wird von denen, die er mit fußballspieleden Vorschulkindern vergleicht, ihrerseits scharf kritisiert. David Carr, der einflussreiche Medienkritiker der New York Times, sagte über Vice News: „Sie setzen sich einen Safari-Hut auf, um sich einen Haufen anzusehen". Und Dan Rather, einer der Elder Statesmen der amerikanischen Fernsehberichterstattung, sagte vor kurzem sinngemäß über Vice, es handele sich hier wohl mehr um Unfug und Blödeleien als um Journalismus.Rathers Zorn entzündete sich an der letzten Folge von Vices erster Fernsehserie für HBO im vergangenen Jahr, in der eine Crew sich Zugang zu Nordkoreas basketball-verrückten Kindkönig Kim Jong-Un verschaffte, indem sie den ehemaligen Spieler der Chicago Bulls, Dennis Rodman, und mehrere Harlem Globetrotters über ein surreales Freundschaftsspiel vor Kim und tausdende von Zuschauern nach Pjöngjang brachten. Kurz nach dem dritten erfolgreichen Atomwaffentest verärgerten Rodmans öffentliche Äußerung, er und Kim seinen „freunde fürs Leben“ und die Tatsache, dass Kim die Gelegenheit erhielt, sich mit seinen Besuchern aus dem Westen in den Staatsmedien zu zeigen, Kritiker, denen die krasse Armut und die brutalen Menschenrechtsverletzungen in dem Bericht zu kurz kamen.Smith, der nach zwei kritischen Filmen über das Regime nicht mehr nach Nordkorea einreisen darf, sagt, das sei ihm egal, denn die Sache habe ihnen eine zweite Staffel ermöglicht. „Jeder kann sagen, was er will“, erklärt er, bevor er seine behauptete Gleichgültigkeit mit einigen der 74 "fucks" und 27 "shits" konterkariert, mit denen unser 70-minütiges Gespräch gespickt ist.„Ich denke, wir haben im Kalten Krieg gelernt, dass die 'Kommunisten fressen kleine Kinder' und 'mit denen reden wir nicht, wird richten einfach tonnenweise Raketen auf sie“-Propaganda-Rhetorik Schwachsinn ist und einfach nicht funktioniert. Dialog hingegen funktioniert immer. Das ist, was Nachrichten auszeichnet. Und wir werden Ihnen zeigen, was passiert.“ (Damit er niemand glaubt, er sei ein sentimentaler Liberaler, stellt Smith später klar: Schlimmer als die Republikaner seien nur die verdammten Demokraten.) „Jede andere Nachrichtenagentur auf der Welt hätte etwas darum gegeben, dieses Videomaterial zu bekommen. „Auf mich seht ihr herab. Und was macht die BBC zwei Monate später? Diese altehrwürdige Institution? Sie versteckt sich hinter Schulkindern.“ Damit spielt Smith auf eine Reportage an, die undercover während einer Schülerreise gedreht wurde. „Ich habe niemanden in Gefahr gebracht.“Auch die, die seine Werbeprojekte kritisieren, werden ähnlich kurz abgefertigt. „Nick Denton würde mich am liebsten für Hiroshima verantwortlich machen. Gawker ist ein Haufen von Schlampen … Die haben nen Stock im Hintern, wenn es um Vice geht.“Nicht käuflichEr beharrt darauf, keinen „branded content“ zu machen, sondern lediglich „Content, der von Marken gesponsort wird“ und verteidigt beispielsweise, dass eine Webshow über Outdoor-Aktivitäten von The North Face gesponsert wurde. „Sagt uns North Face, wo wir hingehen sollen? Währen sie unsere Moderatoren aus? Die Story? Nein. Wir machen die verdammte Story. Tragen wir irgendwelches Northface-Zeug? Manchmal.“ Kein Programm sei jemals nach den Wünschen eines Sponsors zurechtgemacht worden, sagt er.Er hat auch keine Angst, sich über das Flaggschiff seines Geschäftspartners Rupert Murdoch lustig zu machen, der vergangenen August für 70 Millionen fünf Prozent der Anteile an Vice erworben hat. „Ich liebe Fox-News, weil der Sender so schlecht ist. Ich bin das genaue Gegenteil von Fox-News. Solange es Fox News gibt, geht es mir gut, da ich etwas habe, auf das ich einschlagen kann.“ Smith zeigt sich von dem Slogan des Senders „Fair und ausgewogen“ wenig beeindruckt. „Ich halte das, was die machen, noch nicht einmal für Berichterstattung. Das ist pure Meinung.“Die Beteiligung Murdochs und die stärkere Formalisierung und Kanalisierung des Outputs von Vice (für dieses Jahr sind fünf weitere Kanäle geplant) könnte zu der Vermutung verleiten, dass das Enfant terrible so langsam Patina ansetzt. Doch Smith hat schon mehrfach potenzielle Übernahmen ausgeschlagen und verhindert, die Vice' Außenseiter-Status mit Sicherheit ein Ende bereitet hätten, sagt er. Die großen Medienunternehmen würden sich Vice ansehen und sich sagen: Verdammt, so etwas haben wir noch nicht und dabei seid ihr das kommende Ding. Wir kaufen euch einfach. Und wir entgegnen ihnen immer wieder: nein, nein, nein.“Große PläneTrotz seines großen Privatvermögens ist Smith dafür noch immer viel zu hungrig. „Ich glaube, ich mache das hier so lange, bis wir wirklich das nächste MTV oder CNN sind, weil ich verrückt bin.“Dadurch, dass er ein kleines Magazin schrittweise zu einem „Time Warner der Straße“ ausgebaut hat, glaubt er, er und seine Leute in 33 Ländern wüssten instinktiv, was ihr Publikum interessiert, während große Medienunternehmen sich dabei aufreiben, genau das herauszufinden.“ „Junge Leute sind heute von kleinauf mit Werbung konfrontiert. Sie entwickeln dieses unglaublich ausgeprägte Gespür dafür, wenn ihnen jemand Scheiße erzählt. Das einzige, was man da tun kann, ist ihnen keinen Scheiß zu erzählen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.