Es war am frühen Nachmittag, als der Mob eine Allee aus dichten Rosensträuchern hinunter drängte und vor Zarifas Haus zum Stehen kam. Die kirgisischen Männer drangen in ihren Hof ein und zwangen sie, sich unter einem Kirschbaum auf den Boden zu setzen. Sie stellten ihr ein paar Fragen. Nachdem sie bestätigt hatte, aus Usbekistan zu stammen, wurde sie gefesselt und vergewaltigt. Bevor man sie tötete, wurden ihr noch die Finger abgeschnitten. Dann zogen die Amokläufer weiter zum nächsten Haus.
„Sie waren wie Tiere“, erzählt Zarifas Nachbar, Bakhtir Irgayshon, und zeigt auf das völlig zerstörte Bettgestell, auf dem sie ermordet wurde. Ein paar Töpfe und Pfannen sind noch übrig geblieben, der Rest der Wohnung ist verkohlt. Zarifas Mann Ilham sei verschwunden, wahrscheinlich auch tot. Nur seine Mutter Adina überlebte die von den Kirgisen angezettelte Feuersbrunst, die vor Wochenfrist den Bezirk Cheremushki verschlang.
15 bis 20 Jahre alt
Das Ausmaß der ethnisch motivierten Morde, die in Osch, wie auch in anderen Städten im Süden Kirgistans verübt wurden, ist nur allzu offensichtlich. In der nächsten Straße liegen die Überreste eines weiteren Opfers, das in seinem Bett verbrannt ist. Viel ist nicht übrig geblieben, nur Rückgrat und Hüfte. In der Nähe bergen usbekische Überlebende die Körper sieben kleiner Kinder. Sie hatten sich zusammen mit ihrer Mutter in einem Keller versteckt und waren dort verbrannt. Zeugen sagten, die Angriffe der kirgisischen Bevölkerung auf die usbekische Minderheit seien ein versuchter Völkermord.
Die Gewalt entbrannte in Osch am Abend des 10. Juni, möglicherweise entzündete sie sich durch einen Streit in einem Casino. Vieles erschien allerdings koordiniert und geplant zu sein, sagen die Usbeken. Die Angriffe kamen für die Bewohner der abgelegenen, wohlhabenderen usbekischen Viertel völlig überraschend.
„Es begann am Freitag zur Mittagszeit“, sagt Rustam, ein usbekischer Anwalt. „Sie kamen in drei verschiedenen Wellen. Die Kirgisen drangen mit einem gepanzerten Mannschaftstransporter in den Bezirk Cheremushki ein, um den Weg zu bereiten. Mehrere der Männer trugen Militäruniformen. Zunächst fühlten wir uns erleichtert. Wir dachten, es sei jemand gekommen, uns zu retten. Dann eröffneten sie das Feuer und schossen willkürlich auf Menschen. Hinter ihnen kam die zweite Welle – ein Mob von etwa 300 kirgisischen Jugendlichen, die Schnellfeuerwaffen trugen. Die meisten von ihnen waren sehr jung, zwischen 15 und 20. Die dritte Welle schließlich bestand aus Plünderern, unter denen sich auch Frauen und kleine Jungen befanden. Sie stahlen alles, was einen Wert hatte, und verstauten es in ihren Autos. Dann steckten sie unsere Häuser in Brand.“
Nach Rustams Urteil sind die offiziellen Angaben über die Opfer der Pogrome – 178 Tote und 1.800 Verletzte – viel zu niedrig. In Wahrheit seien an die 2.000 Usbeken abgeschlachtet worden, die Pogrome hätten schnell von Osch auf das 40 Kilometer weit entfernte Dschalabad und andere Dörfer übergriffen. „Ich selbst habe 27 Leichname getragen, die nur noch aus Knochen bestanden. Wir sprechen hier alle von Völkermord.“
Mit Kerosin überschüttet
Jetzt, wo die Gewalt weitgehend aufgehört hat und nur noch gelegentlich ein Gewehrschuss die Ruhe der über Osch verhängten Ausgangssperre durchbricht, diskutieren die Überlebenden darüber, wer für das Morden verantwortlich zu machen ist. Einige vermuten, Kigistans abgesetzter Präsident Bakijew stecke dahinter. Der habe die Pogrome angezettelt, um sich auf diesem Wege an der neuen Regierung zu rächen. Bakijew war im April nach blutigen Protesten in der Hauptstadt Bischkek außer Landes geflohen. Seine Anhänger kontrollieren aber noch immer weite Teile des Südens. Sie dominieren Ochs nur aus Kirgisen bestehende Polizei und das Rathaus sowie alle anderen wichtigen Machtstrukturen der Region. Nur wenige können sich vorstellen, dass die Pogrome ohne die Duldung der örtlichen Behörden hätten stattfinden können.
Die ethnischen Usbeken stellen 15 Prozent der 5,6 Millionen Einwohner Kirgistans – in Osch und Dschalabad die Mehrheit. „Wir sind hart arbeitende Leute, wir waren nie Nomaden wie die Kirgisen und haben nie in Jurten gelebt. Seit 2.000 Jahren bauen wir Steinhäuser“, sagt Rustam, der Anwalt. Er räumt ein, dass die Usbeken in der Stadt meist wohlhabender seien als ihre kirgisischen Nachbarn. „Wir treiben Handel seit den Zeiten der Seidenstraße. Wir sind erfolgreich. Die Kirgisen beneiden uns dafür.“
Im Zentrum von Osch liegen usbekische Geschäfte und Firmen in Trümmern. Mit KG für Kirgisen gekennzeichnete Läden wurden verschont. Oktam Ismailowa konnte ihre Wohnung vor den Flammen retten, indem sie das Dach mit Wasser begoss. Jemand hatte einen Ziegelstein durch das Fenster geworfen und ihren Vater am Kopf verletzt, der glücklicherweise überlebte. „Wir können nicht glauben, was passiert ist. Wir stehen unter Schock“, sagt sie.
Als alles begann, flohen Zehntausende Usbeken über die nur drei Kilometer von Osch entfernte Grenze nach Usbekistan. Aber nicht alle kamen an. Eine Augenzeugin berichtet, wie zwei junge Usbeken mit ihrem Auto in einen kirgisischen Mob hinein gerieten: „Sie zogen die beiden Jungen aus dem Wagen und ermordeten sie in weniger als fünf Minuten mit Messern und Stöcken. Dann warfen sie sie in den Fluss Ak-Bura“, sagt Maya Taschbolotowa, die die Szene hinter dem Zaun ihrer Pension beobachtet hat.
Laut Unicef-Angaben sind 90 Prozent der Flüchtlinge Frauen, Kinder und ältere Menschen. Gestern schlossen usbekische Soldaten die Grenze mit einem fünf Fuß hohen Stacheldraht. In der Nähe waschen sich Flüchtlingskinder in einem Bach, eine alte Frau, die einen Schlag ins Gesicht abbekommen hat, wird verarztet. Die Stimmung ist von Wut und Unglauben bestimmt. Viele der Mädchen, die an der Grenze ankamen, waren nach Zeugenaussagen vergewaltigt worden.
„Bin ich hierfür Chirurg geworden?“, fragt ein 35-jähriger usbekischer Arzt, der leise in einer Ecke des eingerichteten Not-OPs weint. Vielen Opfern sei in den Kopf und ins Gesicht geschossen worden. Eine Krankenschwester zeigt mir ein Handyvideo, auf dem zu sehen ist, wie ein Mann mit Kerosin überschüttet und angezündet wird. Sein Kopf und seine Arme waren nur noch schwarze Stummel. Er lebte aber noch einige Tage, bevor er unter heftigen Schmerzen starb.
„Wir sind 20 Jahre lang diskriminiert worden“, sagt der Arzt und bezieht sich auf die Ausschreitungen, die sich 1991 nach dem Kollaps der UdSSR in der Nähe von Osch abgespielt haben. Aufgrund der Schwäche der Regierung und der Angst, die usbekische Minderheit könnte zu stark werden und sezessionistisch orientierten Politikern zuneigen, habe der kirgisische Chauvinismus in jüngster Zeit zugenommen.
Übersetzung: Holger Hutt
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