Die frisch gewählte Führung wünscht sich wieder mehr Touristen auf den Pyramiden von Gizeh
Foto: Mahmoud Khaled/ AFP/ Getty Images
Als der inhaftierte Ex-Präsident Mohammed Mursi erfuhr, dass sich Abd al-Fattah as-Sisi um das Amt des Staatschefs bemüht, soll er seinen Anwalt erstaunt gefragt haben: „Will er das wirklich?“ Mursi war verwundert, weil das Land noch immer in dem ökonomischen und bürokratischen Morast steckt, der im Februar 2011 Millionen Ägypter dazu trieb, Husni Mubarak aus dem Sattel zu heben. Seither wurden die Zustände eher schlimmer. Ex-Feldmarschall as-Sisi wird bald erkennen müssen, dass ihm nicht viel Zeit bleibt, den Wandel anzustoßen. Die niedrige Wahlbeteiligung ist Warnung genug.
Noch wird ein Kollaps der ägyptischen Volkswirtschaft durch Hilfszahlungen in Milliardenhöhe verhindert, für die wohlwollende Golfstaaten aufkommen. Nu
kommen. Nur ändert dies wenig daran, dass die nationalen Devisenreserven gerade noch halb so groß sind wie Anfang 2011, was die Einfuhr von Benzin und Lebensmitteln extrem erschwert. Das widerfährt nicht irgendwem, sondern einem der – gemessen an der Bevölkerung – größten Weizenimporteure weltweit. As-Sisi ließ sich denn auch während des auf drei Tage gestreckten Präsidentenvotums Zeit, einen Wirtschaftsplan zu präsentieren, dessen Essenz auf die Botschaft hinausläuft: Als neuer Präsident erwarte ich von meinen Landsleuten, dass sie weiterhin persönliche Opfer bringen – es gibt keinen anderen Weg. Offenbar sollen schon ab Juli die Energiesubventionen gekappt werden, die gut ein Viertel des ägyptischen Staatshaushalts verschlingen. Außerdem könnten Streiks künftig verboten sein, damit verschreckte Investoren und verängstigte Touristen zurück ins Land gelockt werden.Feuer mit Feuer bekämpfenAllerdings hat die Bevölkerung bereits viel ertragen und scheint inzwischen darin geübt, Führer abzusetzen, die sich ihren Nöten gegenüber taub zeigen. Nicht auszuschließen, dass die hohe Wahlabstinenz ein Vorspiel des Aufruhrs ist, bei dem die Muslimbrüder nicht abseitsstehen. „In meiner Amtszeit wird es eine Organisation dieses Namens nicht mehr geben“, hat as-Sisi bereits forsch verkündet. Er wolle diese Glaubensgemeinschaft zerschlagen, weil er deren Ideologie für unvereinbar mit der Loyalität zum Staat halte – überdies verbiete die neue Verfassung religiöse Parteien. Ob sich ein solch drakonisches Gebot aufrechterhalten lässt, ist fraglich: Die Muslimbruderschaft hat noch immer Hunderttausende von Mitgliedern, die sich auf freiem Fuß befinden. Und die scheinen nicht gewillt, das Demonstrieren aufzugeben und einfach so zu verschwinden, zumal sich längst auch die „Muslim-Schwestern“ formieren und sich Gehör verschaffen, da willfährige Richter Hunderte Ägypter in Schnellverfahren zum Tode verurteilt haben. Seit Monaten wird as-Sisi außerdem von der ultrakonservativen, islamistischen Nour-Partei unterstützt, die nun – nach der Wahl – gewiss tief durchatmen und mehr Spielraum will.Seit as-Sisi den legitimen Präsidenten Mohammed Mursi im Juli 2013 abgesetzt hat, stehen militante Dschihadisten in einem blutigen Aufstand gegen Armee und Polizei. Die Rebellen haben Hunderte Soldaten getötet, erfolgreich die Polizeipräsidien von Kairo und al-Mansura in Nordägypten angegriffen, sich auf dem Sinai behauptet und as-Sisi selbst ins Visier genommen – dies jedoch ohne Erfolg. Die Antwort der Regierung lautete stets: Wir bekämpfen Feuer mit Feuer. Und das gnadenlos. Damit ist zugleich ein rücksichtsloses Vorgehen gegen all jene Muslimbrüder gemeint, die als „Unterstützer von Terroristen“ gebrandmarkt werden. Aber noch ist nichts entschieden – mit anderen Worten, die Wiederkehr der Touristen und ausländischer Anleger, womöglich sogar as-Sisis eigenes Leben, könnten von einem raschen Erfolg abhängen.Mehr als soziale AskeseIm Moment kann sich as-Sisi der ausdrücklichen Sympathien der meisten Medien, Geschäftsleute und hohen Militärs erfreuen. Dennoch zeigen sich bereits jetzt Risse in der Konsensfassade. Mubaraks letzter Premier Ahmad Shafiq bezweifelt die ökonomische Kompetenz des künftigen Staatschefs. Der pensionierte General Sami Enan wollte ebenfalls für die Präsidentschaft kandidieren, wurde aber daran gehindert und sinnt auf Rache. Der US-Militäranalyst Robert Springborg schreibt, jüngere Offiziere hätten andere Vorstellungen davon, „wie das Militär die Wirtschaft beleben und das Anti-Terror-Programm aussehen sollte“. Auch müsse sich erst noch zeigen, wie lange schlecht bezahlte Polizisten bereit seien, die gewaltsamen Reaktionen auf as-Sisis Sturheit gegen jede Art von Straßenprotest auszuhalten. „Wenn das noch lange so weiter geht“, sagt Springborg, „wird es schwer, Loyalität zu garantieren und die Polizei überhaupt auf die Straße zu kriegen.“As-Sisi hat klargestellt, dass er Arbeitsniederlegungen in einem Augenblick, da sich die Räder der Produktion schneller denn je drehen müssen, als unpatriotisch empfindet. Die einzige Konzession, die er machen könne, sei die Einführung eines Mindestlohns. Kurzfristig mag das vielen genügen, denn as-Sisis Wahl ist dem großen Verlangen nach Stabilität und dem mangelnden Vertrauen in die Errungenschaften des Umsturzes von 2011 geschuldet. Doch muss besonders den Unter-30-Jährigen, deren Bevölkerungsanteil bei 60 Prozent liegt, mehr angeboten werden als Unterdrückung und soziale Askese. Laut einer Umfrage des Institute of Development Studies (IDS) dürften sich 80 Prozent derjenigen, die Mursis Absetzung unterstützt haben, erneut erheben, sollten ihre Erwartungen nicht endlich erfüllt werden. Streiks und öffentliche Proteste werden zweifellos die bevorzugte Reaktion auf verweigerte soziale, demokratische und strukturelle Reformen bleiben.Es sei daran erinnert, dass unter anderem häufige Stromausfälle und Engpässe bei Diesel vor einem Jahr die Mursi-Regierung in Verruf brachten. In seinen ersten Amtsmonaten dürfte as-Sisi Ähnliches bevorstehen. Ägypten kann nicht genug Treibstoff produzieren, um den inländischen Bedarf zu decken. Wegen fehlender Devisen lässt sich die Lücke schwerlich über Hinzukäufe im Ausland schließen. Werden dann auch noch die Energiesubventionen gekürzt oder ganz gestrichen, um staatliches Geld zu sparen und die Nachfrage zu drosseln, sind Unruhen unausweichlich. Es sei denn, die Einsparungen werden so vorgenommen, dass sich Konsequenzen für die Ärmsten auffangen lassen. Theoretisch könnte in Ägypten mehr Erdöl gefördert und aufbereitet werden. Nur die Unternehmen, die über die nötige Ausrüstung verfügen, warten noch auf milliardenschwere Rückzahlungen der Regierung. Sie sind zu Recht skeptisch, bevor sie sich exponieren und Leistungen erbringen, für die sie möglicherweise keinerlei Vergütung erhalten.
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