Sieh dir Madonna an!

Alter Was Frauen mit 60 wollen? Den ganzen Kuchen. Alles
Ausgabe 30/2018
Sollte ich über meinen körperlichen Verfall lieber schweigen? Unsere Kultur sagt: Ja
Sollte ich über meinen körperlichen Verfall lieber schweigen? Unsere Kultur sagt: Ja

Foto: Westend61/Imago

Was Frauen wirklich hören wollen? Das hier: „Das mit dem Nobel-Preis hast Du gut gemacht.“ Leider glauben die Leute allzu oft, es sei „Du hast abgenommen“, oder „Man sieht dir dein Alter gar nicht an!“ – was eigentlich bedeutet: „Gut gemacht, dass Du nicht lange auf diesem Planeten bist und nicht allzu viel Platz wegnimmst.“

Es gibt eine Form von Wahnsinn, die in dem Alter einsetzt, in dem frau gesagt bekommt, sie solle anfangen zu botoxen – mit Mitte 20. Da geht es mit den Lügen über das Alter los. Dating-Portale sind voll davon: Die Leute machen sich einfach zehn Jahre jünger. Ich habe Kolleginnen, die einen über ihr Alter ganz im Ungewissen lassen. Manche scheinen ihre Kinder bereits mit sieben Jahren bekommen zu haben – ein Mirakel! Doch ich verstehe, warum sie glauben, die Medienbranche sei „no good country for old women“. Es sind nur noch wenige von uns übrig. Also muss frau etwas für ihr Aussehen tun: permanentes Fitness-Training, eine gute Beleuchtung und keine Bingo-Veranstaltungen, bei denen jemand sehen könnte, dass deine Oberarme nicht mehr ganz so straff sind. Aber wer sich dafür schämt, älter zu werden, kann ohnehin nur verlieren.

Ich habe in dieser Woche einen runden Geburtstag. Lassen Sie es mich so sagen: Ich bin älter als Nigel Farage. Natürlich finde ich es nicht gut, dass alles nachlässt – Wangen, Knie, Trinkfestigkeit – aber immerhin lebe ich schon länger, als es meiner Mutter vergönnt war, und das bei all den Dummheiten, die ich gemacht habe.

Sollte ich über meinen körperlichen Verfall lieber schweigen? Unsere Kultur sagt: Ja. Sie sagt, dass es für Frauen ab 35 vorbei sei. Oder sie sagt: Sieh dir Madonna an! – Das mache ich sehr gern, aber schließlich ist und war es immer ihr Job, gut auszusehen und unglaublich zu sein. Ich sehe mir auch die jungen Leute an, insbesondere bei diesem Wetter, wie sie strahlen und wie eilig sie es haben, und ich denke gern an all das zurück. Ich weiß aber, dass meine Zeit jetzt ist. Die innere Unruhe der Menopause kam und ging und ließ mich wissen, dass meine Energie nun mir gehört – dass ich für mein eigenes Glück verantwortlich bin.

Ich habe mein Einkommen nicht darauf verwendet, mein Gesicht machen zu lassen (zu spät), sondern auf mein Gehirn. Indem ich noch einmal an die Uni gegangen bin. Das ist das einzige Anti-Ageing-Serum, das ich empfehlen würde. Das hilft mir zwar nicht, meinen Bauch oder meine Falten mehr zu mögen. Es ist wunderbar, begehrt zu werden, so wie man begehrt wird, wenn man jung ist. Aber ist das der Sinn des Lebens? Das muss jede und jeder für sich entscheiden.

Man sagt uns, Frauen in meinem Alter seien peinlich, während Männer ihre beste Zeit erleben. Doch im Zeitalter der Selbstidentifizierung wissen wir schließlich alle, dass das Innere nicht dem Äußeren entspricht – und ich in Wirklichkeit erst 14 bin.

Die einzige Weisheit, die ich erworben habe: Es hat keinen Sinn, sich Sorgen zu machen, was die anderen denken. Sie denken es ja sowieso. Man sollte nichts tun, weil man sich dazu verpflichtet fühlt. Jede und jeder hat das Recht, seine eigene Zeit zu verschwenden. Die Regisseurin Nora Ephron sagte einmal über eine Freundin, die Zungenkrebs hatte und deshalb keine Henkersmahlzeit zu sich nehmen konnte: „Iss deine Henkersmahlzeit jeden Tag.“ So will ich leben. Ich mache weder mir noch sonstwem etwas über mein Alter vor. Also: 60. Her damit. Ich will den ganzen Kuchen.

Suzanne Moore ist Kolumnistin beim Guardian

Übersetzung: Carola Torti

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Geschrieben von

Suzanne Moore | The Guardian

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