Der Krieg zwischen Philosophen und Neurologen beginnt im Frühjahr 1994 in Tucson, Arizona. Er wird von einem jungen, damals weitgehend unbekannten Philosophen namens David Chalmers ausgelöst. In einem Vortrag spricht Chalmers an diesem Vormittag über das Bewusstsein. Damit meint er die Fähigkeit, die Welt auf eine eigene Weise zu sehen, eigene Erfahrungen zu machen. Oder – um es in einer Sprache zu sagen, die bei einem Hirnforscher ein Aneurysma auslösen kann – eine Seele zu haben. Chalmers ruft damit eines der größten, vielleicht das größte Rätsel des menschlichen Lebens in Erinnerung.
Den Wissenschaftlern, die sich an der Universität von Arizona versammelt haben, ist klar, dass sie etwas Anrüchiges tun. Das Bewusstsein gilt in der wissenschaftlichen Welt 1994 noch weitgehend als Tabuthema, zu esoterisch, um es ernst zu nehmen. Manche der Anwesenden setzen mit der Konferenzteilnahme ihren Ruf aufs Spiel. Die ersten beiden Vorträge des Tages sind aber wenig aufregend. Dann ist Chalmers dran. Mit langen Haaren und von Kopf bis Fuß in Jeans gekleidet, sieht der 27-jährige Australier aus, als hätte er sich auf dem Weg zum Metallica-Konzert verlaufen. „Er ging aufs Podium, Haare bis zum Hintern, und tänzelte herum wie Mick Jagger“, erinnert sich Stuart Hameroff, der Organisator der Konferenz. „Aber dann fing er an zu reden. Und alle wachten auf.“
Zum Schwierigen Problem
Das Gehirn, so beginnt Chalmers, werfe alle möglichen Fragen auf, um Wissenschaftler zu beschäftigen. Wie lernen wir? Wie speichern wir Erinnerungen? Wie nehmen wir Dinge wahr? Warum ziehen wir unsere Hand blitzschnell von einem heißen Wasserstrahl zurück? Doch seien all dies „einfache Probleme“. Wenn genug Zeit und Geld zur Verfügung stünden, würde man sie lösen können, sagt Chalmers.
Es gebe nur ein einziges wirklich schwieriges Problem des Bewusstseins. Dieses aber ist so aufwühlend, dass die Wissenschaftler es nach Chalmers’ Vortrag fortan groß schreiben werden – das Schwierige Problem des Bewusstseins. Es lautet: Warum fühlen sich all die komplizierten Hirnvorgänge für uns überhaupt nach etwas an? Warum sind wir nicht bloß brillante Roboter? Fähig, Informationen zu speichern, auf Geräusche, Gerüche und Temperaturen zu reagieren, aber ohne inneres Leben? Und wie kann unser Gehirn, dieser 1,4 Kilogramm schwere Klumpen beige-rosigen Gewebes, etwas derart Mysteriöses hervorbringen wie Erfahrungen?
Was Chalmers’ Publikum aus seiner Lethargie reißt, ist die Art, wie er die Frage stellt. Über Jahrhunderte hatten sich Philosophen mit dem sogenannten Geist-Körper-Problem beschäftigt. Doch Chalmers’ eigentümliche Art, es wiederzubeleben, „wirkte über die Philosophie hinaus und rüttelte alle auf“, erinnert sich Hameroff. „Sie ließ uns fragen: Womit zum Teufel befassen wir uns hier überhaupt?“
Zwei Jahrzehnte später wissen wir erstaunlich viel über das Gehirn. Keine Woche vergeht, ohne dass wir lesen können, in welcher Hirnregion Wissenschaftler Spielsucht oder Faulheit verorten, wo die Liebe auf den ersten Blick beginnt. Und das sind nur die Erkenntnisse, die Schlagzeilen machen. Zugleich ist auch im Bereich der künstlichen Intelligenz der Fortschritt rasant. Doch wie ein lästiger Verwandter, der kurz zu Besuch kommt und partout nicht wieder gehen will, schwebt über alldem das Schwierige Problem.
Nehmen wir mal ein alltägliches Beispiel: Als ich mir heute Morgen den Zeh am Esstisch stieß, sandten Nervenfasern, die C-Fasern genannt werden, eine Botschaft in mein Rückenmark. Dieses wiederum schickte Neurotransmitter in einen Gehirnteil namens Thalamus, der unter anderem mein limbisches System aktivierte. So weit, so gut. Aber warum ging all das mit einem plötzlichen, quälenden Schmerz einher? Und was ist überhaupt Schmerz?
Solche Fragen, die die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Philosophie überschreiten, machen manche Wissenschaftler richtig wütend. Andere kommen zu dem Schluss, bewusste Empfindungen wie Schmerz existierten gar nicht wirklich – ganz egal, was ich fühlte, als ich heute Morgen gepeinigt durch die Küche hüpfte. Wieder andere sind zu der These gelangt, dass auch Pflanzen ein Bewusstsein haben müssen. Das Schwierige Problem hat seriöse wissenschaftliche Essays hervorgebracht, die darüber sinnieren, was im Kopf eines Zombies vor sich geht. Oder um den Titel eines berühmten Aufsatzes des Philosophen Thomas Nagel zu zitieren: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?
Kommt ein Gespräch auf das Schwierige Problem, so verfallen selbst hartgesottene Rationalisten in Mutmaßungen über den Sinn des Lebens. Christof Koch, wissenschaftlicher Direktor des Allen Institute for Brain Science in Seattle und einer der Hauptakteure in Präsident Barack Obamas Milliarden-Dollar-Initiative zur Kartografierung des menschlichen Gehirns, zählt zu den angesehensten Hirnforschern der Welt. Und doch sagt er: „Ich glaube, meine ursprüngliche Motivation, über das Bewusstsein zu forschen, war der Wunsch, mir zu beweisen, dass es nicht wissenschaftlich zu erklären ist. Ich bin als Katholik aufgewachsen und wollte an die Stelle gelangen, an der ich sagen kann: Hier ist Gott im Spiel. Gott hat Seelen geschaffen und sie in Menschen gepflanzt.“ Gleich darauf beteuert er im Gespräch zwar, solche unwahrscheinlichen Annahmen habe er längst verworfen. Doch wenig später erklärt er mir, aufgrund seiner neuesten Forschungen könne er nicht ausschließen, dass auch sein I-Phone Gefühle habe.
Als Chalmers 1994 seinen Vortrag hielt, hatte sich die Wissenschaft lange bemüht, die Frage nach dem Bewusstsein zu ignorieren. Diese Abneigung geht zurück bis ins 17. Jahrhundert, als René Descartes das Dilemma in Worte fasste, das fortan unzähligen Gelehrten Kopfzerbrechen bereiten sollte. Einerseits, stellte Descartes fest, ist nichts offensichtlicher und unbestreitbarer als die Tatsache, dass wir ein Bewusstsein haben. Theoretisch könnte alles andere, was wir über die Welt wissen, eine ausgeklügelte Illusion sein. Unser Bewusstsein selbst aber kann nicht illusorisch sein.
Andererseits gehorcht diese Gewissheit keiner der naturwissenschaftlichen Regeln. Sie scheint nicht physikalisch zu sein. Sie kann nicht beobachtet werden, außer von innen, von dem bewusstseinsbegabten Menschen selbst. Sie lässt sich nicht einmal wirklich beschreiben. Der Verstand, so schloss Descartes, muss aus einem besonderen, immateriellen Stoff gemacht sein, der nicht den Naturgesetzen unterliegt. Gott muss uns damit ausgestattet haben. Diese religiöse Ausflucht blieb bis ins 18. Jahrhundert und in die Frühzeit der modernen Hirnforschung hinein vorherrschend. Zwar musste sie in einem zunehmend verweltlichten Wissenschaftsbetrieb, der die Ansicht, dass allein das Physische existiere, zum Grundprinzip erhob, zwangsläufig inakzeptabel werden. Doch selbst als die Neurowissenschaften im 20. Jahrhundert große Fortschritte machten, brachten sie keine überzeugende Alternative zu Descartes’ Formel hervor. Und so wurde das Thema zum Tabu. Kaum jemand bezweifelte, dass Gehirn und Verstand eng verbunden sind. Sollten Sie das anders sehen, versetzen Sie Ihrem Gehirn ein paar Messerstiche und schauen Sie, was dann mit Ihrem Verstand passiert. Doch wie beide verbunden oder ob sie gar ein und dasselbe sind – dieses Rätsel überließ man den Philosophen.
Heavy Metal wie eh und je
1990 aber nutzte der britische Physiker und Biochemiker Francis Crick, Mitentdecker der Doppelhelix, sein akademisches Renommee, um aus der Reihe zu tanzen. Die Hirnforschung sei inzwischen so weit, dass sie das Bewusstsein nicht länger ausklammern dürfe, schrieben er und Christof Koch in einem gemeinsamen Artikel: „Es ist bemerkenswert, dass die meisten Arbeiten in den Neurowissenschaften das Bewusstsein gar nicht erst erwähnen.“ Dem hielten sie ihre „Skizze einer Theorie“ entgegen, der zufolge bestimmte Nervenzellen, die in bestimmten Frequenzen feuern, irgendwie die Ursache unserer inneren Wahrnehmung sind.
„Ich wurde für verrückt gehalten, dass ich mich da reinziehen ließ“, erzählt Koch. „Ein älterer Kollege ging mit mir Mittagessen und erklärte, er habe höchste Achtung vor Francis, aber Francis sei Nobelpreisträger und Halbgott. Er könne tun, was er wolle. Ich dagegen stünde am Anfang meiner Karriere und sollte mich in Acht nehmen. ‚Halte dich erst mal an den wissenschaftlichen Mainstream‘, sagte er. ‚Diese Randbereiche, bewahr sie dir für die Pensionierung auf. Wenn der Tod dir auf die Pelle rückt, kannst du über die Seele nachdenken.‘“
Etwa zu dieser Zeit begann David Chalmers über Zombies zu reden.
Als Kind war Chalmers auf einem Auge stark kurzsichtig. Lebhaft erinnert er sich an den Tag, als er seine erste Brille bekam: „Plötzlich hatte ich auf beiden Seiten volle Sehkraft. Und die Welt sprang mir entgegen, dreidimensional, wie ich sie nicht gekannt hatte.“ Er dachte über diesen Moment oft nach, als er älter wurde. Natürlich könnte man mechanisch beschreiben, was da in dem Brillenglas, in seinem Augapfel, auf seiner Netzhaut und in seinem Gehirn vor sich ging. „Aber erklärt das die Art, wie mir die Welt entgegensprang?“
Für einen Physikalisten ist die Brille-Auge-Netzhaut-Geschichte die einzige. Doch Chalmers genügte sie nicht. Für das plötzliche, atemberaubende Erlebnis von Tiefe und Klarheit bot sie nicht den Ansatz einer Erklärung. Mit einem Zombie-Gedankenexperiment will Chalmers verdeutlichen, warum das Rätsel der bewussten Wahrnehmung tiefer geht, als eine rein materiell orientierte Wissenschaft es fassen kann.
„Ich bin kein Zombie, und ich hoffe sehr, Sie sind auch keiner“, sagt Chalmers. „Doch die Evolution hätte Zombies erzeugen können anstelle bewusster Lebewesen – und sie hat es nicht getan!“ Wir trinken Espresso in Chalmers’ Wohnung an der New York University, wo er gerade eine Vollzeitstelle an der philosophischen Fakultät angetreten hat. Im Wohnzimmer stapeln sich die Umzugskisten aus Australien. Chalmers, inzwischen 48 Jahre alt, trägt als Zugeständnis an die Gepflogenheiten der akademischen Welt mittlerweile die Haare kurz und ist nicht mehr komplett in Jeans gekleidet. Aber seine Ideen sind Heavy Metal wie eh und je.
Sein Zombie-Szenario geht folgendermaßen: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Doppelgänger. Er oder sie gleicht Ihnen äußerlich vollkommen und verhält sich auch genauso wie Sie – führt Gespräche, isst, schläft, sieht fröhlich oder bekümmert aus. Der einzige Unterschied ist, dass der Doppelgänger kein Bewusstsein hat; dies nämlich, und nicht wandelnde Leichen, meinen Philosophen mit dem Begriff Zombie.
Natürlich gibt es solche bewusstseinslosen Humanoiden nicht. Aber es könnte sie geben: Wesen, die in jedem Atom und jeder Fähigkeit Menschen gleichen, bloß ohne ein Fünkchen Bewusstsein. „Ich spreche jetzt mit Ihnen und kann sehen, wie Sie sich verhalten“, sagt Chalmers. „Ich könnte einen Hirnscan machen und herausfinden, was genau in Ihrem Gehirn vorgeht. Aber mit keinem dieser Befunde könnte ich völlig ausschließen, dass Sie gar kein Bewusstsein haben.“ Selbst der leistungsstärkste Hirnscanner könne mich und meinen Zombie-Doppelgänger nicht unterscheiden. Und allein die Tatsache, dass wir uns dieses Szenario ausmalen können, zeige, dass das Bewusstsein nicht nur aus gewöhnlichen physikalischen Teilchen bestehen könne. Es müsse etwas anderes sein, eine Art Extrazutat in der Natur. Als Chalmers diese Thesen – vor allem mit seinem Buch The Conscious Mind von 1996 – vorstellte, kam das nicht überall gut an. „Lassen wir die Zombies in den schlechten Filmen und seien wir ein bisschen seriöser“, urteilte, stellvertretend für viele, der Wissenschaftstheoretiker Massimo Pigliucci.
In der Schlammschlacht
Wohl die meisten von uns betrachten das Bewusstsein als etwas, das über dem körperlichen Sein steht. Doch dies als wissenschaftlichen Grundsatz anzuerkennen hieße, die Gesetze der Physik neu zu schreiben. Alles, was wir über das Universum wissen, sagt uns, dass die Wirklichkeit nur aus physischen Dingen besteht: aus Atomen und ihren Bestandteilen. Wenn es nun, so fragen Chalmers’ Kritiker, diese nichtphysische mentale Substanz gäbe, wie könnte sie physikalische Vorgänge auslösen?
Chalmers weiß, wie abwegig seine Ideen wirken können. Und er nimmt es locker. Wenn er ein Konferenzpodium betritt, singt er gern den „Zombie Blues“: „Ich handele wie du / Ich tu, was du tust / Und doch weiß ich nicht / Wie es ist, du zu sein.“ Es gehe darum, ob ein Zombie zu sein nicht furchtbar öde wäre, erklärt er. Der Song habe sich seit seiner Premiere vor über zehn Jahren verbessert. Damals habe er noch versucht, die Töne zu treffen. „Inzwischen habe ich gemerkt, es klingt besser, wenn man einfach schreit.“
Die Bewusstseinsdebatte hat eine in der modernen Philosophie fast beispiellose Schlammschlacht ausgelöst. Die Kombattanten widersprechen einander nicht nur, sondern erklären die jeweilige Gegenposition rundweg für lächerlich. Zunächst einmal stimmt nicht jeder zu, dass es überhaupt ein Schwieriges Problem gibt – womit die ganze von Chalmers losgetretene Debatte sinnlos wäre. Daniel Dennett, prominenter Atheist und Professor an der Tufts University bei Boston, behauptet, das Bewusstsein, so wie wir es uns denken, sei eine Illusion: Das Gehirn sei nichts weiter als diese schwammige Masse in unserem Schädel. Der Alltagsverstand mag uns sagen, es gebe eine subjektive Welt des inneren Erlebens, aber der Alltagsverstand sagte uns auch, dass die Sonne um die Erde kreiste und die Erde flach war. Nach Dennetts Theorie gleicht das Bewusstsein einem Zaubertrick: Das normale Arbeiten des Gehirns wirke auf uns so, als ginge da etwas Nichtphysikalisches vor sich. Im Bewusstsein etwas Echtes, Substanzhaftes zu vermuten sei aber ebenso töricht wie die These, dass Romanfiguren wie Sherlock Holmes oder Harry Potter aus einem Stoff namens Fiktoplasma bestünden.
An diesem Punkt pflegt die Debatte in Kopfschütteln und ungläubiges Gelächter umzuschlagen. Keine Seite kann glauben, was die andere da sagt. Aus Sicht seiner Gegner verleugnet Dennett eine Gewissheit, die jeder Mensch kennt – das innere Erleben von Anblicken, Gerüchen, Gefühlen. Als würde jemand behaupten, dass es Krebs nicht gebe, und glauben, damit habe er das Heilmittel gegen Krebs gefunden. Chalmers spekulierte scherzhaft, Dennett könnte ein Zombie sein.
Dennett entgegnete, Dinge wegzuerklären sei genau das, was Wissenschaftler machten. Als Physiker feststellten, dass der einzige Unterschied zwischen Gold und Silber in der Anzahl subatomarer Teilchen in ihren Atomen liegt, hätten die Leute auch protestieren können, damit werde ihnen das Besondere an Gold und Silber wegerklärt. Doch heute akzeptiere jeder, dass das Goldene am Gold und das Silberne am Silber nichts weiter sind als Unterschiede in den Atomen. Ebenso sollten wir hinzunehmen lernen, dass das Bewusstsein nichts weiter sei als die Gehirnmasse, die tut, was Gehirne eben tun.
„Die Wissenschaftsgeschichte ist voller Fälle, in denen Leute glaubten, ein Phänomen sei einzigartig, nicht mechanisch zu erklären, unlösbar und ohnegleichen im ganzen Universum“, sagt Patricia Churchland von der University of California in San Diego. Sie bezeichnet sich als Neurophilosophin und zählt zu Chalmers’ schärfsten Kritikerinnen. Das Schwierige Problem hält sie für Unfug. Am Leben gehalten von Philosophen, die verhindern wollen, dass wieder eines ihrer Lieblingsrätsel abgeschafft wird. Dergleichen sei ja schon oft passiert. Im 17. Jahrhundert waren die Gelehrten etwa noch überzeugt, Licht könne nicht physikalisch sein, es unterliege nicht den Naturgesetzen.
Ungeachtet dieser Kritik arbeiten sowohl Naturwissenschaftler als auch Philosophen weiter an der Lösung des Schwierigen Problems. In den vergangenen Jahren haben sich einige, unter ihnen auch Chalmers und Koch, auf ein Konzept zurückbesonnen, das so bizarr ist, dass es außerhalb fernöstlich-spiritistischer Traditionen und esoterischer Zirkel seit über einem Jahrhundert niemanden mehr interessiert hatte. Es handelt sich um den Panpsychismus: eine Theorie, laut der alles im Universum bewusst sein kann.
Ja, das klinge lächerlich, räumt Koch ein. Wenn er den Panpsychismus erwähne, stoße er oft auf blankes Unverständnis. Doch im Umgang mit dem Schwierigen Problem sind verrückte Theorien ein Berufsrisiko. Zudem bietet der Panpsychismus eine Erklärung für ein Rätsel, das die Forschung von Anfang an begleitet hat: Wenn Menschen es haben und Affen, wenn Hunde und Schweine es wahrscheinlich haben, und vielleicht auch Vögel – wo hört es auf?
Dackel Purzel
Als Kind hatte Christof Koch einen Dackel namens Purzel. Der Kirche zufolge – Koch wuchs ja in einem katholischen, deutschstämmigen Elternhaus auf – konnte Purzel als Hund keine Seele haben. Doch er winselte, wenn er sich fürchtete; er jaulte, wenn er sich verletzte. „Es gab lauter Anzeichen für ein reiches Innenleben“, sagt Koch. Heutzutage ist zwar selten von Seelen die Rede, doch wird weithin angenommen, dass auch viele nichtmenschliche Gehirne ein Bewusstsein haben. Dass also etwa ein Hund, der sich verletzt, wirklich Schmerz empfindet. Es gibt aber keinen logischen Grund, bei Hunden, Spatzen, Mäusen oder Insekten die Grenze zu ziehen. Nicht einmal bei Bäumen oder Steinen. Da wir nicht wissen, wie die Gehirne von Säugetieren Bewusstsein erzeugen, können wir auch nicht wissen, ob nur die Gehirne von Säugetieren es tun – oder ob für Bewusstsein überhaupt ein Gehirn nötig ist.
Und so landen sowohl Koch als auch Chalmers bei der Folgerung, das auch ein gewöhnlicher Haushaltsthermostat im Prinzip ein Bewusstsein haben könnte. Dabei argumentieren sie folgendermaßen: Physiker haben kein Problem, hinzunehmen, dass es gewisse Bestandteile der Wirklichkeit wie Raum, Masse oder elektrische Ladung einfach gibt. Sie lassen sich nicht als Ergebnis von irgendetwas anderem erklären. Das Erklären hat hier seine Grenzen. Die Panpsychisten vermuten, dass es sich mit dem Bewusstsein ebenso verhält. Dann aber besteht kein Grund, anzunehmen, dass Bewusstsein nur in bestimmten Formen von Materie auftritt.
Kochs Version dieser Idee ist enger und präziser gefasst als der traditionelle Panpsychismus: Alles kann ein Bewusstsein haben, vorausgesetzt, die Informationen, die es enthält, sind hinreichend miteinander verknüpft und organisiert. Das menschliche Gehirn erfüllt diese Bedingung sicherlich, ebenso die Gehirne von Katzen und Hunden, auch wenn ihr Bewusstsein sich von unserem stark unterscheiden dürfte. Im Prinzip aber könnte dasselbe für das Internet gelten oder für ein Smartphone.
Die moralischen Konsequenzen sind verstörend: Sollten wir Maschinen die gleiche Achtsamkeit schuldig sein wie Tieren? Doch selbst wenn wir uns auf die These einlassen, dass ein Smartphone ein Bewusstsein haben könnte: Können wir jemals wissen, ob sie stimmt? Müsste dafür nicht das Smartphone selbst es wissen? Koch zuckt mit den Schultern. „Es ist wie mit den Schwarzen Löchern. Ich bin nie in einem Schwarzen Loch gewesen, habe keine persönliche Erfahrung damit. Doch die Theorie, der zufolge Schwarze Löcher existieren, scheint immer zu stimmen. Also neige ich dazu, sie zu glauben.“
Im Juni 2014 stachen einige der renommiertesten Köpfe in der Debatte, unter ihnen Chalmers, Churchland und Dennett, auf einer Jacht gemeinsam in See, um sich im Treibeis vor der Küste Grönlands weiterzustreiten. Ausgerichtet wurde die Konferenz auf dem Meer von dem russischen Internetunternehmer Dmitri Wolkow. Rund 30 Wissenschaftler und Doktoranden plus Crew glitten eine Woche lang durch dunkle Gewässer, an schneebedeckten Bergen und Gletschern vorbei – um mit von der Kälte erfrischten Gehirnen einmal mehr das Problem des Bewusstseins in Angriff zu nehmen. Vormittags legten sie an Inseln an und gingen wandern. Nachmittags hielten sie an Bord ihre Sitzungen ab. Für Chalmers machte die Umgebung die Dringlichkeit des Rätsels erneut deutlich: Wie konnte man den arktischen Wind im Gesicht spüren, all die Grau-, Weiß- und Grüntöne dieser Landschaft aufnehmen und dabei behaupten, das bewusste Erleben sei nicht real oder bloß ein Effekt gewöhnlicher physikalischer Vorgänge?
Die Frage blieb rhetorisch. Dennett und Churchland ließen sich nicht umstimmen. Chalmers bezweifelt, dass in absehbarer Zeit ein Konsens zu erreichen ist: „Vielleicht ergibt sich irgendeine erstaunliche neue Entwicklung, die uns dann alle dastehen lässt wie Prä-Darwinisten. Aber es würde mich nicht wundern, wenn wir in 100 Jahren das Gehirn komplett kartografiert hätten – und trotzdem die einen sagen würden: ‚Ja, aber Bewusstsein sehe ich da nirgends.‘ Und die anderen: ‚Doch, gerade das ist das Bewusstsein.‘“ Der Grönlandtrip endete in kollegialer Atmosphäre und gegenseitigem Unverständnis.
Es wäre hübsch poetisch, wenn am Ende der Beweis stünde, dass das Einzige, was der menschliche Verstand nicht zu begreifen vermag, er selbst ist. Irgendwo da draußen muss es aber eine Antwort geben. Doch ob unser Gehirn für die Reise zu dieser Antwort taugt, ist ungewiss. Vielleicht würden wir – wenn wir an irgendeinem fernen Ufer, an dem Neurowissenschaft und Philosophie zusammentreffen, über die Lösung stolpern würden – gar nicht erkennen, dass wir sie gefunden haben.
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