Sie gilt als „einsamster Baum der Welt“, aber die Sitka-Fichte auf der unbewohnten Campbell-Insel befand sich in letzter Zeit in guter Gesellschaft – in der eines Teams von neuseeländischen Wissenschaftler:innen, die überzeugt sind, dass der Baum dabei helfen könnte, offene Fragen der Klimakrise zu beantworten.
Die neun Meter hohe Fichte hält den Guinness-Buch-Weltrekord für den „am einsamsten gelegenen Baum“ auf der Erde. Sie ist der einzige Baum auf der struppigen, windumtosten Insel, 700 Kilometer südlich von Neuseeland im Südlichen Ozean, auch Südpolarmeer oder Antarktis genannt. Im Umkreis von 222 Kilometern gibt es keinen anderen Baum; der nächste wächst auf den subantarktischen Aucklandinseln.
Bis er 1973
Bis er 1973 von einem LKW-Fahrer umgefahren wurde, galt der Baum in der Wüste Ténéré in Niger als der abgelegenste auf dem Planeten. Danach übernahm die Campbell Island-Fichte diese Rolle. Es wird davon ausgegangen, dass der frühere Gouverneur Neuseelands Lord Ranfurly die Sitka-Fichte Anfang des 19. Jahrhunderts pflanzte – daher ihr Spitzname Ranfurly-Baum.Studien waren allerdings nicht in der Lage, das genaue Alter der Fichte zu bestätigen. Unterdessen weist das Guinness-Buch der Rekorde darauf hin, dass der Baum zwar gerne als einsamster Baum der Welt bezeichnet wird, „es aber keine universell anerkannte präzise Definition davon gibt, was einen ‚Baum’ ausmacht.“Die Sitka-Fichte ist ein wichtiges Werkzeug für die Wissenschaftler:innenDie Fichte ist als gebietsfremde Art klassifiziert. Manche Wissenschaftler:innen wären daher froh, wenn es sie nicht mehr gäbe. Anderer Meinung ist da die Leiterin der Radiokohlenstoffforschung am Institut für Geologie und Nuklearwissenschaften GNS Science, Jocelyn Turnbull. Ihrer Ansicht nach könnte der Baum ein wertvolles Werkzeug sein, um zu verstehen, was bei der Aufnahme von Kohlendioxid im Südpolarmeer geschieht.„Von dem CO₂, das wir durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe produzieren und in die Atmosphäre ausstoßen, bleibt dort nur rund die Hälfte, während die andere Hälfte an Land und im Meer landet“, erklärte Turnbull. „Es hat sich gezeigt, dass der Südliche Ozean – einer der großen Kohlenstoffspeicher – rund zehn Prozent aller Emissionen, die wir in den vergangenen 150 Jahren produziert haben, aufgenommen hat.“Turnbull arbeitet mit New Zealand’s Deep South National Science Challenge, der Antarctic Science Platform und dem National Institute for Water and Atmospherics zusammen, um zu verstehen, was mit dem Kohlenstoff im Südpolarmeer geschieht.Die Teams stellen sich zwei großen Fragen: Was passiert, wenn diese Kohlenstoffspeicher „sich füllen“? Führt das zu einer enormen Beschleunigung der globalen Erwärmung? Oder kann Wissen darüber, wie diese Speicher funktionieren, genutzt werden, um sie dabei zu unterstützen, noch mehr Kohlenstoff aufzunehmen und damit die globale Erwärmung zu mindern?Der Kohlenstoffgehalt in den BaumringenFrühere Studien, die sich mit der Kohlenstoff-Aufnahme des Südpolarmeers beschäftigen, kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Die aktuelle Theorie besagt, dass zunehmend mehr aufgenommen wird. Turnbull möchte verstehen, was dahinter steckt.Die beste Methode zur Messung von Co2-Konzentrationenen ist, Proben aus der Atmosphäre zu entnehmen. Das lässt sich durch Radiokohlenstoffdatierungsproben von Tiefseewasser unterstützen. Doch dabei stößt man an gewisse Grenzen. „Man kann keine Probe der Luft von vor 30 Jahren nehmen, weil sie nicht mehr da ist“, erklärte Turnbull. „Daher hatten wir die Idee, Baumringe zu benutzen. Wenn Pflanzen wachsen, holen sie durch Photosynthese Kohlendioxid aus der Luft und nutzen es, um ihre Strukturen aufzubauen. So landet der Kohlenstoff aus der Luft in den Baumringen.“Das ist hilfreich, wenn es eine Fülle von alten Bäumen gibt, aber die sind im Südpolarmeer eine Seltenheit. Hier kommt die Sitka-Fichte ins Spiel – der südlichste Baum, der gute Daten versprach, den das Team finden konnte. „Die Fichte ist schneller gewachsen als alles andere in der Region. Ihre Ringe sind größer und lassen sich leichter von einander abtrennen und dokumentieren.“Mit Hilfe eines Handbohres entnahm Turnbull 2016 eine 5-Millimeter-Kernprobe. Die Ergebnisse müssen allerdings erst noch veröffentlicht werden.Und was die Einsamkeit des Baums angeht: Die hängt wohl vom Auge des Betrachters ab. „Um zum Baum zu kommen, muss man an Seeelefanten und Seelöwen, Pinguinen und Albatrossen vorbei“, erzählte Turnball. „Die Fichte wirkt nicht einsam ... sie sieht eigentlich ganz zufrieden aus.“