Spoiler-Warnung: Dieser Text verrät Teile der dritten Homeland-Staffel, deren letzte Folge vergangenen Sonntag in den USA ausgestrahlt wurde!!!
In einer der bekannteren Szenen der Thriller-Serie Homeland sagt Saul Berenson – der aussieht, als würde er naiv dreinblickende Bachelor-Studenten in Ethnologie unterrichten, in der dritten Staffel aber geschäftsführender Direktor des CIA ist – seiner impulsiven, psychisch extrem instabilen und merkwürdigerweise dennoch hochgeschätzten Analystin Carrie Mathison, sie sei die "verdammt nochmal smarteste und dümmste Person, die ich je gekannt habe".
Smart und dumm – mit diesen beiden Attributen ist auch Homeland treffend beschrieben. In der hervorragenden ersten Staffel verband die Serie fesselnde Charakterstudien mit derart unplausiblen Handlungselementen, dass man als Zuschauer nicht so genau wusste, ob man sie dafür hassen oder lieben sollte.
Relevantes Thema
Die meisten Zuschauer entschieden sich, die Serie zu lieben. Immerhin hatte Homeland eine spannende Story, gute Schauspieler und mit den Folgen der amerikanischen Terrorbesessenheit nach 9/11 ein relevantes Thema zu bieten. Carrie und der zum al-Quaida-Terroristen gewandelte Ex-Marine Nicholas Brody zeigten ernüchternd, wie der starrsinnig verfolgte globale Krieg gegen den Terror nicht nur denjenigen schadet, gegen die er sich richtet, sondern auch denen, die ihn ausfechten.
Da konnte man schon vernachlässigen, dass die Darstellung der CIA als paramilitärische, praktisch willkürlich agierende Organisation teils absurd überzogen war. Und dass die wichtigste Analystin der Serie nicht nur regelmäßig das Gesetz brach, sondern auch unter einer schweren psychischen Erkrankung litt, die sie keine fünf Minuten an einem Lügendetektor der CIA überstehen lassen würde. Homeland war eben ein guilty pleasure am Sonntagabend.
Als Zuschauer ist man bereit, allerlei Unglaubwürdiges hinzunehmen, Homeland aber ging irgendwann zu weit. In der dritten Staffel servierten die Produzenten uns vier Folgen, die Carries fortschreitendes Abgleiten in den Wahnsinn und ihren Verrat durch die CIA schilderten. Nur um dann zu sagen: "Reingelegt! War nur ein Spaß, ignorieren Sie alles, was sie gesehen haben." Die kleine List diente einem größeren Ziel: Nämlich Sauls Plan, Majid Javadi, das zweithöchste Mitglied der iranischen Revolutionsgarden, in die USA zu holen, um aus ihm einen Doppelagenten im Einsatz gegen die iranische Regierung zu machen. (Wohlgemerkt ist Javadi der mutmaßliche Kopf hinter dem Autobombenanschlag auf die CIA, mit dem die zweite Staffel endet.)
Als Javadi dann brutal zwei Menschen umbringt, darunter seine Ex-Frau, beendet Saul die polizeilichen Ermittlungen in diesem Mordfall – übrigens ohne irgendjemanden, geschweige denn das Weiße Haus, darüber zu informieren. Und natürlich kommt auch niemals jemand dahinter. Eins weiß man ja inzwischen über die US-Regierung: Im Geheimhalten ist sie gut.
Frieden oder so
Derweil holt Saul den inzwischen in Caracas heroinabhängig vor sich hin dämmernden Brody heim, der übrigens wegen besagtem Bombenanschlag der meistgesuchte Mann der Welt ist. Er soll sich nun in den Iran einschleichen und dort Javadis Boss töten, damit Javadi auf die Spitzenposition aufrücken kann ... und dann gibt es Frieden oder so.
Unterdessen wird Carrie von einem CIA-Kollegen angeschossen, weil sie einer Anordnung nicht gefolgt ist und versucht hat, die Ermordung eines Verdächtigen im Zusammenhang mit dem Langley-Anschlag zu verhindern. Der wird aber trotzdem ermordet. Zu kümmern scheint das keinen. Eine Woche darauf ist Carrie dann wieder bei bester Gesundheit. Und Saul beschließt, sie sei am besten geeignet, um undercover nach Teheran zu gehen und dabei zu helfen, Brody wieder aus dem Iran herauszubringen. Und hatte ich erwähnt, dass sie außerdem von Brody schwanger ist? Oder doch von einem anderen One-Night-Stand?
Sag' ich doch: Verdammt dämlich.
Von dem grotesken Handlungsverlauf der aktuellen Staffel einmal abgesehen, besteht das eigentliche Vergehen von Homeland aber darin, dass die Serie eine gefährliche Mixtur aus Lügen über den Terrorismus, die amerikanische Allmacht und das Wesen internationaler Politik darbietet.
Zu Beginn bot Homeland den Zuschauern eine Perspektive, die selten war im Jahrzehnt nach den Anschlägen vom 11. September – die des Selbstmordattentäters. Nicholas Brody hasst Amerika nicht wegen der Freiheit, die es bietet. Er hasst das Land, das eine unbemannte Drohne in den Nordirak geschickt und dort den kleinen Sohn des Terroristenanführers Abu Nizar, bei dem Brody in Gefangenschaft war, getötet hat.
Verzicht auf Nuancen
In der aktuellen Staffel verzichtet Homeland auf derartige Nuancen. Stattdessen wird der Eindruck vermittelt, al-Quaida und die iranische Regierung steckten unter einer Decke – dabei gibt es zwischen den sunnitischen und schiitischen Rivalen tatsächlich reichlich wenig Zuneigung. Der Iran und seine Bevölkerung indes werden als Karikatur anti-amerikanischen Hasses dargestellt, der Realität kommt das nicht unbedingt nahe.
Mit den Feinheiten der internationalen Diplomatie hat man sich bei Homeland ohnehin nie aufgehalten. Veränderungen – oder das Potential dazu – werden dort mit Waffen und Morden herbeigeführt. Die aktuelle Staffel hat da nochmal einen drauf gesetzt.
Der scheinbare Weltfrieden und die Annäherung zwischen langjährigen Feinden werden hier nicht durch Verhandlungen oder politischen Druck erreicht, sondern durch einen CIA-Mord, der Jahre der Feindseligkeit zwischen den USA und dem Iran auf wundersame Weise dahinschmelzen lässt und den Nahen Osten transformiert.
Erstmal muss jemand sterben
So ungefähr stellen sich Kinder Außenpolitik vor – große Gesten von wohlmeinenden Persönlichkeiten (oder in diesem speziellen Fall: einem psychopathischem Killer, der von der CIA erpresst wird) wandeln ganze Gesellschaften. Als Saul seinen großen Plan Carrie präsentiert, tut er dies denn auch mit den Worten, wenn er aufginge, könnten "zwei Länder, die dreißig Jahre lang nicht – oder nur über Terrorakte und Drohungen – miteinander kommuniziert haben, sich hinsetzen und reden." Dafür muss aber natürlich erstmal jemand sterben.
Die Ironie an all den fiktionalen Intrigen: Quasi in dem Augenblick, als Saul dies sagte, haben zwei Länder, die dreißig Jahre lang nicht miteinander kommuniziert hatten, sich tatsächlich in Genf hingesetzt und geredet – und so eine Übereinkunft über eine Begrenzung des iranischen Atomprogramms erreicht.
Wenn wir also in diesem Jahr irgendetwas über internationale Beziehungen gelernt haben, dann, dass Einigungen zwischen Staaten oft durch eine Reihe von Handlungen zustande kommen, die nicht gerade sexy sind: beschwerliche und langwierige Diplomatie, mühsam errichtete Sanktionsregime, vertrauensbildende Maßnahmen und mitunter endlos erscheinende Verhandlungen. Und selbst dann lässt sich kaum von einer Erfolgsgarantie ausgehen.
Der jüngst in Genf erreichte Durchbruch in den Beziehungen zwischen den USA und dem Iran war nicht das Ergebnis von Manipulationen durch die CIA. Er kam vielmehr durch strategische Entscheidungen von Politikern in beiden Ländern (und in Frankreich, Großbritannien, China, Russland und Deutschland) zustande, die versuchten, eine Normalisierung zu bewirken. Bei Homeland hingegen endet die dritte Staffel damit, dass Saul Berenson die alleinige Anerkennung dafür erhält, die Haltung der iranischen Regierung verändert und einen Atomdeal in Genf herbeigeführt zu haben.
Schwarzweiß-Bild von Muslimen
In den ersten beiden Staffeln war Homeland darum bemüht, nicht nur differenziert zu sein in der Darstellung von dschihadistischen Terroristen, sondern auch einen Einblick in die unbeabsichtigten Folgen des amerikanischen Militarismus zu ermöglichen. Oft genug gelang das auch. Inzwischen ist die Serie zu einem Lobgesang auf den amerikanischen Militarismus, die taktische Effizienz der Spezialoperationen des US-Militärs und einer entmutigenden Schwarz-Weiß-Darstellung der "muslimischen" Feinde Amerikas geworden.
Schlechtes Fernsehen zu machen ist schlimm genug, Homeland aber begeht eine weitaus schwerwiegendere Sünde: Es missversteht den Nahen Osten völlig, fetischiert die schlechtesten Aspekte amerikanischer Macht und stellt falsch dar, wie und warum es zu auf internationaler Ebene zu politischem Wandel kommt.
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