Smells like Dictatorship

USA Präsident Trump militarisiert seine Innenpolitik. Der Schaden für das Land ist nicht absehbar
Ausgabe 24/2020
Das US-Militär blockiert eine Straße nahe dem Weißen Haus. Präsident Trump sollte von den Demonstranten abgeschirmt werden
Das US-Militär blockiert eine Straße nahe dem Weißen Haus. Präsident Trump sollte von den Demonstranten abgeschirmt werden

Foto: Imago Images/UPI Photo

Der martialische Anblick schwer gepanzerter US-Militärfahrzeuge ist den Bewohnern von Bagdad und Kabul schmerzlich vertraut. Nun wurde er auch Bürgern Washingtons und anderer US-Städte zuteil, verursacht durch die eigene Regierung. Die Überreaktion von Donald Trump auf die überwiegend gesetzeskonformen Proteste nach dem Tod von George Floyd führte zu heftigem Aktionismus und ließ einmal mehr erkennen, dass sich die USA im In- und Ausland immer stärker auf den aggressiven Einsatz von Gewalt als vorrangiges Mittel verlassen. Die Militarisierung von Polizei und Gesellschaft insgesamt wurzelt im Umgang mit den 9/11-Anschlägen, als Präsident George W. Bush das Land in einen Zustand des permanenten Notstands stürzte. Paradoxerweise hat sein „weltweiter Krieg gegen den Terror“ der internationalen und inneren Sicherheit schwer geschadet. Ein Grund dafür war die enorme Ausweitung der Befugnisse, die dem Heimatschutzapparat zuerkannt wurde. Für die Ausgaben des Pentagon sind 2020 satte 738 Milliarden Dollar veranschlagt. Auch die Budgets für Polizei und Strafvollzug schnellten in die Höhe, 2017 erreichten sie den Wert von 194 Milliarden Dollar. Heute beschäftigen landesweit gut 18.000 Strafverfolgungsbehörden 800.000 Beamte, viele davon bis an die Zähne bewaffnet.

„Städtischer Gefechtsraum“

Ob sie es verdienen oder nicht, werden Mitglieder der US-Streitkräfte von Trump und anderen regelmäßig als Helden bezeichnet. Angesichts des hohen Ausmaßes an Gewaltverbrechen, bei denen Schusswaffen eingesetzt werden, glauben viele, die an vorderster Front der innerstaatlichen Strafverfolgungsbehörden stehen, sie hätten einen ähnlichen Status und Schutz verdient wie die US-Soldaten im Ausland. Wenn Polizisten das glauben und so ausgerüstet sind wie Soldaten, sollte es nicht überraschen, wenn sie so handeln, als könnten sie für ihre Taten nicht belangt werden. Dann wird die Zivilbevölkerung im „städtischen Gefechtsraum“, wie das Verteidigungsminister Mark Esper nennt, als Feind behandelt.

Trumps panischer Aktionismus nach dem Tod von George Floyd hat die Grenze zwischen militärischer und ziviler Staatsgewalt weiter verwischt, indem Patriotismus und Militarismus verschränkt wurden. Auch wenn Trump nicht der erste Präsident ist, der sich in die Fahne hüllt, hat dieser Wehrdienstverweigerer aus der Zeit des Vietnamkrieges, der heute Oberbefehlshaber ist, besonders wenig Sinn für Verfassungstreue. Aber das Problem ist nicht nur Trump oder die Polizei. Seit der Kalte Krieg 1990 für beendet erklärt wurde, verlässt sich Amerika auf den kontinuierlichen Gebrauch militärischer Gewalt im Ausland, während Diplomatie, Vermittlung und Soft-Power-basierte Ansätze zurückgedrängt werden. Eine Militarisierung des Denkens, die stets auf Konflikt und Dominanz setzt, kann am eigenen Land nicht spurlos vorübergehen. Es musste davon erfasst werden, wie die vergangenen Tage gezeigt haben. James Madison, einer von Amerikas Gründungsvätern, warnte vor über 200 Jahren: „Von allen Feinden der öffentlichen Freiheit ist der Krieg vielleicht der gefürchtetste. Im Krieg wird der Ermessensspielraum der Exekutive erweitert ... Keine Nation kann ihre Freiheit inmitten eines ständigen Krieges bewahren.“

Ins eigene Fleisch

Heute seien die Amerikaner wie nie zuvor in ihrer Geschichte von militärischer Macht fasziniert, schrieb 2005 der Bostoner Historiker und Vietnamkriegsveteran Andrew Bacevich in seinem Bestseller The New American Militarism, in dem er Bushs „unmoralische, illegale und unüberlegte“ Invasion im Irak kritisierte. Das Streben nach Vorherrschaft habe noch immer zum Niedergang geführt. Die USA würden das Schicksal all derer teilen, die in der Vergangenheit auf Krieg und militärische Macht gesetzt haben. „Wir werden künftige Generationen ihres rechtmäßigen Erbes berauben, im Ausland Verwüstung anrichten und die eigene Sicherheit gefährden. Wir werden den Verlust all dessen riskieren, was uns teuer ist“, warnte Bacevich. Die Neokonservativen hassten diese Botschaft. Aber angesichts der Tatsache, dass führende US-Militärs über Trumps Missbrauch militärischer Macht in Aufruhr geraten, hört die Rechte jetzt vielleicht eher zu.

Patriotismus und Stolz sind nicht a priori verwerflich. Und es ist nichts Falsches daran, vor der Flagge zu salutieren und die Polizei zu unterstützen, wenn sie ihre Arbeit richtig macht. Doch wenn solche Instinkte von Demagogen wie Trump missbraucht werden, wenn Ultranationalismus und hasserfüllter Fanatismus, der einen tief verwurzelten Rassismus schürt, Fuß fassen – dann droht die Katastrophe.

Vielleicht werden sich die von Barack Obama angemahnten Polizeireformen auf der politischen Agenda halten, wenn die Wut über den Mord an Floyd abgeflaut ist. Auf internationaler Ebene jedoch hat das Ansehen der USA Schaden genommen. Die teils entsetzten Reaktionen in Europa, Kanada und Australien sind ärgerlich, aber erträglich. Gefährlicher ist der Schaden für die globale Bedeutung einer repräsentativen Demokratie. Trumps repressives Vorgehen legitimiere Diktatoren, vermerkt Jake Sullivan, Berater des demokratischen Präsidentenbewerbers Joe Biden. „Es ermöglicht ihnen zu glauben, sie seien rechtschaffen und müssten sich keine Beschwerden über Menschenrechte, Gleichheit und Demokratie anhören.“ Dies untergrabe die nationale Sicherheit der USA, so Sullivan. Eine Warnung, wie sie durch Richard Haass vom US Council on Foreign Relations aufgegriffen wird. „Die USA erscheinen der Welt gespalten, geschwächt und verstört“, schrieb er. „Schwer zu glauben, dass wir nicht an irgendeiner Stelle auf irgendeine Weise von irgendjemandem herausgefordert werden, der diese Umstände ausnutzen will.“ Mit anderen Worten: Wenn ein militarisiertes Amerika sein Feuer gegen sich selbst richtet, kommt dies äußeren Feinden zugute.

Simon Tisdall ist Guardian-Kolumnist

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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