Snowden von gestern

NSA Während europäische Politiker sich über die US-Überwachung empören, fordert NSA-Chef General Alexander ein Ende der Berichterstattung über die Praktiken seiner Behörde
NSA-Chef Keith Alexander
NSA-Chef Keith Alexander

Foto: Brendan Smialowski/ AFP/ Getty Images

Bislang wurde über die internationale Dimension der NSA-Geschichte verhältnismäßig wenig diskutiert. Das hat sich in der vergangenen Woche geändert, als die Überwachung von Bevölkerung und Regierungsvertretern in Deutschland und Frankreich für große Empörung sorgte.

Wie zuvor im Falle Brasiliens erhielt die Überwachung der Regierungschefs in den Medien die größte Aufmerksamkeit. Dabei war es ursprünglich darum gegangen, dass die NSA in diesen Länder Millionen unschuldiger Bürger ausspioniert. In Anbetracht dieser umfassenden, systematischen und verdachtsunabhängigen Überwachung durch die USA und ihre vier englischsprachigen Verbündeten (UK, Kanada, Australien und Neuseeland) können sich die Apologeten der US-Regierung nicht mehr damit herausreden, es würde doch jeder jeden ausspionieren.

Dazu sind drei Dinge zu sagen:

Erstens gilt es zur Kenntnis zu nehmen, mit welcher grundsätzlichen Gleichgültigkeit Regierungschefs wie Angela Merkel darauf reagiert haben, dass die Bevölkerungen der von ihnen vertretenen Länder überwacht werden und sich erst dann empörten, als bekannt wurde, dass sie selbst Ziel dieser Überwachung sind. Diese Reaktion gibt einen starken Einblick in die wahre Geisteshaltung vieler westlicher Regierungschefs.

Zweitens behaupten alle diese Regierungen, wie neu ihnen die Enthüllungen seien; wie grundlegend die Verstöße, von denen diese erzählen; wie froh sie seien, darüber zu erfahren und wie sehr sie entschlossen, daran etwas zu ändern. Wenn all dies stimmt, warum lassen sie dann zu, dass Edward Snowden, der all diese Enthüllungen ermöglicht hat, von der US-Regierung weiterhin von verfolgt wird, weil er das „Verbrechen“ begangen hat, die Praktiken der NSA publik zu machen?

Wenn die deutsche und französische Regierung – und die Bevölkerungen der beiden Länder – wirklich so froh darüber sind, zu erfahren, wie ihre Privatsphäre systematisch von einer ausländischen Macht, auf die sie keinen Einfluss haben, verletzt wird, sollten sie dann nicht demjenigen Asyl anbieten, der dies alles enthüllt hat, anstatt seine Gesuche auf Schutz seiner grundlegenden politischen Rechte zurückzuweisen und ihn damit der Gefahr auszusetzen, für Jahrzehnte von der US-Regierung inhaftiert zu werden?

Abgesehen von der vertraglichen Verpflichtungen, die diese Nationen zum Schutz der grundlegenden politischen Menschenrechte auf Schutz vor Verfolgung eingegangen sind – wie können sie sich gleichzeitig über diese Übergriffe empören und dem Menschen gegenüber die kalte Schulter zeigen, der seine Freiheit und sogar sein Leben riskiert hat, um sie ans Licht zu bringen?

Drittens: Kann der geringste Zweifel daran bestehen, dass die US-Regierung wiederholt versuchte, die Welt irre zu führen, wenn sie darauf beharrte, das System der verdachtsunabhängigen Überwachung diene allein dem Zweck, die amerikanische Bevölkerung vor Den Terroristen™ zu beschützen? Unsere Berichterstattung hat offenbart, dass Wirtschaftskonferenzen ebenso abgehört wurden wie die Organisation Amerikanischer Staaten, Ölunternehmen, Ministerien, die Gruben und Energieressourcen verwalten, die demokratisch gewählten Regierungschefs verbündeter Staaten und deren komplette Bevölkerungen.

Können Präsident Obama und seine ergebensten Verbündeten weiterhin ohne eine Mine zu verziehen behaupten, hier gehe es allein um TERRORISMUS? Das meinen Henry Farrell und Martha Finnemore in ihrem hervorragenden Essay mit der These, die Leaks von Manning und Snowden sorgten dafür, dass die USA Heuchelei nicht länger als entscheidende Waffe ihrer Soft Power verwenden könnten.

Und wenn wir gerade von der Unmöglichkeiten sprechen: Wie werden amerikanische und britische Behörden im Lichte ihres Verhaltens in dieser Sache die Behauptung aufrechterhalten, sie würden die Presse- und Redefreiheit verteidigen und befänden sich in der Position, andere wegen deren Verletzungen zu verurteilen? Den bislang offensten Angriff auf diese Freiheiten – wie auch den eindeutigsten Beleg für um sich greifende Panik – lieferte NSA-Direktor General Keith Alexander geliefert, als er am Donnerstag tatsächlich forderte, der Berichterstattung durch Medien auf der ganzen Welt über diese Geheimnisoffenbarung müsse Einhalt geboten werden (Techdirt hat das vollständige Video hier):

Alexander wirft den Journalisten vor, die Dokumente seiner Behörde zu „verkaufen“ und fordert dazu auf, den beständigen Strom von Enthüllungen aus dem Fundus Edward Snowdens zu stoppen.

„Ich halte es für falsch, dass Zeitungsreporter im Besitz all dieser Dokumente sind ... und sie verkaufen und herausgeben …“, sagte Alexander in einem Interview mit dem „Armed With Science“-Blog des amerikanischen Verteidigungsministeriums.

„Wir müssen uns etwas einfallen lassen, um dem Einhalt zu gebieten. Ich weiß nicht wie. Das ist mehr die Sache von Gerichten und Politikern. Aber aus meiner Perspektive ist es falsch, zuzulassen, dass das weitergeht“, erklärte der NSA-Direktor.

Die NSA hat 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (und viele Zehntausende mehr, die für private Auftragnehmer arbeiten, die im Auftrag der Behörde arbeiten) – vielleicht kann dem General mal jemand erzählen, dass es so etwas gibt wie den ersten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der es dem Kongress verbietet, Gesetze zu verabschieden, die unter anderem die Presse- und Meinungsfreiheit einschränken.

Ich würde liebend gerne wissen, woran General Alexander denkt, wenn er sagt, die Regierung müsse sich etwas einfallen lassen, um die Berichterstattung über diese Geschichte zu stoppen. Welche Möglichkeiten es da auch immer geben mag: Sie verstoßen gegen die amerikanische Verfassung. Wer auch immer will, dass die Regierung die Berichterstattung durch die Medien gewaltsam beendet, dem kann man nicht das Vertrauen entgegenbringen, im Geheimen ein gewaltiges System der präventiven Überwachung aufzubauen. Dieses Vertrauen kann eigentlich niemandem entgegengebracht werden.

Der digitale Freitag

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Glenn Greenwald | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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