Biologisches Geschlecht im Sinne der Trans-Inklusion abzuschaffen ist gefährlich
Genderdebatte Ein Forschungsteam in London fordert die Abschaffung eines gesetzlichen Geschlechtseintrags in der Geburtsurkunde. Kann das die Lösung sein? Über die Grenzen von Genderkritik
Die Tilgung des Geschlechtseintrags auf der Geburtsurkunde kann als „neoliberale Maßnahme einer Agenda staatlichen Rückzugs von Gleichstellungsfragen“ gelesen werden
Foto: Jon Super/GETTY IMAGES
Als altmodische Feministin sollte ich froh sein, dass es Forschungsprojekte wie „The Future of Legal Gender“ gibt. Das öffentlich finanzierte Programm am King’s College in London zeigt nämlich, was die neue Genderbewegung oft bestreitet: Es gibt tatsächlich Bestrebungen, das biologische Geschlecht in Gesetzen und Gesellschaft zurückzudrängen und es durch einen schwer zu fassenden Genderbegriff zu ersetzen.
Es gibt eine internationale Kampagne für geschlechtliche Selbstidentifikation, die bereits in verschiedenen Ländern – auch Deutschland mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz zählt dazu – Erfolge verzeichnet. In der Regel heißt es, es handle sich nur um eine technische Anpassung, die es für Transpersonen leichte
en leichter machen soll, ihr rechtliches Geschlecht zu ändern. Derzeit macht der „Gender Recognition Act“ in Großbritannien eine Diagnose der „Geschlechtsdysphorie“ zur Voraussetzung. Jene Bewegung will den Prozess entmedizinalisieren und weniger belastend gestalten.Wir Feministinnen hingegen, so sagt man uns oft nach, verstünden das nicht. Wir jagten Gespenster, wenn wir darauf pochen, dass eine solche Praxis der reinen Selbstidentifikation weitreichende Implikationen hätte. Wir seien schlecht informiert oder bigott, wenn wir sagten, dass es dieser Aktivismus in Kauf nimmt, Frauenrechte zu beschädigen.Nun aber zeigen die von Davina Cooper geleiteten Arbeiten jenes Projekts am King’s College schwarz auf weiß, dass dem nicht so ist. Zwar präsentiert sich das Projekt nicht als eine Kampagne, sondern als Forschungsgruppe. Doch setzt man nicht an einem Problem an, sondern kommt a priori mit einer „Lösung“: die Abschaffung eines gesetzlichen Geschlechtseintrags überhaupt. In der Geburtsurkunde soll überhaupt kein Geschlecht mehr vermerkt werden, das man später gegebenenfalls ändern lassen könnte oder müsste. Das Argument: Würden Kinder bei der Geburt nicht als „männlich“ und „weiblich“ einsortiert, wüchsen sie weniger in soziale Geschlechterrollen hinein. Außerdem lasse es sich so leichter leben, wenn man nicht ins Raster passt – weil man sich trans fühlt oder biologisch von diesen Kategorien abweicht. Die Forschungsgruppe weist darauf hin, dass Informationen über Nationalität und Ehe einen gesetzlichen Status ausmachten, andere wie etwa sexuelle Orientierung hingegen nicht. Das Geschlecht sei in die zweite Gruppe zu verschieben.Ich halte das für irregeleitet. Fortpflanzung und Sexualität werden immer umkämpft bleiben, solange die Menschen nicht aufhören, für ihre reproduktiven und sexuellen Interessen und Wünsche einzutreten. Doch ist es geradezu gefährlich, zu behaupten, dass Frauen nicht in spezifischer Weise verletzlich wären – durch Männergewalt und andere Formen sozialer Kontrolle. Und wenn im Abschlussbericht dieses Projekts der Satz steht, dass „unsere Leben nicht von dem Körper bestimmt werden sollten, in dem wir geboren worden sind“, dann ist das nicht nur unverantwortlich, sondern auch unwahr. Denn selbstverständlich bestimmen die Körper, in denen wir geboren wurden – inklusive der Sexualorgane –, unsere Leben in erheblichem Maße. Das ist kein sexistischer „Essenzialismus“, sondern Realität.Deregulierung von IdentitätDass man flexibler mit geschlechtlicher Identifikation umgeht, tut der Bedeutung biologischer Charakteristika keinen Abbruch. Das gilt auch für die wachsende Zahl junger Leute mit Geschlechtsdysphorie. Vielleicht gibt es sogar keine Gruppe, für die Klarheit über diese Dinge wichtiger ist als für die, die durch Operationen oder Medikamente ihr Geschlecht ändern könnte.Sie glauben, solche Debatten hätten mit dem wirklichen Leben nicht viel zu tun? Dann möchte ich Sie auf einen Prozess aufmerksam machen, den die Anwältin Allison Bailey derzeit in London führt. Bailey, eine schwarze, lesbische Frau, verklagt die Garden Court Chambers und Stonewall – die größte genderpolitische Organisation des Vereinigten Königreichs – wegen Diskriminierung und unwahrer Anschuldigungen. Es geht um Tweets, die Bailey abgesetzt hat. Unter dem Einfluss von Stonewall, wo man sie für „transfeindlich“ hält, habe die Anwaltsorganisation Bailey weniger Fälle zugewiesen. Die Beklagten weisen alles zurück. Jedenfalls erklärte Kirrin Medcalf, bei Stonewall für Trans-Inklusion zuständig, jüngst in diesem Zusammenhang vor Gericht: Es sei falsch und beleidigend, zu sagen, Transfrauen seien als Männer geboren. Sie seien als Trans geboren und nie männlich gewesen.Das zeigt immerhin: Bemühungen, das biologische Geschlecht im öffentlichen Diskurs zurückzudrängen, gibt es nicht mehr nur in hochspeziellen Forschungsgruppen. Das Projekt beschreibt diese Salamitaktik als Strategie von „slow law“. Das ist durchaus real: Selbst das Gesundheitssystem NHS macht von dem Ausdruck „Frau“ immer vorsichtiger Gebrauch, um Transpersonen sprachlich zu inkludieren – auch in Materialien zum Gebärmutterhals- und Eierstockkrebs. Expertinnen sagen, dies gefährde die Vorsorge.Seltsam, dass eine so antimaterialistische Bewegung, die Subjektivität weit über Biologie stellt, gerade jetzt so stark wird. Wir sollten, wenn uns die Begrenztheit der Weltnatur so deutlich vor Augen steht, „materialistischer“ denken. Und wenn der Druck durch Ressourcenmangel steigt, wird der Druck auf Frauen weltweit zunehmen. Sex – das biologische Geschlecht – wird wichtiger, nicht unwichtiger.Das Projekt am King’s College sieht die Abschaffung des körperlichen Geschlechts als Utopie. Aber immerhin räumt „The Future of Legal Gender“ ein, dass auch ein anderer Kontext denkbar ist für diese Deregulierung von Identität. Im Bericht steht, die Tilgung des Geschlechtseintrags könne auch als „neoliberale Maßnahme einer Agenda staatlichen Rückzugs von Gleichstellungsfragen“ daherkommen. Ich glaube zu wissen, welche dieser Möglichkeiten wahrscheinlicher ist: nicht die Utopie.Placeholder authorbio-1
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