Es hatte etwas von einem Déjà-vu, als Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman kürzlich seine Pläne für eine futuristische, 170 Kilometer lange Stadt vorstellte. Ihr vorläufiger Name: The Line. Der zugehörige Werbefilm, der mit Effekten nicht geizt, zeigt Luftaufnahmen eines leuchtenden Siedlungsbandes, das mitten durch die arabische Wüste schneidet, von Meer zu Meer. Der Kronprinz sprach von „hypervernetzten Communitys“, komplett autofrei, versorgt durch erneuerbare Energie und gesteuert von künstlicher Intelligenz. Als Teil der von Saudi-Arabien anvisierten 500 Milliarden Dollar teuren Mega-City Neom wurde der Plan als „zivilisatorische Revolution“ angepriesen, bei der die Menschen „an erster Stelle stehen“. Dabei erinnert The Line unweigerlich an ein anderes Projekt, hinter dem eine ganz andere Absicht stand.
Knapp 5.000 Kilometer entfernt hängt in einer Galerie in Brüssel eine Fotomontage aus den 1960ern, mit einer fast schon unheimlich ähnlich anmutenden Vision. Sie ist Teil einer neuen Ausstellung über das radikale italienische Architektenkollektiv Superstudio. Ein gigantisches weißes Rechteck ist darauf abgebildet, das sich durch eine Wüste fräst, Sanddünen zerschneidet und an Palmen vorbeimarschiert – ein geschlossener urbaner Block, in dessen Oberfläche ein endloses Raster aus Planquadraten eingraviert ist.
Warnung vor der Utopie
Monumento Continuo heißt das Projekt, das sich die Architekten von Superstudio im Jahr 1969 ausdachten. Aber nicht als Entwurf für eine smarte Stadt, sondern als Warnung vor der unerbittlichen Urbanisierung des Planeten. Die Designer stellten mit einer eindrucksvollen Serie von Collagen dar, wie diese riesige, blockartige Masse den Globus unaufhaltsam mit einem Gürtel aus Gebäuden überzieht, der sogar die Felsvorsprünge des Monument Valley in Utah winzig aussehen lässt. Er verschlingt den Ort Positano an der Amalfiküste und erobert mit seinem Gitternetz Manhattans Schachbrettmuster. Die Bilder waren alarmierend, aber zugleich verführerisch, und sie sind es auch heute noch. Teils endloser Büroklotz, teils minimalistische Land Art, zeigen die Montagen ein Bauwerk, das ganze Landschaften zerschneidet und der Natur die kartesianische Ordnung aufdrückt.
Superstudio-Mitbegründer Adolfo Natalini beschrieb das Projekt im Nachhinein als „negative Utopie“, eine Warnung vor „dem Grauen, das die Architektur in petto hat, wenn sich Standardmodelle als Methode auf der ganzen Welt durchsetzen“. Zu der Zeit, als Monumento Continuo entstand, waren die Intentionen des Architektenkollektivs allerdings vieldeutiger und wurden oft falsch interpretiert.
Die Fotomontagen gingen damals um die Welt und entfalteten eine ähnlich mysteriöse Aura wie die schwarzen Monolithen aus Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum, der ein Jahr zuvor in die Kinos kam. War Monumento Continuo eine Warnung vor dem Vormarsch suburbaner Shopping-Malls oder der Entwurf für eine erhabene Variante des ultra-eleganten Modernismus, der die neueste Vorhangfassadentechnologie feiert? So oder so – der slicke visuelle Stil von Superstudio sollte Architekturstudierende jahrzehntelang beeinflussen.
Die Ausstellung im Brüsseler Architekturzentrum CIVA kommt zum richtigen Zeitpunkt, und zwar nicht nur wegen der kuriosen Parallele zu Saudi-Arabien. Superstudio entstand aus einem Gefühl von globaler Krise und drohendem Untergang, fast wie heute. Die italienischen Architekturstudenten waren Zeugen der Flut, die im November 1966 Florenz verwüstete. Cristiano Toraldo di Francia, Mitgründer von Superstudio, beschreibt, wie sich Florenz in eine geschlossene matschige Fläche verwandelte, aus der die Kuppeln und Türme herausragten. Was sie sahen, stellte „das traditionelle Verhältnis von Architektur und Boden, Stadt und Land, Innen und Außen radikal in Frage“ und beeinflusste ihre späteren Experimente.
Die jungen Designer gehörten zudem zum studentischen Flügel des Operaismus, der linken Bewegung in Norditalien, die Arbeitskämpfe in den Fabriken unterstützte und eine Öffnung der Hochschulen forderte, um über soziale Verhältnisse und experimentelle künstlerische Strömungen zu reflektieren. Einen Monat nach der Flut gründeten Toraldo di Francia und Natalini, später gefolgt von Alessandro und Roberto Magris sowie Gian Piero Frassinelli, Superstudio, um gegen die verkrusteten Strukturen und Lehrmeinungen aufzubegehren.
Sie hatten das Gefühl, die Moderne sei ausgereizt und dafür verantwortlich, dass über die ganze Welt immer mehr Stahlrahmenkästen und Betonautobahnen ausgespuckt wurden, während mit der ausufernden Konsumkultur eine soziale und ökologische Krise drohte. „Wenn Design nur ein Anreiz für Konsum ist“, sagte Natalini, „dann müssen wir Design ablehnen. Wenn Architektur und Stadtplanung nichts als die Formalisierung der gegenwärtigen ungerechten sozialen Spaltung ist, dann müssen wir die Stadtplanung und ihre Städte ablehnen, bis alle Design-Aktivitäten darauf zielen, grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen.” Das mag nihilistisch klingen, aber der Spaß kam bei ihnen nie zu kurz. In den folgenden zwölf Jahren machten die Provokateure von Superstudio ihren Standpunkt mit satirischen Fotomontagen, Möbeldesigns, Filmen und Ausstellungen klar und wurden zu einer der einflussreichsten Gruppen von Architekten dieser Ära – ohne je irgendetwas zu bauen.
Die Ausstellung in Brüssel zeigt ihre Vielfalt: frühe „Nature-Super“-Möbel mit bunten Sofas und Lampen in Form von Wellen, Blumen und Regenbögen, einen Katalog mit imaginären idealen Villen oder auch die späteren „Anti-Architektur“-Arbeiten, die einen Planeten darstellen, der von einer vernetzten „Superoberfläche“ überzogen ist, die von primitiven Nomaden bewohnt wird. Ihr allgegenwärtiges quadratisches Raster verleibt sich die Dinge ein. An einer Stelle springt es vom Blatt, um eine Möbelkollektion mit rechteckigen Stühlen, Hockern und Tischen zu bilden, die mit weißem Kunststofflaminat überzogen sind, gezeichnet von einem Karomuster aus dünnen schwarzen Linien. Sie sahen aus wie aus Millimeterpapier gefaltet und waren als Absage an die Welt des Designs zu verstehen.
„Zum damaligen Zeitpunkt“, fand Superstudio, „war offensichtlich: Weiter Möbel, Objekte und gleichförmiges Dekor zu gestalten, war keine Lösung für die Probleme des Wohnens oder des Lebens; noch weniger diente es der Seelenrettung.” Das hielt das Kollektiv allerdings nicht davon ab, einen Vertrag mit der Möbelfirma Zanotta zu unterschreiben. Was für eine Ironie der Geschichte, wenn das, was als kommerzieller Output von einer Gruppe selbsterklärter Anti-Design-Marxisten überlebt, ein mit Laminat bezogener MDF-Tisch ist, der im Einzelhandel über 3.000 Euro kostet.
Superstudios langfristiges Vermächtnis ist ihre geniale Bildgestaltung, eine Stärke, die sich durch den Background der Mitglieder erklärt. Natalini war ausgebildeter Maler und von der britischen Pop Art beeinflusst, Toraldo di Francia hatte als Fotograf für Werbekampagnen gearbeitet. Roberto Magris war Industriedesigner und Grafiker, während Frassinelli sein Interesse an Anthropologie einbrachte. Der Blick auf die Arbeit des Kollektivs mag durch weitschweifige Theoretisierung vernebelt sein, doch ihre Bilder überdauern. Auch wenn ihre Bedeutung von Fans manchmal missverstanden wurde. Ein Beispiel ist der holländische Architekt Rem Koolhaas, der als Student an der Architectural Association in London auf Monumento Continuo aufmerksam wurde. Er war sofort begeistert. „Ich liebte Superstudio, weil ich die Entwürfe wörtlich nahm“, erklärt er im Interview für den Ausstellungskatalog. „Ich dachte, dass manches davon atemberaubend wäre, wenn man es bauen würde.“
Koolhaas schloss Freundschaft mit der Gruppe und lud sie ein, in London Vorlesungen zu halten. Irgendwann wurde ihm klar, dass die Architektur, die er gerne gebaut gesehen hätte, dazu gedacht war, auf dem Papier zu bleiben. Ihn verblüffte, dass Natalini später in den Niederlanden durch und durch postmoderne neoklassische Gebäude baute. „Meine Affinität zu Superstudio war paradox“, sagt er. „Es war unklar, ob ich etwas bewunderte, das eigentlich an meiner Fehlinterpretation ihres Werkes lag, oder ob ich ihre wahren Intentionen schätzte.“ Damit ist Koolhaas nicht allein – es scheint, als sei an Mohammed bin Salman die Ironie der Italiener ebenfalls vorbeigegangen.
Info
Superstudio Migrazioni ist bis zum 16. Mai im Architekturzentrum CIVA in Brüssel zu sehen
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