Stay-Away-Kampagne: Amsterdam will saufende Briten loswerden

Rotlicht Die Hauptstadt der Niederlande hat eine Aktion gestartet, um das Partyvolk aus Großbritannien fernzuhalten. Junggesellenabschiede, Drogen – das sollten die mal bei sich zu Hause machen! Nicht nur die Prostituierten sehen darin ein Problem
Junge Männer aus dem Vereinigten Königreich sollen die schlimmsten Partygänger sein
Junge Männer aus dem Vereinigten Königreich sollen die schlimmsten Partygänger sein

Foto: Peter Dejong/picture alliance/AP Photo

Es ist 21.30 Uhr und Gruppen britischer Jungs bereiten sich auf eine große Nacht im Amsterdamer Rotlichtviertel vor. Obwohl die engen Straßen von französischem, deutschem, spanischem, holländischem und irischem Geplänkel widerhallen, hat die Stadtverwaltung von Amsterdam diese Woche eine Kampagne gestartet: Briten zwischen 18 und 35 Jahren, die auf der Suche nach einer „schmutzigen Nacht“ sind, sollen sich mal schön fernhalten: „Stay away“.

Lewis Flanigan, 24, kommt aus Middlesbrough und nutzt die Chance zu feiern – solange er noch kann. „Meine Pläne sehen Sex und Alkohol vor, und ich werde bis 6 Uhr morgens durch die Bars ziehen“, sagt er, während er in die Fenster eines Bordells am Oudezijds Achterburgwal-Kanal blickt. Während sich Amsterdam auf ein weiteres Wochenende mit vielen Besuchern vorbereitet, ändert sich in diesem mittelalterlichen Viertel, in dem seit Jahrhunderten Sexarbeiterinnen arbeiten, einiges. Dies ist das erste Wochenende, an dem die 249 Fensterbordelle in De Wallen (dem Rotlichtviertel) um 3 Uhr statt um 6 Uhr morgens schließen und die Bars um 2 Uhr. Ab Mitte Mai wird das Rauchen von Cannabis in der Öffentlichkeit verboten sein. Und wer in Großbritannien im Internet nach Begriffen wie „Junggesellenabschied in Amsterdam“ sucht, sieht jetzt städtische Marketingvideos, die vo Geld– und Vorstrafen oder Krankenhausaufenthalten warnen.

Eine Stadt mit 880.000 Einwohnern und 18 Millionen Touristen pro Jahr geht gegen ihr Image als Zentrum für Sex, Drogen und Rock'n'Roll vor. Bei einem Treffen in Amsterdam Noord, wo es um ein geplantes mehrstöckiges Erotikzentrum ging, das 100 Fenster von Sexarbeitern ersetzen soll, sagte Bürgermeisterin Femke Halsema, die Situation sei gesundheitsgefährdend: „Es ist so viel los, dass die Rettungsdienste nicht mehr durch die Grachten kommen“, sagte sie. „Wir müssen Lösungen finden.“

Touristen als Zombies

Doch selbst Diederik Boomsma, jener Gemeinderat, der den Begriff „glasäugige Touristenzombies“ geprägt hat, um die schlimmsten Partygänger zu beschreiben, fragt sich, warum seine Landsleute die Briten so gerne stigmatisieren. Sind die jungen Männer im Vereinigten Königreich wirklich so schlimm?

Leider lautet die Antwort: ja. Das sagen zumindest Tourismusexperten und niederländische Comedy-Sketche. Aber sind die Niederländer wirklich besser? Im Jahr 2014 stritten sich der damalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson und der verstorbene Amsterdamer Bürgermeister Eberhard van der Laan darüber, ob das Problem das „schäbige“ Amsterdam sei oder „das Verhalten tausender britischer Mitbürger“. Im Jahr 2018 bestätigten Untersuchungen, dass „die Mehrheit der Verursacher von Belästigungen (meist Gruppen von) Männern zwischen 18 und 34 Jahren aus den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich sind, die Amsterdam nur zu einem Zweck besuchen: um zu feiern und sich verrückt zu verhalten.“

Eingebetteter Medieninhalt

Ein Tourismusexpertin, der jahrelang daran gearbeitet hat, das Image Amsterdams zu verändern, sagt: Viele Briten würden die Aufforderung, man selbst zu sein, so verstehen, dass man ein Ballettröckchen trägt und um 9.30 Uhr betrunken mit all seinen Freunden in der Gosse liegt. „Viele Franzosen und Italiener kommen hierher, um Dope zu rauchen und mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren und mit den Klingeln zu läuten“, sagt sie. „Aber bei den Briten ist es der Alkohol.“ Die Niederländer hätten ein Bild von Melonenhut-tragenden freundlichen Gentlemen. „Aber wenn man ihnen drei Bier einflößt, wird eine Art Monster entfesselt!“

Die Einheimischen sind jedoch genauso schlimm. In den letzten Jahren wurden holländische Touristen und Fußballfans für Krawalle in Rom, Raserei in Spanien und sogar eine tödliche Schlägerei auf Mallorca gescholten – deshalb wird die „Stay away“ („Bleib weg“) Kampagne als nächstes auf die Holländer selbst ausgeweitet.

Kommen fünf Briten ins Kondomgeschäft

Einige sind jedoch der Meinung, dass die Stadt mit der Aktion den falschen Weg gewählt hat. Theodoor van Boven, Gründer des berühmten Condomerie-Geschäfts, nennt die Kampagne „skandalös, stigmatisierend für das Image der Briten und zum Scheitern verurteilt“. Dann erzählt er diese Anekdote: „Meine Frau hatte kürzlich fünf betrunkene Briten im Laden und ging zu ihnen, um mit ihnen zu reden, während sie hin und her schwankten. Irgendwann wurden sie seekrank und gingen weg.“ Die Unternehmen und Anwohner würden sich lieber mit unsozialem Verhalten und Dealern befassen wollen als mit einer „Bleib weg¡-Kampagne. „Die Niederländer, Amsterdamer, Nordholländer und andere Nationalitäten können sich genauso gut daneben benehmen!“

Oscar Coster, Barkeeper in der Café-Bar Old Sailor, stimmt dem zu. „Sie waren jahrelang damit beschäftigt, so viele Touristen nach Amsterdam zu locken, und jetzt wollen sie, dass sie verschwinden“, sagt er. „Die Briten sind nicht das Schlimmste. Es sind große Gruppen von Männern. Wir lassen sie nicht rein – eegal, woher sie kommen.“

Robbert Overmeer, Barbesitzer und Vorsitzender einer lokalen Geschäftsvereinigung, wies darauf hin, dass während der Covid-Pandemie in Abwesenheit britischer Touristen plötzlich unsoziales Verhalten von Menschen anderer Nationalitäten zu beobachten war: von französischen, deutschen und belgischen Touristen, die in ihren Autos schliefen, daneben urinierten und Drogen zum Mitnehmen kauften. „Die Franzosen und Deutschen kommen immer noch“, sagt er. Es seien nicht nur die Engländer, die Probleme machten. „Das Verbot für Ausländer, in Cafés Drogen zu kaufen, ist der Weg, dies zu stoppen.“ Diese Idee wurde vom Bürgermeister der Stadt vorgeschlagen, aber vom Stadtrat abgelehnt.

Andere glauben, dass die meisten britischen Besucher einen positiven Beitrag zum Stadtleben leisten. „Während die Junggesellenabschiede für Schlagzeilen sorgen, leben etwa 16.000 Briten und ihre Familien in Amsterdam in aller Stille weiter“, sagt Tricia Tarrant von der Gruppe British in the Netherlands. „Wenn diese Kampagne dazu beiträgt, die Zahl der betrunkenen Touristen zu verringern – umso besser! Auch wenn in unserer Gruppe Bedenken geäußert wurden, ob das funktionieren wird oder ob es mehr Leute von einem Besuch abhalten könnte.“

Amis sind genauso laut

Einige befürchten, dass die Werbung diese Probleme verherrlichen könnte. Tim Verlaan, Professor am Zentrum für Stadtgeschichte der Universität Amsterdam, sagt, die Kampagne könnte Amsterdam den Ruf einer „Lasterstadt“ verleihen. „Moderne Versuche, Junggesellenabschiede und Kiffer zu verbieten, sind nicht nur eine Reaktion auf die schnell wachsende Zahl von Touristen, sondern auch das Ergebnis eines jahrzehntelangen Gentrifizierungsprozesses.“ Also weg mit den Briten aus Newcastle, die zum Trinken kommen, und den Franzosen aus Lille, die zum Rauchen kommen, und her mit den Amerikanern und Japanern, die wegen der teuren Restaurants, besseren Hotels und Luxuskaufhäuser hier sind? „Das schadet dem freien Geist Amsterdams und macht das Stadtzentrum für alle Amsterdamer weniger erschwinglich und zugänglich.“

Felicia Anna, eine ehemalige Sexarbeiterin, die die Vereinigung Red Light United gegründet hat und vor kurzem vor dem Rathaus gegen Änderungen für Fensterbordelle demonstrierte, sagt, Sexarbeiterinnen hätten kein Problem mit Briten. „Ich habe nie verstanden, warum man das über britische Männer sagt“, meint sie. „Um ehrlich zu sein: Ich arbeite gerne mit ihnen.“ Auch wenn sie betrunken sind, seien die Briten lustig.

Im Old Sailor hat sich eine Gruppe junger amerikanischer Männer auf eine Runde Bier eingelassen. „Wenn sich jemand entscheidet, hier zu leben, ist das ein Risiko, das er eingehen muss“, sagt der 21-Jährige Luke Gastelum, 21. „Die britischen Jungs, denen wir begegnet sind, sind verdammt laut. Wir sind genau so “

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Geschrieben von

Senay Boztas | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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