Lydia Markou und Petros Xenios fehlt es wie so vielen Studenten nicht an Idealismus. Sie wollen die Welt verbessern, am liebsten gleich in Athen und damit in der Stadt anfangen, die der Demokratie einst ihren Namen gab. „Wir wollen Hoffnung auf eine bessere Zukunft“, sagt der 20-jährige Xenios. „Wir hatten wirklich geglaubt, dass uns Syriza diese Hoffnung gibt, doch wir haben uns getäuscht.“ Als Alexis Tsipras mit seiner linken Parteienallianz Ende Januar die Regierung übernahm, erschien die Stimmung geradezu überschwänglich. Nur allzu gern wollte man den Worten des neuen Premiers glauben, die Zeiten von Austerität und Arbeitslosigkeit seien vorbei. Man werde mit den Gläubigern verhandeln und bessere Konditionen herausholen.
„Man hatte das Gefühl, unser bankrottes Land erhält noch einmal eine Chance“, erinnert sich Lydia Markou, die wie Xenios an der Universität von Athen Psychologie studiert. „Ich habe Tsipras nicht einfach gewählt, sondern das mit Freude getan.“
In der Politik können sieben Monate eine lange Zeit sein. Schon als der Ex-Regierungschef die Griechen Anfang Juli aufforderte, bei dem von ihm anberaumten Referendum gegen die Forderungen der Kreditgeber zu stimmen, konnte die 21-Jährige ihm nicht mehr recht folgen. Seit sich Syriza dann dem Diktat der Gläubiger beugte, um teilweise die Politik fortzusetzen, gegen die sie im Januar angetreten war, ist sich die Studentin nicht sicher, wem sie bei den Neuwahlen am 20. September ihre Stimme geben soll. „Alexis Tsipras hat so ziemlich alles getan, was er zuvor kategorisch ausgeschlossen hatte“, moniert sie.
Patt mit der Nea Dimokratia
Mit diesem Fazit ist Lydia Markov nicht allein, wie sich den Umfragen zwei Wochen vor dem Votum entnehmen lässt. Der sich abzeichnende Trend dürfte Tsipras überrascht haben. Nicht nur Syriza verliert in den Umfragen – es schwindet auch der Rückhalt für seine Person. Eine von Skai TV in Auftrag gegebene Studie der Universität in Thessaloniki resümiert, dass die Beliebtheitswerte des Syriza-Chefs um mehr als die Hälfte – von 70 auf 30 Prozent – gefallen sind, seit auch er weiter erhöhte Steuern, gekürzte Sozialausgaben und den Verkauf öffentlicher Güter für alternativlos hält. Die Werte von Syriza selbst fielen nach einer von der linken Tageszeitung Syntakton in Auftrag gegebenen Erhebung auf 23 bis 24 Prozent. Stattliche 25 Prozent der Befragten gaben an, sich noch nicht entschieden zu haben. Laut Meinungsforschungsinstitut Metron Analysis ist der Abstand zwischen Syriza und der Altpartei Nea Dimokratia (ND) mittlerweile auf gerade noch ein Prozent geschrumpft. Andere Stimmungsbilder verzeichnen ein Patt – 27 Prozent für ND und Syriza. Beim Votum am 25. Januar hatte das Linksbündnis mit 36,3 Prozent noch klar vor den Konservativen mit 27,6 Prozent gelegen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Syriza eine absolute Mehrheit der Mandate verfehlt, setzt das Land einmal mehr einer ungewissen Zukunft aus. Da Tsipras bisher eine Kohabitation mit den Parteien des „alten Establishments“ verweigert, könnte ein zweiter Wahlgang nötig sein, bevor ein neues Kabinett vereidigt werden kann. Dies wiederum würde es Analysten zufolge verhindern, rechtzeitig Reformen anzugehen, denen Athen als Gegenleistung für das dritte Kreditpaket (86 Milliarden Euro) zugestimmt hat. „Für die griechische Wirtschaft wäre das eine absolute Katastrophe“, sagt ein EU-Diplomat. „Die Euro-Staaten haben zwar im Juli entschieden, Griechenland in der Eurozone zu halten, doch dessen Zukunft bleibt prekär. Die Ökonomie stirbt vor sich hin. Politische Stabilität ist das Mindeste, was man braucht.“
Keine Racheengel
Tsipras hatte sich zu Neuwahlen entschlossen, da feststand, dass ihm 25 Syriza-Parlamentarier auf Dauer die Gefolgschaft aufkündigen. Ein erneuter Wahlsieg schien ein Leichtes zu sein. Doch hatte das Syriza-Establishment die Geltungsmacht der Parteilinken offenbar ebenso unterschätzt wie die Reaktion Hunderttausender junger Griechen, die unter der Rekordarbeitslosigkeit leiden. Ihnen wird bei der Abstimmung am 20. September eine Schlüsselrolle zukommen. „Tsipras hat die Wahlen ausgerufen, als wir die Folgen der Maßnahmen, denen er zugestimmt hat, noch nicht zu spüren bekamen“, meint Markov und fügt hinzu, dass sie die Verhandlungstaktik der Syriza-Regierung mit den Kreditgebern aufgeregt habe. „Das war blanker Hohn.“
Tag für Tag gibt es Übertritte zur neuen, vom Syriza-Dissidenten Panagiotis Lafazanis geführten Partei der Volkseinheit, die eine Rückkehr zur Drachme will. Keine Frage, dass eine solche Sezession polarisiert und von schriller Rhetorik orchestriert wird. Den Prognosen zufolge können die Syriza-Rebellen mit sechs bis acht Prozent rechnen. „Syriza hat einfach alle roten Linien überschritten, als das dritte Memorandum geschluckt wurde“, sagt Costas Isychos, Sprecher von Volkseinheit. „Wir wollen keine Rache nehmen, sondern dafür sorgen, dass auch weiterhin eine Alternative zur Politik der neoliberalen Elite existiert. Was wir jetzt haben, ist ein neokolonialer Konsens, der Griechenland dazu zwingt, sein öffentliches Vermögen von den Airports bis zu den Inseln zu opfern, nur um den Euro behalten zu dürfen.“ Warum müsse das Land noch einmal Jahre selbstzerstörerischer Sparpolitik hinnehmen, fragt Isychos. „Die Eurozone ist ein politischer und ökonomischer Raum, der so konstruiert ist, dass Deutschland laufend Überschüsse und die Länder der Peripherie laufend Defizite erwirtschaften. Das wird für Griechenland nie funktionieren.“ Mit solchen Aussagen versichern sich die Abtrünnigen eines Protestpotenzials, dessen Protagonisten davon überzeugt sind: Das Land in der Ägäis unterscheide sich von anderen Krisenstaaten, die wieder hoffen dürfen.
„Alexis Tsipras ist noch immer beliebt“, glaubt Thanos Dokos, der die Denkfabrik Eliamep leitet. „Er war der entscheidende Politiker. Ohne ihn hätte es die 61,3 Prozent Nein-Stimmen beim Votum am 5. Juli nicht gegeben. Vielleicht hat er die Opposition unter seinen eigenen Leuten unterschätzt. Aber es würde mich nicht total überraschen, wenn ihm die Griechen am 20. September noch einmal eine Chance geben.“
Kommentare 11
Tsipras macht keinen Unterschied mehr aus, seit er den Kotau vollzogen hat. Er hat seine Wähler verraten und anlässlich des Referendums zusätzlich noch gründlich an der Nase herum geführt. Er ist nicht mehr satisfaktionsfähig.
Eine unübersehbare Bankrotterklärung der Demokratie.
Syriza wurde uns als quasibolschewistisch madig gemacht und an den linken Rand gedrückt, der in Griechenland überhaut zur Wahl zu stehen schien. Eine Revolution war angekündigt. Sieben Monate später muss für jeden deutlich sein, es ist egal, was wir wählen, die Wirtschaft der Konzerne und ihr Enddarm, die EU-Kommission diktiert unsere Politik. Und das nicht, weil die Spitze von Syriza keine andere Politik wagen mochte, sondern weil die Legislative einfach ohnmächtig ist, gegen die Macht der Konzerne. Mit seinem Kotau hatte Tsipras sein Leben gerettet, aber um welchen Preis?
Es ist doch immer wieder erstaunlich wie schnell unter internationalen Druck Politiker mit ihrem Wort brechen. Ich sehe es ebenso wie Lethe. Tsipras hat seine Wähler verraten und und an der Nase herumgeführt. Mit den Konsequenzen muss man dann eben leben. Ich freue mich auf die Wahl und hoffe das am Ende eine solide Regierung steht, die den Willen der Griechen entschieden vertritt.
glaube,liebe,hoffnung, ent-täuschung und not-wendiges
der sub-text des artikels und der meisten stellung-nahmen: wieder eine hoffnung auf einen befreier weniger. glaub-würdige volks-vertreter knicken gegen rechtlich gestützte ökonomische macht ein. die euphorie der volks-erhebung(wundersam aus der depression hervorgegangen) ist geplatzt. trotz gebündelten volks-willens an der kapital-herrschaft gescheitert. die neue religion(wenns richtig demokratisch zugeht,knacken wir das system), schlägt um in verrat-rufe gegen den falschen messias. die freude über das zustande-kommen einer mehrheit zerschellt an interessen der kredit-geber,die weitgehende politisch-rechtliche garantien als vorbedingung fordern und durchsetzen können. system-überwindung ist so einfach nicht machbar, wenn das kapital bei zuspitzung den krieg erklärt....eigentlich ur-alte wissens-bestände der gesellschafts-kritik nach marx (die neuen generationen nicht zu-gegoogelt wurden?). wenn der wille zur welt-verbesserung wirkliche macht-verhältnisse ignoriert, ist er un-wirksam(plattituden verkünden müssen ist symptom der zeit). ein studium dessen,was sozio-ökonomische herrschaft so personen-unabhängig, geschmeidig und stahlhart macht, steht nicht im gegensatz zu polit.engagement(3.plattitude).
Interessant war, was Varoufakis schon vor einiger Zeit zu den "Verhandlungen" mit Schäuble und den anderen Finanzministern sagte. Er hatte eine Parallelwährung geplant bis hin zu einer Reaktivierung der eigenen Nationalbank, die dann Geld an die Banken hätte ausgeben können. Tsipras ging das zu weit und damit war er Schäuble (der EZB) komplett ausgeliefert. Als die EZB dann den Geldhahn zudrehte, gab es für Griechenland nur noch die totale Kapitulation.
Ob Tsipras gedacht hatte, dass Schäuble (die EZB) nicht so weit gehen würde, hat er bisher meines Wissens noch nicht geäußert. Allerdings habe ich irgendwann auch mal die Lust verloren, mehr als die Anreißer von den Griechenland-Nachrichten zu lesen.
Dass die Tsipras-Wähler enttäuscht sind, kann ich gut verstehen. Vielleicht wurde Tsipras dadurch eingefangen, dass sich die ganze Verhandlungshärte und das Medieninteresse immer auf Varoufakis konzentrierten und Tsipras von Frau Merkel im Großen und Ganzen immer ganz nett behandelt wurde. Vielleicht hat sich Tsipras tatsächlich einwickeln lassen, hat Varoufakis nicht mehr in Gänze vertraut und ließ sich voll Vertrauen in die zivilisierte EU von den Finanzinstrumenten (EZB) an der Kehle fassen?
Dann war's zu spät und Tsipras musste das Beste aus der Situation machen. Er wählte den staatstragenden Weg und ergab sich in die Unterordnung unter den Willen der Troika wie schon seine Amtsvorgänger aus den Schwesterparteien von CDU und SPD.
Der initiale Fehler von Papandreou, als er der "Griechenland-Rettung" unter Kuratel der Troika zustimmte, wird nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein – für vermutlich mindest 30, eher aber 50 Jahre.
Mal sehen, ob es die EU so lange macht.
In der Tat, die EU (als gemeinsamer Markt) ist so konstruiert, dass die ohnehin bereits mächtigen mächtiger werden und die schwachen schwächer - die tendenz zur polarisierung von reichtum und armut ist ein grundverhältnis kapitalistischer wirtschaftsentwicklung innerhalb von ländern, wie auch zwischen ländern.
Angesichts des Troika-diktats ist es eigentlich der blanke hohn, dass die griechen jetzt auch noch einen wählen müssen, der das diktat umsetzt, sich dadurch persönlich diskreditiert und wahrscheinlich gesundheitlich schaden nimmt.
Eigentlich sollten die griechen diese wahl verweigern und die einsetzung eines kolonialverwalters (am besten aus d-land) fordern. Dann wäre ganz schnell klar, dass auch ein "deutscher riese" die grundlegenden zwangsverhältnisse kapitalistischer entwicklung nicht umstossen kann.
Vielleicht braucht es dieses scheitern im und am system, um endlich zu begreifen, dass es innerhalb der EU - so wie sie jetzt ist - keine "lösung" für g-land gibt!?
Warum machst du diese ganzen Bindestriche?
es sollen weder binde- noch trenn-striche sein. einfach ein stil-mittel, zur hervor-hebung von wort-bestandteilen, steine im lese-fluß, die mir manchmal not-wendig erscheinen. ent-täuscht?
"Eine unübersehbare Bankrotterklärung der Demokratie."
Shakespear,
und das auf offener Weltbühne! Wer ist der Regiesseur dieses Dramas?
Wenn ich mir vorstelle, dass Merkel tatsächlich so intelligent ist, wie manche Menschen sagen, und weiss, welche Politik sie vorträgt, ist sie der übelste politische Charakter nach Kriegsende. Sollte sie aber nicht wissen, was sie sagt und tut, ist sie samt der sie stützenden Garde verachtenswert.
Demgegenüber steht Tsipras zu seiner politischen Überzeugung, zerrissen zwischen seinem, ich meine, ehrlichen Wollen und dem ihm nicht zugebilligten Können!
Jahrzehntelange Murkspolitik soll Tsipras in einer Nacht bewältigen und die Not der Menschen diesen Machtbanausen opfern.
wenn alles,worunter gute menschen leiden,mindesten seit shakespeare(oder der alten welt-esche?)von schlechten oder schwachen menschen verursacht wird,braucht man an (system-verändernde) politik nicht zu denken. dann ist schimpfen auf schlechte und hoffen auf gute das mittel der wahl(oder machts wie die eichhörnchen.
obiger beitrag bezieht sich auf das eichhörnchen in der welt-esche: ratatörskr._