Stoppt Qualm den Alzheimer?

Rauchen Das hängt davon ab, wen man fragt. Forscher, die von der Tabakindustrie bezahlt werden, spielen das erhöhte Risiko von Rauchern herunter. Bis das Gegenteil herauskommt.

Würden die Medien sich nach den Versicherungsstatistiken richten, wenn es darum geht, unsere Aufmerksamkeit auf die Ursachen für vermeidbare tödliche Krankheiten zu lenken, dann wären die Zeitungen jeden Tag voll mit Berichten über Durchfall, Aids und Zigaretten. Dem aber ist nicht so. Denn es sind nicht die häufigsten Krankheiten, die uns am meisten faszinieren, sondern im Gegenteil die seltensten. Im Jahr 2002 stellte man fest, dass innerhalb eines bestimmten Zeitraumes 8.571 Menschen an den Folgen des Rauchens sterben mussten, bevor die BBC eine Geschichte zu dem Thema brachte, während es dagegen zu jedem Todesfall infolge der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gleich drei Berichte gab.

Bestimmt haben auch Sie schon einmal gehört, Rauchen könne Alzheimer verhindern. Dieses Gerücht geistert immer mal wieder durch die Zeitungen. Manchmal wird es bestätigt, manchmal heißt es, es sei widerlegt worden. Da mag mancher sich denken, es sei eben noch nicht eindeutig erwiesen, die Experten seien sich uneins. Manch einer mag beim Rauchen einer Zigarette darüber spaßen, wie er auf diese Weise dafür sorge, bei klarem Verstand zu bleiben.

Diesen Monat veröffentlichen Janine Cataldo und ihre Kollegen eine systematische Untersuchung zu dem Thema, die einen sehr interessanten Zusammenhang offenbart. Zunächst einmal haben die Wissenschaftler alle Arbeiten aufgespürt, die je zum Thema Rauchen und Alzheimer veröffentlicht wurden. Die Suchstrategie, die sie zu diesem Zwecke anwandten, ist in ihrer Arbeit genau beschrieben und nachvollziehbar. Sie wollten sichergehen, dass sie wirklich alle Belege gefunden haben und nicht nur die, die sie bereits kannten oder ihrer vorgefassten Meinung entgegen kamen.

Teenager müssen ältere Raucher ersetzen

Sie fanden insgesamt 43 Studien, die alles in allem zu dem Schluss kamen, dass Rauchen das Alzheimer-Risiko in signifikanter Weise erhöht. Aber die Forscher gaben sich damit noch nicht zufrieden. Elf Studien waren von Leuten aus dem Umfeld der Tabakindustrie geschrieben worden. Das wurde nicht in allen Fällen aus den Studien selbst ersichtlich, Die Forscher besuchten daher die Legacy Tobacco Documents Library der University of California, die eine riesige Sammlung von Material bereithält, das sich über Jahrzehnte hinweg im Zuge gerichtlicher Auseinandersetzungen zum Thema anhäufte.

Sollten Sie jemals das Bedürfnis verspüren, einen Nachmittag die Welt mit den Augen eines Industriezweigs zu sehen, dessen Produkte erwiesenermaßen ein Drittel seiner Kunden töten, dann sind Sie hier genau richtig. Der Text „Die Bedeutung junger Erwachsener“ zum Beispiel, erklärt anhand von Finanzanalysen, wie wichtig es sei, Teenager zum Rauchen zu bringen, um die älteren Raucher zu ersetzen, bevor sie wegsterben. Des Weiteren ist zu erfahren, dass von der Regierung in Auftrag gegebene Untersuchungen wiederholt zu dem Ergebnis geführt haben, dass weniger als ein Drittel aller Raucher erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres mit dem Rauchen anfängt. und nur noch fünf Prozent nach Vollendung des 24. Lebensjahres. „Neue Konzepte für die jugendliche Zigarette“ von Marketing Innovations Inc. knüpft an diese Erkenntnisse an und entwickelt sie in Richtung von Zigaretten mit Cola- und Apfelgeschmack weiter, da Äpfel, wie es heißt „positiv besetzt sind und mit Frische assoziiert werden“.

Vor diesem Hintergrund: Wie stark fiel es in Gewicht, ob die jeweiligen Autoren der Alzheimer-Studien im Auftrag der Tabakindustrie tätig waren?

Es fiel ganz gewaltig ins Gewicht. Die mit dem Rauchen in Verbindung stehenden Risiken einer Alzheimer-Erkrankung waren in diesen Studien um durchschnittlich ein Drittel niedriger als bei anderen Wissenschaftlern. Unter den Arbeiten fanden sich auch jene, die zu dem Ergebnis kommen, Rauchen könne sogar vor einer Alzheimer-Erkrankung schützen. Wenn man diese elf Studien herausnimmt und sich allein die verbleibenden ansieht, dann ergibt sich für Raucher ein wesentlich höheres Risiko von 1,72 zu 1.

Früh gewarnt, und trotzdem fast nie erwähnt

Können wir also alle Untersuchungen ignorieren, die von Leuten stammen, die uns zuwider sind? In Nazi-Deutschland arbeiteten zwei Wissenschaftler, Schairer und Schöniger, an biologischen Theorien über degeneriertes Verhalten. Diese Forschungen fanden unter der Leitung von Professor Karl Astel statt, der bei der Organisation derjenigen Operation mithalf, bei der 200.000 geistig und körperlich behinderte Menschen ermordet wurden.

1943 veröffentlichten die beiden eine sorgfältig durchgeführte Studie, die den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs belegt. Ihre Arbeit wurde aber in der klassischen Arbeit von Doll und Bradford Hill von 1950 nicht erwähnt. In den Sechzigern wurde nur viermal auf sie Bezug genommen, in den Siebzigern einmal, und dann erst wieder 1988 – dabei wurde hier schon früh vor einer tödlichen Gefahr gewarnt, die im 20. Jahrhundert zu 100 Millionen vorzeitiger Todesfälle geführt hat. Es ist nicht immer einfach zu beantworten, was man mit Belegen anfängt, die aus unseriösen Quellen stammen. Aber man sollte sie bzw. ihren Mangel an Vertrauenswürdigkeit mit den besten Mitteln überprüfen, die einem zur Verfügung stehen.

Der digitale Freitag

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Ben Goldacre | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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