#stopwillow: Die Biden-Regierung genehmigt in Alaska riesige Gas- und Erdöl-Projekte
USA Der Energiekonzern ConocoPhillips will in den nächsten 30 Jahren an drei Standorten im Norden des US-Bundesstaates Alaska schätzungsweise 576 Millionen Barrel Rohöl fördern. Damit wird eine „Kohlenstoffbombe“ gelegt
Umweltschützer protestieren Anfang März gegen ein Projekt, dessen Treibhausgasausstoß dem von 70 Kohlekraftwerken entspricht
Foto: Josan Andrew/NYT/Redux/Laif
Das umstrittene Vorhaben hat ein Finanzvolumen von acht Milliarden Dollar, möglicherweise auch mehr, und soll im Norden Alaskas Gestalt annehmen. Das stößt auf den heftigen Widerstand von Umweltschützern und Gemeinschaften der Ureinwohner in dieser Region, hält aber die Biden-Regierung nicht davon ab, bei ihrer Entscheidung für ein Projekt zu bleiben, bei dem Erdöl- und Gasvorkommen erschlossen werden sollen.
Die Gegner hatten argumentiert, dies werde einen bereits verheerenden Wandel des Klimas beschleunigen und die Ernährungssicherheit untergraben – doch es half nichts. Das Willow-Projekt des Energiekonzerns ConocoPhillips wird eines der größten seiner Art auf nordamerikanischem Boden sein. Es umfasst für mehrere Jahrzehnte Bohr
ehnte Bohrungen nach Erdöl sowie -gas an drei Standorten und auf einer Fläche von 23 Millionen Hektar, die zur National Petroleum Reserve gehören und sich im Besitz der Bundesregierung befinden. Es wird das bis dato größte Gebiet in öffentlichem Besitz sein, das derart umgewidmet wird. Mit einem bis dato ungestörten Dasein ist es – für immer? – vorbei.Eine „Kohlenstoffbombe“Über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren hinweg sollen schätzungsweise 576 Millionen Barrel Rohöl gefördert werden. Pro Tag ist ein Spitzenwert von 180.000 Barrel erwünscht. Zu dieser Ausbeutung von Ressourcen hat ConocoPhillips bereits angekündigt, dass man ironischerweise zum künstlichen Wiedereinfrieren des immer schneller auftauenden arktischen Permafrostbodens übergehen werde, da die Bohrausrüstungen stabilisiert werden müssten. Was der Konzern tunlichst ausblendet, ist der Umstand, dass mit dem Projekt eine der größten „Kohlenstoffbomben“ auf US-Boden gelegt wird. Diese dürfte mehr als doppelt so viele Emissionen verursachen, als durch alle Anlagen für erneuerbare Energien auf öffentlichen Flächen in den USA bis 2030 vermieden werden. Zu seiner Entscheidung erklärte das Büro für Landmanagement im Innenministerium, dass die Genehmigung „ein Gleichgewicht herstellt“, indem ConocoPhillips erlaubt werde, seine langjährigen Pachtverträge in der Arktis zu nutzen. Zudem würden die Bohrungen auf drei statt fünf Standorte beschränkt, die das Unternehmen ursprünglich vorgesehen hatte.Umweltaktivisten und Vertreter der Ureinwohner Alaskas halten dem entgegen, dass Joe Bidens Klimaagenda damit schwer untergraben werde. Es sei damit zu rechnen, dass dieses Projekt während seiner Betriebsdauer etwa 260 Millionen Tonnen Treibhausgase erzeuge, was dem Ausstoß von etwa 70 Kohlekraftwerken entspreche.„Die Genehmigung für das Willow-Projekt ist eine inakzeptable Abweichung von Bidens Versprechen an das amerikanische Volk, für mehr Klimaschutz und Umweltgerechtigkeit zu sorgen“, bemängelt Lena Moffitt, Geschäftsführerin der Klimagruppe Evergreen Action. „Nach allem, was diese Regierung getan hat, um einen sich beschleunigenden Klimawandel aufzuhalten, ist es herzzerreißend, eine Entscheidung zu ertragen, von der wir wissen, dass sie die arktischen Gemeinschaften vergiftet und einen jahrzehntelangen Einfluss auf das Klima hat, den wir uns nie und nimmer leisten können.“ Dennoch: Es gab grünes Licht für ConocoPhillips, obwohl das Innenministerium angekündigt hatte, dass es künftige Öl- und Gasbohrungen in den arktischen Gefilden der USA verbieten und Millionen Hektar Land in Alaska schützen wolle, das von indigenen Gemeinschaften als äußerst empfindlich eingestuft wird. Umso mehr löst die Willow-Entscheidung Unverständnis und Wut aus.„Das Votum der Biden-Administration macht deutlich, dass ihre Agenda des Klimaschutzes und des Erhalts der biologischen Vielfalt nur Gerede – keine Tat ist“, so Sonia Ahkivgak, Koordinatorin für soziale Kontakte bei der Sovereign Iñupiat for a Living Arctic Group. „Die einzig vernünftige Lösung, um in keinen Klimanotstand zu driften, besteht darin, neue Projekte für fossile Brennstoffe abzulehnen. Unser Kampf hat gerade erst begonnen. Wir werden weiterhin dazu aufrufen, das Willow-Projekt zu stoppen, weil das Leben der Menschen vor Ort und künftiger Generationen davon abhängt.“Es gibt bisher mehr als eine Million Briefe an das Weiße Haus, dazu eine change.org-Petition mit mehr als drei Millionen Unterzeichnern und eine virale #stopwillow-Kampagne, die auf Tiktok und anderen sozialen Medien Fahrt aufnimmt. Klar ist, der Vollzug des Projekts wird mit Sicherheit auf rechtliche Hürden stoßen. Gerade meinte der frühere demokratische Vizepräsident Al Gore, dass Unternehmungen dieser Art „leichtsinnig und verantwortungslos“ seien. „Wer sie erlaubt, verursacht ein Klimachaos“. Im Februar hatte das Innenministerium das Ergebnis einer Umweltverträglichkeitsprüfung veröffentlicht, mit dem eine abgespeckte Variante des Unterfangens empfohlen wurde, was ConocoPhillips Alaska umgehend als „praktikable Option“ wertete, um weitere Debatten abzublocken. „Willow ist eine Zeitbombe, die in der Arktis nicht explodieren darf“, sagte Karlin Nageak Itchoak, Regionaldirektor der gemeinnützigen Wilderness Society, als die Ergebnisse der Studie durchgesickert waren.Laut Native Movement, einem in Alaska ansässigen Basiskollektiv, haben die Willow-Entwickler wenig Forschung zu den Auswirkungen ihres Projekts auf die arktischen Biotope Alaskas betrieben, zu den Geburtsstätten der Zehntausende von Tieren zählenden Teshekpuk-Lake-Karibuherden – regional eine unverzichtbare Nahrungsquelle. Einwohner von Nuiqsut, einer in der Gegend gelegenen Gemeinde von Ureinwohnern, haben über kranke Fische, abgemagerte Karibus und eine schlechte Luftqualität geklagt, die durch eine bereits betriebene Öl- und Gasförderung verursacht wurden.Die Genehmigung dazu überlagerte ein langer Streit. Nachdem das Weiße Haus unter Donald Trump zunächst grünes Licht gegeben hatte, hob ein Bundesrichter die Entscheidung wieder auf, weil sich die zugrunde liegende Umweltprüfung als fehlerhaft erwiesen hatte. Die beiden republikanischen Senatoren aus Alaska und der einzige Kongressabgeordnete des Staates, ein Demokrat, hatten die Regierung aufgefordert, das Projekt durchzuwinken, weil es ihrer Meinung nach die lokale Wirtschaft ankurbeln werde.Einige Stammesverbände der Ureinwohner Alaskas, darunter die Iñupiat Community of the Arctic Slope und die Alaska Federation of Natives, hatten das Projekt aus ähnlichen Gründen unterstützt. Dadurch werde es „unserer Gemeinschaft ermöglicht, Traditionen fortzusetzen und gleichzeitig die wirtschaftliche Grundlage unserer Heimat für Jahrzehnte zu stärken“, äußerste sich Nagruk Harcharek, Präsident von Voice of the Arctic Iñupiat. Andere Gruppen konterten, dass sämtliche Arbeitsplätze und Gelder, die es kurzfristig gäbe, auf lange Sicht durch die Umweltzerstörung zunichte gemacht würden. Vor allem überzeugte das Argument, längst unter einem Klimawandel zu leiden, der durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe verursacht werde. Rosemary Ahtuangaruak, Bürgermeisterin der 525-Einwohner-Gemeinde Nuiqsut, wurde zu einer prominenten Gegnerin. Sie verurteilte alle Öl- und Gasprojekte als „Klimakatastrophe“, sie würden sich negativ auf die Lebenslage der Menschen und ihre Gesundheit auswirken.Kein KommentarPräsident Biden hatte nach seinem Amtsantritt im Januar 2021 die Vergabe von Öl- und Gaspachtverträgen ausgesetzt und versprochen, das Programm der Regierung für fossile Brennstoffe zu überarbeiten. Dann jedoch ließ seine Regierung ihren Widerstand gegen neue Pachtverträge fallen, als es darum ging, im Kongress einen Kompromiss zum jüngsten Klimagesetz zu finden. Bei vielen Demokraten löste das Bestürzung aus. Zwei Dutzend fortschrittliche Kongressabgeordnete warnten Biden in einem Brief, dass vom Willow-Projekt „eine erhebliche Bedrohung für den Fortschritt der USA in Klimafragen“ ausgehe. Die Gruppe verlangte von Biden, „ein nicht wirklich durchdachtes und fehlgeleitetes Projekt“ zu blockieren. Es gab dazu keine Reaktion aus dem Weißen Haus.US-Innenministerin Deb Haaland lehnte in einem Interview ebenfalls einen direkten Kommentar zu Willow ab, meinte allerdings, dass „öffentliches Land jedem einzelnen Amerikaner gehört, nicht nur einer Industrie“. So viel steht fest, die zunehmende Öl- und Gasförderung in der Region Alaska hat sich längst auf die Karibu-Populationen ausgewirkt, die mehrere Gemeinden in der Region für ihren Lebensunterhalt jagen und brauchen.Placeholder infobox-1
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