Was bringt das neue Jahr?“, diese Frage ist gerade erst gestellt worden, auch wenn die Antwort längst klar ist: Innerhalb von zwölf Monaten passiert einiges, aber die Welt wird wohl kaum in ihren Grundfesten erschüttert. Was ist dagegen in einem Vierteljahrhundert? Vier zukunftsweisende Vorhersagen.
Gehirn: „Wir werden Daten direkt in den Kortex speisen“
Im Jahr 2030 gibt es wahrscheinlich serielle Schnittstellen zwischen Maschinen und dem menschlichen Gehirn. Wahrscheinlich werden wir in der Lage sein, Informationsströme direkt in unser Gehirn einzuspeisen – zumindest dann, wenn jemand dies so sehr will, dass er dafür einen chirurgischen Eingriff riskiert. Auf diesem Weg könnte es dann zum Beispiel Gelähmten möglich sein zu tanzen – in speziellen Anzügen, die sie allein mithilfe ihrer Gedanken steuern.
Wir werden das Rätsel der menschlichen Erinnerung lösen und möglicherweise einsehen müssen, dass es dabei nie ums Speichern ging, sondern allein darum, Dinge zueinander in Beziehung zu setzen. Es wird dafür clevere Medikamente zur Steigerung des Lern- und Erinnerungsvermögens und einen Schwarzmarkt geben, auf dem ehrgeizige Studenten sich solche Mittel besorgen.
Werden wir Singularität erreichen – jenen Punkt, an dem Computer die menschliche Intelligenz überholen und uns vielleicht die Rechnung präsentieren? Wenn wir die Dichotomie von Veranlagung und Umwelt überwunden haben, werden wir auf molekularer Ebene jedenfalls verstehen können, wie kulturelles Erleben seinen Weg ins Hirngewebe findet und in welchem Maße es Spuren im Gehirn unterschiedlicher Menschen hinterlässt.
Dann wäre da das Mysterium des Bewusstseins. Werden wir schließlich über ein System verfügen, das es uns erlaubt, die biologischen Einheiten des Hirns in private, subjektive Erfahrungen zu übersetzen? Nach heutigem Stand wissen wir noch nicht einmal, wie ein solches System aussehen könnte.
Diese Forschungsrichtung wird uns dennoch mit der Frage konfrontieren, wie wir die Struktur des Gehirns kopieren und auf diese Weise auch Bewusstsein reproduzieren können – aus Einsen und Nullen oder aus Bierdosen und Tennisbällen. Wenn die materialistische Theorie zutrifft, sind wir zumindest auf einem guten Weg, unsere Gehirne auf Computer speichern zu können und für immer in einer Matrix weiterzuleben. Trifft die Theorie nicht zu, wäre das aber auch ganz interessant: Vielleicht funktioniert unser Gehirn ja wie ein Radio, das bislang noch unerforschte Signale verarbeitet. Doch egal, wie kühn und verrückt solche Voraussagen heute auch immer klingen mögen – in der Zukunft werden sie uns unspektakulär erscheinen.
David Eagleman, Neurowissenschaftler und Autor
Computer: „Wir werden spielen, um Probleme zu lösen“
In den vergangenen zehn Jahren wurden die Menschen in den USA, Europa, aber insbesondere in Südostasien Zeugen einer Flucht in virtuelle Welten wie Second Life. In den kommenden 25 Jahren wird sich diese Entwicklung umkehren – nicht, weil wir weniger Zeit mit Spielen verbringen, sondern weil Spiele und virtuelle Welten immer näher an unsere Realität anknüpfen.
Es wird Spiele geben, deren Handlung von der Wirklichkeit beeinflusst wird, und es wird Spiele geben, die wir mithilfe von Sensoren tatsächlich in der echten Welt spielen – zum Beispiel, in dem wir den Hund in einen Avatar verwandeln, mit einem Halsband, das misst, wie schnell er läuft und ob er mit dem Schwanz wedelt. Spiele also, bei denen man mit seinem Hund anstelle eines virtuellen Charakters spielt, um weiterzukommen. Ich kann mir auch Spiele vorstellen, bei denen man körperlich aktiv ist und zum Beispiel mit einer Matte die Energie auffängt, die man freisetzt.
Ein überraschender Trend in der Entwicklung des Spiel-Verhaltens ist, dass drei von vier Spielern schon heute Spiele bevorzugen, in denen man zusammenarbeitet, anstatt gegeneinander zu kämpfen. Es gibt sogar Spiele, mit denen Wissenschaftler versuchen, den Spielern Forschung näherzubringen, etwa, wie man Proteine findet, die Krebs heilen. Kooperative Spiele dieser Art kennt die Geschichte nicht. In jedem Spiel – Karten, Schach, Sport – spielte man, um zu gewinnen. Nun aber geht es zunehmend um Kooperation: Die Menschen spielen zusammen, um Probleme zu lösen und haben Spaß dabei.
Es gibt auch Studien darüber, wie Spiele sich auf unseren Verstand und unsere kognitiven Fähigkeiten auswirken. Viele Studien deuten darauf hin, dass mit Spielen auch Depressionen, Angstzustände und Aufmerksamkeitsdefizite behandelt werden können. Spiele zu entwickeln, die sowohl Spaß machen und gleichzeitig einen gesellschaftlichen Nutzen haben, ist nicht leicht. Viel Innovation wird vonnöten sein. Aber Spiele werden zunehmend in die Gesellschaft integriert werden.
Jane McGonial ist Direktorin für Spieleforschung und -entwicklung am Institut of Future in Kalifornien
Natur: „Wir werden die Wildnis neu definieren“
Wir alle wollen in einer Welt leben, in der Arten wie Tiger, die großen Wale, Orchideen und Korallenriffe leben und gedeihen, und ich bin mir sicher, dass die Menschen sich auch weiterhin dafür engagieren, dass die Artenvielfalt erhalten bleibt. In den vergangenen 50 Jahren wurden große Anstrengungen für den Erhalt und Schutz der Umwelt unternommen. Wenn wir die Ursachen für das Aussterben bestimmter Spezies erkennen, können gezielte Maßnahmen für ihren Erhalt die Trends umkehren.
Es wird aber zunehmend schwieriger. Seit den sechziger Jahren hat sich die Weltbevölkerung grob verdoppelt, und sie wird bis 2030 um ein weiteres Drittel wachsen. Der Bedarf an Lebensmitteln, Wasser und Energie wird steigen, und erfolgt zwangsläufig in Konkurrenz zu anderen Arten. Die Menschen verbrauchen bereits heute knapp 40 Prozent der primären Biomasse und werden immer mehr verbrauchen, mit klaren Konsequenzen für die Umwelt.
Wir werden auch die Auswirkungen der allmählichen Erderwärmung beobachten, die es kontinentalen Arten ermöglichen wird, zum Beispiel auf Inseln zu leben. In den Städten wird es vor allem Arten geben, die sich an ein Leben an der Seite des Menschen angepasst haben.
Wir können Arten erhalten, wenn wir es wirklich versuchen. Ich bin daher zuversichtlich, dass unsere Fauna und Flora auch im Jahr 2035 noch existieren. Sie werden aber zunehmend auf streng geschützte und betreute Gebiete beschränkt werden. Überleben werden jene Spezies, die gut mit Menschen klarkommen – und jene, die wir für wertvoll erachten und retten. Wir werden uns immer weniger als Teil der Natur betrachten, und wir werden eine andere Vorstellung von Wildnis haben.
Darüber darf niemand vergessen, dass die Artenvielfalt insgesamt rapide schwindet, auch Mikroorganismen im Boden und das Plankton in den Weltmeeren. Mit ihnen verschwinden fruchtbare Böden, sauberes Wasser, die Regulierung des Klimas und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten. Wir nehmen diese lebenswichtigen Dienste des Ökosystems für selbstverständlich und gehen unverantwortlich mit ihnen um.
Georgia Mace ist Direktorin des Natural Enviroment Reserach Council’s Center for Population Biology am Imperial College in London
Energie: „Der Weg zurück zur Muskelkraft ist keine Option“
Ausreichend Lebensmittel, Wasser und Energie für alle – das ist eine große Herausforderung. Energie ist dabei ein Mittel und kein Zweck, aber eben ein notwendiges Mittel. Mit 6,7 Milliarden Menschen auf der Erde, von denen mehr als 50 Prozent in Ballungsgebieten leben (und diese Zahlen wachsen im Laufe dieses Jahrhunderts vermutlich auf neun Milliarden und 80 Prozent), stellt die Rückkehr zu einer Welt, die sich auf die Muskelkraft von Menschen und Tieren verlässt, keine Option dar.
Die Herausforderung besteht darin, genügend Energie zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, die heute 80 Prozent unseres Energiebedarfs decken, immer weiter zu reduzieren. Der Rest stammt – in absteigender Menge oder Reihenfolge der Bedeutung – aus der Verbrennung von Biomasse und Müll, von Wasser-, Atom- und schließlich von erneuerbaren Energien, die zusammen noch weniger als ein Prozent ausmachen. Der Verbrauch fossiler Brennstoffe muss verringert werden, um einen noch ernsteren Klimawandel zu verhindern und sich auf eine Zeit vorzubereiten, in der fossile Brennstoffe ohnehin zu knapp und zu teuer sind.
Das wird äußerst schwer. Ein Szenario der Internationalen Energieagentur IEAE, das die Umsetzung aller bislang beschlossenen Maßnahmen und Absichtserklärungen, im nationalen Rahmen Energie zu sparen und den Anteil fossiler Brennstoffe zu reduzieren, mit zur Grundlage nimmt, prognostiziert in den kommenden 25 Jahren einen Anstieg des weltweiten Energieverbrauchs von 35 Prozent und einen Anstieg des Verbrauchs fossiler Brennstoffe von 24 Prozent. Dieser Energiehunger ist fast vollständig dem wachsenden Verbrauch in den Entwicklungsländern geschuldet, in denen der Lebensstandard sich – erfreulicherweise – hebt und die Bevölkerungszahlen schnell ansteigen.
Ein anderes Szenario, das eine stärkere Beteiligung von Atom-, Wasser- und Windenergie vorsieht, geht erwiesenermaßen nicht weit genug. Es wird letztlich kollabieren, wenn, wie viele erwarten, die Ölförderung (die mit einem 15-prozentigem Anstieg einkalkuliert wird) bereits früher als erst in 25 Jahren ihren Zenit überschritten hat. Wir müssen viel mehr tun, indem wir mit besserem technischen Design, durch die Änderung unseres Lebensstils, mittels höherer Effizienz und durch die Anwendung und Verbesserung aller möglichen alternativen Energien unseren Bedarf reduzieren.
Das ist natürlich nicht billig, und es wird auch nicht ausreichen, sobald die Ära der fossilen Brennstoffe erst einmal vorbei ist. Vor allem die Solarenergie wird bis dahin einen substanziellen Beitrag leisten müssen. Dazu bedarf es aber eine Reduzierung der Kosten und einer Verbesserung von Speicher- und Übertragungsmöglichkeiten. Als Alternative oder Ergänzung bleiben nur Energien aus der klassischen, heftig umstrittenen Kernenergie – oder aus der Kernfusion, die vom Prinzip her zwar ausnehmend attraktiv erscheint, aber als zuverlässige Energiequelle frühestens Mitte dieses Jahrhunderts zur Verfügung stehen dürfte.
Wenn die Investitionen für die Entwicklung und Anwendung neuer Ressourcen allerdings auf dem heutigen Niveau stehen bleiben, werden wir den Großteil unserer Energie in 25 Jahren noch immer aus fossilen Brennstoffen gewinnen und nicht darauf vorbereitet sein, wenn wir plötzlich ohne sie zurechtzukommen müssen.
Chris Llewllyn Smith war Direktor des Cern und Präsident des Kenfusionsprojektes Iter. Er lehrt an der Oxford University
Auswahl: Kathrin Zinkant Übersetzung der gekürzten Beiträge: Holger Hutt
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