In Pakistan, wo Politiker normalerweise darum bemüht sind, möglichst große Wahlkampfmeetings mit möglichst vielen Unterstützern abzuhalten, fällt es schwer, sich eine Veranstaltung vorzustellen, die es unlängst in einer fast stockfinsteren Straße in Dera Ismail Khan gegeben hat.
Beleuchtet nur durch die Scheinwerfer eines PKW hielt der Kandidat, der sich um einen Sitz im Parlament bewirbt, eine kurze Rede vor etwa hundert Unterstützern, die man kurzfristig zusammengerufen hatte. Bald wurde der Bewerber von seinen Bodyguards, die kugelsichere, weiße Westen trugen, zurück in seinen gepanzerten Wagen geleitet.
Seit die pakistanischen Taliban den drei etablierten säkularen Parteien vor dem jetzigen Urnengang den Krieg erklärt haben, sind diese spontanen Zusammenkünfte („corner meetings“) für Politiker wie Waqar Ahmed Khan, Senator der Pakistanischen People's Party (PPP), zur Normalität geworden.
„Er weiß, dass er vorsichtig sein muss“, sagt Mansoor Akbar Kundi, Vizekanzler der städtischen Universität und Freund Ahmed Khans. „Kandidaten wie Waqar sind von der Bedrohung durch die Taliban in ihrer Aktivität stark eingeschränkt. Sie können einfach nicht mehr in dem Maße unter die Leute gehen wie in der Vergangenheit.“
Khan selbst spielt die Bedrohung herunter. Er sagt, in anderen Gegenden, etwa der vorwiegend von Paschtunen bewohnten Grenzregion zu Afghanistan oder und in den föderal erwalteten Stammesgebiete (Federally Administered Tribal Areas – FATA), sei es viel schlimmer.
Doch nur wenige Stunden zuvor ist der Aktivist einer anderen Partei in seinem Auto erschossen worden, ohne dass in den überregionalen Medien groß darüber berichtet worden wäre. Die pakistanischen Taliban sind fest entschlossen, die Wahlen durch Einschüchterung und Gewalt zugunsten der religiösen rechten Parteien, die mit den Militanten sympathisieren, zu beeinflussen. Viele Beobachter sind der Ansicht: Ihnen wird das auch gelingen.
Angriff auf Wahllokale
Die Politiker können nicht sagen, man habe sie nicht gewarnt. Im April veröffentlichten die Taliban ein Video, in dem sie die Öffentlichkeit aufforderten, sich von den Veranstaltungen von PPP, Awami National Party (ANP) und Muttahida Qaumio Movement (MQM) fernzuhalten. Diese drei säkularen Parteien haben sich in den turbulenten Jahren seit 2008 die Regierungsverantwortung geteilt und die Angriffe der Armee auf die Militanten unterstützt.
Die ANP ist bislang mit mehreren getöteten Wahlkampfhelfern am schwersten getroffen. Als sie am 17. April in Peschawar eine Versammlung abhielt, sprengte sich ein Attentäter vor dem Gebäude in die Luft und riss 16 Menschen mit in den Tod. Die Taliban erklärten, sie hätten es auf Haroon Ahmad Bilour abgesehen, einen Führer dieser Partei, dessen Vater im Dezember bei einem Selbstmordanschlag ums Leben kam. Die Partei fürchtet, nicht einmal von Leuten ihre Stimme zu erhalten, die sich mit ihr solidarisch fühlen oder sie bemitleiden. Sie würden aus Angst gar nicht zur Wahl gehen. Die Abstimmung ist zwar geheim, aber die Taliban könnten Wahllokale, die in Hochburgen der ANP liegen, direkt angreifen.
Diese prekäre Situation hat auf einen Wahlkampf, der selbst in großen Städten wie Dera Ismail Khan oft lustlos wirkt, einen dramatischen Einfluss. Säkulare Politiker müssen sich in einem Land mit einer nach wie vor hohen Analphabetenrate immer öfter mit den Sozialen Medien zufrieden geben, während rechte und islamistische Parteien ohne große Sicherheitsbedenken wie gewöhnlich Wahlkampfmeetings abhalten können.
Unter Polizeischutz
Die traditionell säkulare ANP, die schon seit langem eine harte Linie gegen die Taliban verfolgt, könnte durch den Sturm der Gewalt vernichtend getroffen werden. Die Angriffe haben sie in den vergangenen Wochen zur Schließung von Dutzenden von Wahlkampfbüros gezwungen. Es war ohnehin schon erwartet worden, dass die Partei bei den Wahlen Verluste hinnehmen muss, da sie für ihre Arbeit in etlichen Provinzregierungen stark kritisiert wird.
„Wir werden nie erfahren, ob die ANP an Zustimmung gewonnen oder verloren hat, da ihre Unterstützer große Angst haben werden, zur Wahl zu gehen“, sagt Ijaz Khan, Professor für internationale Beziehungen an der Universität von Peschawar. „Es können in Pakistan keine freien und fairen Wahlen mehr stattfinden. Die Ergebnisse werden für immer fragwürdig bleiben.“ Einige der Kandidaten der von den Taliban bedrohten Parteien treten nun als Unabhängige an oder sind zu einer der religiösen Parteien übergelaufen – was unter den ultra-pragmatischen Politikern Pakistans allerdings selbst unter normalen Umständen üblich ist.
Auch wenn führende ANP-Politiker Polizeischutz erhalten haben, wurde der Partei zufolge nicht genügend unternommen, um ihre Kandidaten zu schützen. „Die Polizei ist schon eine Hilfe, aber wir haben erlebt, dass Selbstmordattentäter fähig sind, an allen Kontrollpunkten vorbei- und äußerst nahe an unsere Leute heranzukommen“, sagt ANP-Vizepräsident Bushra Gohar. „Das zeigt, dass es echte Schwachstellen in ihrem Sicherheitsplan gibt.“
Im Dschungelcamp
Die Taliban rechtfertigen ihren Krieg mit der Behauptung, die säkularen Parteien hätten „während ihrer fünfjährigen Amtszeit einen Genozid an unseren Stämmen und Muslimen verübt“. Analysten sind der Auffassung, den Taliban gehe es nicht nur um Rache – sie versuchten, auch dafür zu sorgen, dass das kommende Parlament ihrer Sache so wohlwollend wie möglich gegenübersteht.
„Eine Regierung, die weiter rechts der Mitte steht, wird das Maß der Zusammenarbeit mit den USA im Kampf gegen die afghanischen Taliban weiter zurückfahren“, sagt Khan. Rechte und religiöse Parteien, die Friedensverhandlungen mit den Taliban gefordert haben, sind von Selbstmordattentätern weitgehend verschont geblieben.
„Wenn man im Dschungel lebt, muss man sich nach den Gesetzen des Dschungels richten“, feixt Mehmood Bettani, der für die führende religiöse Jamiat Ulema-i-Islam-Fazal für einen Sitz in der Provinzversammlung kandidiert. Er kann sich in Dera Ismail Khan frei bewegen, ohne den Sicherheitsaufwand seiner säkularen Konkurrenten zu betreiben. „Privat sprechen wir über das Taliban-Problem, öffentlich kann man das nicht, ohne zu riskieren, angegriffen zu werden.
Und auch der Volkspartei PPP bereiten die Taliban große Kopfschmerzen. Viele erwarten, dass die PPP bei den Wahlen wegen der Wirtschafts- und Stromkrise sowie der anhaltenden Gewalt der Taliban einen Denkzettel verpasst bekommt. Die Auftaktveranstaltung zum Wahlkampf, die Anfang April stattfinden sollte, musste die PPP absagen.
Eine ihrer wenigen Trümpfe ist der Name Benazir Bhutto, die die Partei in 1967 mitgegründet hat. Seitdem die zweimalige Premierministerin Ende 2007 ermordet wurde, liegt das Namenserbe des Parteigründers, Zulfikar Ali Bhutto, bei dessen unerfahrenem Enkel Bilawal. Doch Parteimitglieder, die mit ansehen mussten, wie einer ihrer Kandidaten für die Provinzversammlung in Adnan Aslam im April ermordet wurde, haben deutlich gemacht, dass der 24-jährige Oxford-Absolvent bei keiner Veranstaltung auftreten wird, bei der die Taliban in seine Nähe kommen könnten.
Vor kurzem veröffentlichte die Partei eine Videobotschaft Bilawals, in der er sich darüber beklagte, nicht in Erscheinung treten zu können, weil die Mörder seiner Mutter auch ihm nach dem Leben trachteten. „Ich wollte zu den Wahlen antreten als einer, der unter euch lebt. Ich wollte den Wahlkampf in den Straßen meines Landes führen, an der Seite meiner Wahlkampfhelfer … aber wir befinden uns im Krieg gegen eine Ideologie“, sagte er.
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