Die Republikaner wittern eine Niederlage Barack Obamas, die seine Präsidentschaft schwer beschädigen könnte, und setzen die Gesundheitsreform einer Hetzkampagne aus, die ihresgleichen sucht. Am 6. August hatte der Präsident den Kritikern seiner Bemühungen, 46 Millionen bisher nicht krankenversicherte Amerikaner mit einem Versicherungsschutz auszustatten, entgegnet, sie würden zu absonderlichen Gerüchten und Desinformationen greifen, um seine Pläne zu torpedieren. Und er hatte Recht.
Eine Puppe wird erhängt
Sarah Palin, Ex-Vizepräsidentschaftsbewerberin der Republikaner, verschärfte daraufhin den Ton noch einmal. Obamas Pläne seien „durch und durch böse“, er wolle ein System zur Rationierung der Pflege einführen
lege einführen, das ihr eigenes geistig behindertes Kind bedrohen könne. „In dem Amerika, das ich kenne und liebe, müssen mein Vater oder mein am Down-Syndrom erkranktes Kind nicht vor Obamas Todes-Ausschuss, damit seine Bürokraten darüber entscheiden können, ob sie es wert sind, in den Genuss ärztlicher Behandlung zu kommen“, schreibt sie auf ihrer Facebook-Seite. In Georgia wurde dem demokratischen Parlamentarier David Scott ein Hakenkreuz an die Bürotür geschmiert. Palin hat damit Öl ins Feuer einer nationalen Debatte gegossen, die inzwischen die öffentliche Ordnung zu gefährden droht. Zahlreiche von demokratischen Politikern abgehaltene öffentliche Townhall-Meetings wurden von Unterstützern der Republikaner oder der Gesundheitsbranche gestört – einige sogar aus Angst vor Gewalt abgesagt. Eine Gruppe aus der Verhinderungskampagne ging im Staat Missouri so weit, die Puppe eines Kongress-Abgeordneten der Demokraten zu hängen. Ein anderer erhielt Morddrohungen.Wegen dieser Ausschreitungen will die aus der Wahlkampfhilfe für Obama entstandene Gruppe Organising for America zusammen mit diversen Gewerkschaften bei Townhall-Treffen mehr Präsenz zeigen, um den Argumenten für die Reform eine stärkere Stimme zu geben. John Sweeney, Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO, hat ein Memorandum an Aktivisten seiner Organisation verschickt, in dem er dazu auffordert, den Republikanern Paroli zu bieten.Viele Kommentatoren verurteilen die Attacken der Republikaner und Lobbyisten der Gesundheitsindustrie auffallend scharf. Obwohl diese Klientel stets behauptet, die Proteste seien Ausdruck ehrlicher Empörung in der Bevölkerung, gibt es bereits Fälle, in denen Aktivisten in flagranti erwischt wurden. So erklärte eine Frau, die ein Meeting des demokratischen Kongress-Abgeordneten Steve Kagen störte, sie sei „nur eine Mutter“. Später stellte sich heraus, es handelte sich um ein ehemals hohe Funktionärin der Republikaner. „Diese Leute sind zu politischen Terroristen geworden, die bereit sind, alles zu behaupten oder zu tun, um eine Einigung bei einem der wichtigsten innenpolitischen Probleme zu verhindern“, schreibt Kolumnist Steven Pearlstein in der Washington Post.Obamas bis dato unvergleichliches Gespür für das richtige Timing scheint ihn diesmal verlassen zu haben. Er hat versprochen, das Gesetz zur Gesundheitsreform bis August durch den Kongress zu bringen und ist damit gescheitert, obwohl die Kammer von den Demokraten dominiert wird. Er versprach, eine „public option“ – ein staatlich finanziertes öffentliches Gesundheitsprogramm – werde Teil des Reformpaketes sein, doch dies scheint immer unwahrscheinlicher. Es könnte sein, dass Obama mit einer solchen Reform ebenso scheitert wie Bill Clinton in den frühen neunziger Jahren. Seit er versucht, den Wandel im Gesundheitssystem energisch voranzutreiben, sinken seine Umfragewerte. Im Juni sind sie um sieben Punkte auf 50 Prozent gefallen und weit entfernt von Quoten, die während der ersten 100 Tage im Amt seine Reformabsichten für die Innen- und Außenpolitik flankiert haben. Das Phänomen besteht darin, dass Obama nun wie jeder andere Präsident vor ihm wirkt. Der Glanz ist verschwunden.Pikanterweise hängt das auch mit seinem Bedürfnis zusammen, einen überparteilichen Konsens zu finden, statt ein solches Reformprogramm einfach zu diktieren. Obama bestand auf einer Assistenz der Republikaner wie auch der Blue Dogs, einer Partei-Strömung, die vorwiegend konservative Abgeordnete versammelt. Die drängen ihn jetzt in aggressivem Ton darauf, politische Ziele abzuschwächen und die „public option“ zu kassieren. Die Blue Dogs haben 2009 mehr Geld als jede andere Fraktion bei den Demokraten kassiert – über die Hälfte davon von Unternehmen der Gesundheits- oder Versicherungsbranche.Mehrheit für eine ReformAm meisten überrascht, dass trotz der immer schmutziger werdenden Kampagne von Republikanern und Lobbyisten eine Gesundheitsreform von den meisten Amerikanern nach wie vor begrüßt wird. Jüngste Umfragen ergaben, dass 62 Prozent eine „public option“ befürworten und 61 Prozent für eine höhere Besteuerung Wohlhabender plädieren, um diese staatliche Krankenversicherung zu finanzieren.Die Demokraten wollen bei ihren Town-Hall-Meetings bleiben, auch wenn die Republikaner den Druck in den Medien noch erhöhen und die Veranstaltungen massiv stören sollten. Am 8. September tritt der Kongress wieder zusammen. Das Gesetz zur Gesundheitsreform wird dann ganz oben auf der Liste der Prioritäten stehen. Aber es gilt als ausgemacht, dass Republikaner und konservative Demokraten verwässert werden, was auch immer zur Abstimmung stehen wird. Auf Obama kommt eine harte Entscheidung zu: Entweder er schluckt eine ausgedünnte Version seiner Pläne oder er verwirft den Kompromiss und setzt durch, was er will.Übersetzung: Holger Hutt