Teure Waffenromantik

Drogenballaden Die mexikanische Narcocorrido-Musik ist ein enormer Wirtschaftszweig. Sie klingt wie harmlose Volksmusik, doch die Lieder verherrlichen Drogendealer, Schmuggler und Morde

Almeida Swap Meet ist ein weitläufiger Hallenmarkt im Süden von Los Angeles. Es wird Spanisch gesprochen, kaufen kann man dort so ziemlich alles: Mexikanisches Essen, Cowboyhüte, Autoteile und T-Shirts mit Bildern des Banditen Jesús Malverde, der zum Schutzheiligen der mexikanischen Drogenschmuggler geworden ist.

Und überall Musik. Laut schallt sie aus den kleinen Läden, in denen sich Regalreihen voller CDs türmen. Auf den Hüllen sind Männer mit Cowboyhüten zu sehen, einige davon brüsten sich mit Schusswaffen. Vom Sound her ist es mexikanische Volksmusik – inklusive Tuba und Akkordeon - die hier verkauft wird. Die Texte hingegen sind brutal und drastisch und verherrlichen nicht nur die Heldentaten der mexikanischen Schmuggler, sondern auch Morde - verübt von jenen Kartellen, die in einigen Fällen auch die Musiker für das Schreiben dieser Lieder bezahlt haben.

Es sind Narcocorridos: Drogenballaden. Sie sind ein großes Geschäft, dessen Zentrum nicht Mexiko ist, sondern Los Angeles und das Umland der Metropole, wo sechs Millionen Amerikaner mexikanischer Abstammung und mexikanische Einwanderer leben. Würden die Verkaufszahlen dieser Branche in die Charts einfließen, wären viele der Lieder in den Top Ten. Die Besitzerin einer der CD-Verkaufsstände sagt: „Kein anderer Stil verkauft sich besser. Die jungen Leute wollen nur das. Narcocorridos verkaufen sich hunderte Male besser als etwa Ricky Martin. Mir gefällt die Musik, die Texte mag ich nicht. Mir gefällt nicht, was mit unseren Kids gemacht wird.“

Der Musikstil selbst ist eigentlich nichts Neues, doch in den Texten spiegelt sich die zunehmende Gewalt der Drogenkriege, seit der mexikanische Staat vor sechs Jahren eine Offensive begann, bei der inzwischen 40,000 Menschen ums Leben gekommen sind. Während die Narcocorridos einst Berichten glichen, die von den Aktivitäten der Schmuggler erzählten, identifizieren sich heute viele Sänger mit denen, über die sie singen und beschreiben in Ich-Form brutale Morde und Drogengeschäfte.

Bazooka hinterm Kopf

Die Los Tucanes de Tijuana etwa singen über Narcos - Dealer - mit „Taschen voller Granaten, einer Pistole an jedem Bein und einer kugelsicheren Weste, schwarzgekleidet, kampfbereit“. El Komander prahlt: „Ich hab' gerne viele Waffen und elegante Autos/ Geld öffnet tausend Türen.“ Als Musikerkollektiv Movimiento Alterado hat El Komander sich unter anderem mit der Band BuKnas de Culiacanjo zusammengetan. Einer ihrer Hits heißt Sanguinarios del M1 (dt.: Grausamkeiten des M1-Gewehrs) und ist ein Lobgesang auf Manuel Torres Félix. Der gehört zu den hochrangigsten Mitgliedern des Sinaloa-Kartells, einem mexikanischen Drogenkartell, welches in den 1980er Jahren im gleichnamigen Bundesstaat den Drogenhandel dominierte. Torres Félix wird nachgesagt, er habe nach einer seiner Taten die enthaupteten Körper seiner Opfer und ihre abgetrennten Beine im Kofferraum eines Autos zurückgelassen. Der Text beginnt so: „Mit einer AK47 und einer Bazooka hinterm Kopf/ lauf mir über den Weg und ich schlag dir den Kopf ab/ ich bin verrückt und mag es, meine Opfer zu töten.“ In einer weiteren Strophe heißt es: „Im Entführen sind wir die Besten/ Wir sind immer in der Gruppe unterwegs, mit kugelsicheren Westen, bereit, hinzurichten.“

BuKnas-Sänger Edgar Quintero zufolge war der Song ein Verkaufshit und wurde 12 Millionen Mal bei YouTube aufgerufen. Auch bei seinem Protagonisten sei er gut angekommen: „Félix Tochter hat mir über Facebook geschrieben, dass das Lied ihrem Vater gefallen hat.“

Quitero ist Mitte zwanzig, geboren wurde er in Los Angeles, aber sein „Herz gehört den Corridos“. Was hält er von dem Einwand, er heiße mit seiner Musik die Gewalttaten in Mexiko gut? „Meinem Vater gefällt nicht, was ich mache, den Leuten in meinem Alter aber schon. Diese Musik füllt Clubs und Konzerthallen. Wir sind Reporter – wir bringen Nachrichten.“

Häufig schreibe er im Auftrag „reicher Männer, die gerne Geld ausgeben. Die lassen gern Bands für sich spielen und wollen Lieder über sich selbst hören.“ Ob seine Auftraggeber Kartellen angehören, wisse er nicht, behauptet er. Dafür verrät er, dass es für ein Lied zwischen siebentausend und fünfzehntausend Dollar gibt und das er Anweisung erhält, was darin vorkommen soll. Zum Beispiel biographische Details, Erfolge als Schmuggler oder Lieblingswaffen. Außerdem werde er oft auf Feiern eingeladen, um dort dann „aus Gefälligkeit“ aufzutreten. Damit ist er wohl nicht der objektivste Reporter? „Nun, ich habe noch einen Nebenjob“, antwortet er.

Radioverbot trotz Latin Grammys

Quintero und seine Band proben in einer Garage im Südosten von L.A. Das Line Up ist abenteuerlich, Akkordeon und Bläsersatz inklusive. Und natürlich eine Tuba, die in keiner Narcocorrido-Band fehlen darf. Andernorts in den USA ist es hip, Gitarre zu spielen, hier kriegt der Tubaspieler die Mädchen. Eigentlich wollen die gutgelaunten Musiker lieber über ihre musikalische Verwegenheit reden (sie kombinieren Banda - Blaskapellenmusik - mit akkordeonlastigen Norteño-Balladen, welche der mexikanischen Populärmusik entstammen). Sie streiten aber nicht ab, dass die Tatsache, dass sie Narcocorridos machen, wesentlich zu ihrem Erfolg beiträgt.


Am Abend geben sie ein Konzert in Cudahy, einer zwar eigenständigen Stadt, die allerdings aussieht wie ein mexikanischer Vorort von Los Angeles. Sie betreten die Bühne mit Skimasken, AK47er-Imitaten und einer echten Bazooka, die sie bei einer Waffenschau erstanden haben. Der Club in dem sie spielen, heißt Potrero (Pferdehof), gleicht einer großen, funkelnd beleuchteten Lagerhalle und ist von einem riesigen Parkplatz umgeben, auf dem sich Limousinen und Allrad-Fahrzeuge drängen. Die Fahrer tragen Cowboyhüte und gefälschte Munitionsgürtel. Ich bin schon oft mit Musikern unterwegs gewesen und habe sogar schon Zutritt zu einem Konzert erhalten, das in den Favelas von Rio de Janeiro von Drogengangs ausgerichtet wurde. Hier aber war ich als englischsprachiger Journalist nicht willkommen. Scheinbar hatten einige im Publikum keine Lust auf Eindringlinge.

Das Zentrum der Narcocorrido-Branche ist Burbank. Dort sind auch die großen Filmstudios angesiedelt, ebenso wie der spanischsprachige Radiosender KBUE, der auch Narcocorridos spielt und die Twins-Enterprises-Studios, wo viele der Bands (auch BuKnas de Culiacan) ihre Musik aufnehmen.

Einer der Besitzer von Twins, Adolfo Valenzuela, weist die Kritik zurück, in den von ihm produzierten Songs werde Gewalt verherrlicht: „Es ist ein Trend. Diese Musik gibt es schon lange, wir haben sie bloß cool gemacht. Alle wollen sie, wer so was nicht singt, verkauft nichts.“

Brücke zum Mainstream

Die Branche hat sich nicht nur nördlich der mexikanischen Grenze angesiedelt, weil es hier einen großen Markt gibt, auf dem viel mehr Geld vorhanden ist als in Mexiko, sondern auch weil Mexiko versucht hat, ihr den Garaus zu machen. In weiten Teilen des Landes dürfen Narcocorridos nicht im Radio gespielt werden. Vor wenigen Wochen erhielt die angesehene Band Los Tigres del Norte (die Tiger aus dem Norden), die schon sechs Latin Grammys gewonnen hat und ursprünglich mit Narcocorridos bekannt geworden ist, Auftrittsverbot im mexikanischen Chihuahua, weil sie es gewagt hatten, nur eine einzige Drogenballade über eine weibliche Dealerin ins Programm zu nehmen.

In Los Angeles hingegen nimmt man erstaunlich wenig Anstoß. Das könnte daran liegen, dass die Amerikaner mexikanischer Herkunft hin- und hergerissen sind. Mit den Texten sind sie vielleicht nicht einverstanden, trotzdem freuen sie sich, dass mexikanische Musikstile in den USA überlebt haben, und sogar modern geworden sind. Fragt man nach den Gründen dieser Entwicklung, wird man stets auf einen Mann verwiesen – den Sänger Chalino Sánchez, der 1992 in Mexiko ermordet wurde. Er war in den USA vor allem durch seine Texte bekannt geworden, in denen er etwa schilderte, wie ein Mordopfer von Hunden gefressen wird. Auch seine Lebensweise trug zu seinem Ruhm bei. Sánchez trug immer eine Waffe bei sich, als einmal bei einem Konzert in Palm Springs ein Zuschauer auf ihn schoss, feuerte er direkt zurück. Er machte altmodische mexikanische Musik, vielen jungen mexikanischen Amerikanern erschien er aber härter als jeder Gangsterrapper.

Seit Sánchez' Tod sind in Mexiko weitere Musiker ermordet worden, was Diskussionen darüber auslöste, ob ihre Texte und ihre Loyalität zu bestimmten Kartellen für ihren Tod verantwortlich waren. Im vergangenen Jahr überlebte der überaus erfolgreiche Singer-Songwriter Gerardo Ortiz, der in den den USA große Konzerthallen füllt und dessen frühe Publicity-Bilder ihn mit Gewehren und Tuba posierend zeigen, einen Mordanschlag. Sein Manager und ein Freund kamen dabei ums Leben. Danach veränderten sich Ortiz' Texte. In Cara a la Muerte (im Angesicht des Todes) malt er sich aus, wie er selbst ermordet wird.

Valenzuela von Twins Enterprises meint, einige Hardcore-Narcocorridos kämen langsam von der harten Schiene ab: „Die Berühmten fangen zwar damit an, werden dann aber Mainstream. Es ist wie bei HipHop oder Reggaeton. Es dient ihnen als Brücke.“


Robin Denselow hat für BBC4 auch einen Radiobeitrag über die Narcocorridos erstellt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Robin Denselow | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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