Für die Kritiker von Occupy Wall Street besteht eine der größten Schwächen der Bewegung darin, dass sie keine konkreten Forderungen hat. Vielen Unterstützern hingegen gilt eben diese Weigerung sich festzulegen als eine der Grundlagen für ihren Erfolg. Nun jedoch sorgt das Anliegen einiger, sich auf eine einzige Forderung zu einigen, für Spannungen zwischen den Demonstranten in Lower Manhattan.
Die Demands Working Group, eine Gruppe zur Erarbeitung von konkreten Forderungen, will in der Generalversammlung diskutieren, ob man offiziell ein massives öffentliches Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor und dessen Finanzierung durch die Einstellung aller Auslandseinsätze des Militärs fordern soll. Für Kontroversen sorgt dabei nicht allein der Inhalt der Forderung. Vielmehr sind die Aktivisten in der prinzipiellen Frage gespalten, wie Forderungen aufgenommen werden sollen und auf welchem Weg sie zustande kommen sollen. Die „Puristen“ ziehen eine Konsensbildung vor, während andere sich dafür aussprechen, einige Beschlüsse per Mehrheitsentscheid zu treffen.
Kenneth Lipp, Occupy-Aktivist der ersten Stunde, wirft der Arbeitsgruppe vor, das System zu umgehen, das geschaffen worden sei, um jedem eine Stimme zu geben.
Die Gruppe hatte vorgeschlagen, dass in der Generalversammlung diskutierte Themen nicht erst dann als angenommen gelten, wenn Einstimmigkeit über sie erreicht ist, sondern wenn sie die Zustimmung einer Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten. „Was dort besprochen wird, läuft am Prozess der Konsensbildung vorbei, den wir geschaffen haben“, so Lipp. „Wir sind entschieden dagegen, dass Forderungen aufgestellt werden. Und wenn, dann müssen sie durch einen Konsens erreicht worden sein.“
"Ernste moralische Einwände"
Er ist nicht der einzige unter den Demonstranten, der mit dem Vorgehen der Demands Working Group nicht einverstanden ist. Auf der Webseite Pastebin wurde über den E-Mail-Verkehr von Mitgliedern der Forderungsgruppe eine anonyme Nachricht gepostet, in der der Vorwurf erhoben wird, „ernste moralische Einwände“ anderer Gruppenmitglieder würden ignoriert, um den eigenen Ansichten Geltung zu verschaffen.
Auch andere Themen werden heftig diskutiert. Etwa über den Vorschlag, durch den Verkauf von Anzeigen Gelder zu sammeln oder mit Spendengeldern ein Büro mit sechs in Vollzeit angestellten Aktivisten einzurichten. Die Gräben würden immer tiefer, sagt Lipp. „Nicht in der Generalversammlung, sondern rundherum. Ich nenne mich nicht gern einen Puristen, aber ich will nicht, dass Obama uns unterstützt.“ Shawn Redden hingegen ist Mitglied der Arbeitsgruppe und schreibt: „Zunächst müssen wir gegen diejenigen innerhalb der Bewegung kämpfen, die kein Geschichtsverständnis haben und Forderungen für eine schlechte Idee halten.“
Han Shan, einer der Mediensprecher von Occupy Wall Street meint dazu: „Ich verstehe, warum die Leute Forderungen wollen. Ich persönlich halte das aber für einen strategischen Fehler. Dass ich wahrscheinlich jeder ihrer Forderungen zustimme, steht dabei auf einem anderen Blatt. Wir sind jetzt seit einem Monat hier. Deshalb ist uns ein bisschen die Geduld abhanden gekommen. Wir müssen damit beginnen, eine Bewegung aufzubauen. Wir haben noch nicht begonnen, mit den Leuten zu arbeiten, die das Gefühl haben, dass wir ihrer Wut über die ökonomische Ungerechtigkeit Ausdruck verleihen. Aber wir sind noch keine Bewegung, die wirklich etwas verändern könnte. Wir müssen sie erst noch aufbauen.“
Jay Arena aus der Arbeitsgruppe für die Erarbeitung von Forderungen sieht die Auseinandersetzung gelassen:„Dies ist eine offene Bewegung. Ob alle der gleichen Meinung sind? Nein, aber darum geht es ja in einer Debatte.“ Er habe den Hurricane Katrina überlebt, erzählt er weiter: „Wir haben uns nach einem großen öffentlichen Arbeitsbeschaffungsprogramm wie in den 1930ern gesehnt. Die Gruppe hat zugestimmt. Wir haben demokratisch darüber abgestimmt. Dies ist die eine Forderung, auf die wir uns einigen konnten.“ Die Inspiration komme von den Aufständen im Nahen Osten: „Die hatten eine Forderung: Das Regime muss weg. Nicht jeder steht hinter ihnen, aber so ist das in einer Debatte.“
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