The Jackson 4

Jacko-Witze Schlechte Welt: Während alle Welt trauert, kursieren im Internet massenhaft Witze zum Tod von Michael Jackson. Wie reagieren professionelle Komiker auf diesen Umstand?

Es gab den, in dem der Boogie schuld war und den, der auf einer Kinderstation spielte. Es gab einen über die Weiterverarbeitung zu Spielzeugsoldaten und einen, darüber, dass der Himmel kein Plastik akzeptiere. Und unendlich viele weitere. Beinahe ist das Internet zusammengebrochen unter den Ansturm der Millionen, die versuchten herauszufinden, ob die Gerüchte vom Tod Michael Jacksons durch einen Herzinfarkt tatsächlich wahr seien. Die Flut an Jackson-Witzen, die kurz darauf folgten, hätte fast selbiges für die E-Mail-Eingänge von Menschen auf der ganzen Welt bedeutet.

Vom Tod einer berühmten Persönlichkeit inspirierte Witze sind nichts Neues, die Schnelle und Bissigkeit derer, die das Netz nach Jacksons Tod überfluteten, hingegen schon. In gewisser Hinsicht ist dies nicht weiter verwunderlich, war Jackson durch seinen Status als berühmtester Popstar der Welt in Kombination mit dem Wandel seiner äußerlichen Erscheinung und den Kindesmissbrauchsvorwürfen doch schon seit geraumer Zeit zu einer leichten Zielscheibe für Witze und Spott geworden.

Der amerikanische Komiker Chris Rock drückte es einmal so aus: „Jeder Komiker sollte Michael Jackson einen Scheck schicken. Wenn man seinem Agenten zehn Dollar gibt, sollten drei an Michael gehen.“ Der Großteil der Witze bedurfte nur geringfügiger Änderungen, um an den neuesten Stand der Ereignisse angepasst zu werden. Zudem ließen die aktualisierten Witzeleien sich durch relativ neue Dienste wie Twitter einfacher verbreiten denn je.

The Jackson 4

Erstaunlich war die enorme Reaktionsschnelle, mit der die Internetcommunity sogar professionellen Witzemachern die Pointen wegschnappte, dennoch. Der britische Komiker Marcus Brigstocke war mit einem Auto voller Berufskollegen zum Musikfestival Glastonbury unterwegs, als er die Neuigkeit erfuhr: „Als es im Radio kam, wurden alle im Auto still“, erinnert er sich. „Aber nicht aus Respekt, sondern weil das Rennen um den schnellsten und besten Witz sofort losging. Keiner von uns landete auf dem ersten Platz. Am nächsten Morgen sah ich in Glastonbury schon jemandem mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „The Jackson 4“ herumlaufen. Das war schnell!“

Üblicherweise heißt es, Witze über den Tod seien anstößig, wenn der zeitliche Abstand zu dessen Eintritt zu kurz sei. Brigstocke behauptet, das Gegenteil sei der Fall. Für professionelle Komiker sei es daher auch nicht wichtig, schnell einen Witz über den Tod eines Promis rauszuhauen, um der Konkurrenz voraus zu sein. Vielmehr gehe es darum, das Thema überhaupt auf komische Weise behandeln zu können. „In den ersten zwölf Stunden ist die Sache einfach,“ erklärt er. „Am Tag an dem der Unterhaltungskünstler Rod Hull starb, redete ich auf der Bühne drei Minuten über seinen Tod und die Leute lachten sich krumm. Ist aber erst einmal ein Tag vergangen, haben die Leute von seiner Familie gelesen und Zuneigung für die Person entwickelt, der sie zuvor neutral gegenübergestanden. Es steht einem also nur ein kleines Zeitfenster zur Verfügung, um die besten Witze zu bringen – dieses gibt es allerdings immer. Sogar nach dem 11. September gab es ein ganz kurzes Zeitfenster, bevor die Realität bei den Leuten angekommen war und in dem man damit durchkam, Witze darüber zu machen.“

Ist diese Frist allerdings verstrichen, bringen die Mainstream-Medien erst einmal Lobeshymnen und findet, wie im Falle Jackson auch eine Entlastung der eventuell zu Lebzeiten umstrittenen Person statt, kann es für Komiker negative Konsequenzen haben, diesen Zeitpunkt zu verpassen. Das bekam der schottische Komiker Frankie Boyle zu spüren. Die Zeitung The Daily Record, für die er wöchentlich eine Kolumne schreibt, weigerte sich in der vergangenen Woche seinen Beitrag zu veröffentlichen, weil dieser eine Reihe Witzeleien über Jackson enthielt. Boyle kündigte daraufhin bei der Zeitung. Auch aus Sacha Baron Cohens Film Brüno und der TNT-Show des Channel 4 wurden Witze über den Sänger gestrichen.

Wie viel andere Komiker auch begann Richard Herring nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Todes Jacksons auf Twitter darüber zu scherzen. Er verteidigt diese wenig respektvolle Reaktion mit dem Argument, hierdurch sei ein Gegengewicht zur „rührseligen“ Berichterstattung durch die Mainstream-Medien geschaffen worden. In seinen eigenen Twitter-Beiträgen ging es weniger um Jackson selbst, als um die „Freunde“ des Sängers, die rund um die Uhr bei den Nachrichtensendern Schlange standen, um sich dort zu äußern. Trotzdem ist Herring überzeugt, es sei nichts Falsches daran, Witze über die Person Michael Jackson zu machen: „Ich halte es für eine angemessene Reaktion, angesichts eines furchtbaren und tragischen Todes zu lachen und außerdem für viel weniger anstößig als die TV-Berichterstattung oder die Hysterie von Leuten, die Lobgesänge auf jemanden bringen, den sie nicht kannten und niemals getroffen haben,“ schreibt er auf seiner Internetseite.

Natürliche Reaktion

„Hätte Jackson ein vorbildliches Leben geführt, wäre es weniger ehrwürdig gewesen, so schnell darüber Witze zu machen, diesen Mann jedoch widerspruchslos heilig zu sprechen, wäre genauso falsch.“ So sieht es auch Brigstocke, der meint, Jackson habe durch seinen gigantischen Ruhm und seine angebliches Fehlverhalten jeden Anspruch auf posthume Zurückhaltung seitens der Komiker verloren: „Er war ein Mann, der schon lange die Sympathie der Welt verloren hatte. Es sind nicht die Witze, die ihn entmenschlichen – er war bereits dadurch entmenschlicht, dass er einer Welt des lächerlichen Megastartums lebte. Solche Prominente sind keine realen Menschen – es ist, als würde man Witze über einen verstorbenen Seriencharakter machen.“

Die meisten Komiker betrachten es als ihre Aufgabe, die Grenzen dessen zu erweitern, was von der Öffentlichkeit akzeptiert wird. Comedian Arthur Smith zufolge ist der Humor eine vollkommen natürliche Reaktion auf den Tod – er selbst hatte sogar Witze über den Tod seines eigenen Vaters im Programm. „Die Leute gehen in einen Comedy-Klub, um etwas zu hören zu bekommen, das im TV oder Radio nicht gesagt wird. Oder Dinge, die sie selber denken, aber nicht aussprechen wollen,“ hat er beobachtet. „Das ist das Ziel der Comedy. Die Leute wollen Michael Jackson-Witze hören, weil es den meisten gar nicht so viel ausmacht und das ganze Aufheben sie eigentlich eher amüsiert. Als Lady Di starb, war die Sache anders. Die Komiker brannten zwar auch damals darauf, Witze über sie zu machen, aber ich glaube nicht, dass das Publikum genauso reagiert hätte.“

„Das Schwierigkeit am Sujet Michael Jackson ist, etwas Interessantes zu sagen – dient es nur als Anlass, Pädophilenwitze vom Stapel zu lassen, ist das langweilig. Ein guter Witz muss auf gewisse Weise etwas offenbaren, das man schon gedacht hatte, aber eben noch nicht bewusst. Nicht viele der Jackson-Witze, die momentan im Umlauf sind, werden diesem Anspruch gerecht.“

Hierin scheint denn auch die Krux zu liegen. Immerhin hat Michael Jackson uns in den zurückliegenden 50 Jahren auf unvergleichliche Weise unterhalten, sei es durch seine Musik der Superlative, seine faszinierende äußerliche Metamorphose oder das absurde Grauen seiner letzten Lebensjahre. Ein auch nur halbwegs guter Witz scheint da das Mindeste zu sein, das wir zurückgeben können.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Matt Bolton, The Guardian | The Guardian

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