Tod auf dem Schulweg

Missing Link Kurz vor der UN-Konferenz zu den Millenniumszielen bei der Bekämpfung von Hunger und Armut macht ein Bericht der FIA Foundation auf ein ignoriertes Problem aufmerksam

In den armen Ländern kommen täglich mehr Schulkinder bei Verkehrsunfällen im Straßenverkehr ums Leben als durch Aids/HIV, Tuberkulose und Malaria: 3.500 sind es weltweit – 3.000 davon in Armutsregionen. Diese Zahl wird nach dem Bericht der FIA Foundation bis 2020 auf über 5.700 steigen, falls die Regierungen nicht handeln. Aktivisten fordern daher einen von der UNO unterstützten Plan, um den in die Höhe schießenden Zahlen an Verkehrstoten spätestens bis 2015 Einhalt zu gebieten.

Ad absurdum geführt

Kevin Watkins, Verfasser des FIA-Berichts an der Oxford University, möchte die Zahlen vor dem UN-Gipfel in New York kommende Woche als weltweiten Weckruf verstanden wissen. Der Gipfel wird sich mit der Überprüfung von Fortschritten befassen, die in Hinblick auf acht Millenniums-Ziele beim Kampf gegen Kindersterblichkeit und Hunger gemacht wurden.

Nach Watkins sterben im Alter zwischen 5 und 14 mehr Kinder bei Verkehrsunfällen als durch Tropenkrankheiten und HI-Infektionen. Anders als diese Krankheiten tauchen Verkehrsunfälle freilich auf keiner internationalen Agenda auf. Dadurch, dass den Straßentoten keine Aufmerksamkeit geschenkt werde, würden andere löbliche UN-Ziele wie die allgemeine Grundschulausbildung ad absurdum geführt, so Watkins „Es ist nicht allzu schwierig zu verstehen, dass Grundschulkinder keine sechsspurigen Highways überqueren sollten, um zur Schule zu gelangen. Einerseits eine Reduzierung der Sterblichkeitsrate bei Kindern bis zu fünf Jahren anzuvisieren, andererseits das Problem der Straßentoten zu ignorieren, ist nicht nur irrational, sondern auch ethisch nicht zu rechtfertigen.“

Der FIA-Report mit dem Titel The Missing Link (Das fehlende Glied) lässt auch die immer stärker auseinander driftenden Trends zwischen armen und reichen Ländern erkennen. Während letztere die Zahlen an Verkehrstoten senken konnten, steigen sie in den armen Staaten unaufhörlich. Zum Teil hängt dies mit einem weiter steigenden Verkehrsaufkommen zusammen. Zum anderen auch damit, dass in armen Regionen die Verkehrsteilnehmer oft nicht einschätzen können, welche Art von Fahrzeug in einem oft archaischen Verkehr auf sie zukommt. Indiens Hauptstadt Delhi zählt 48 verschiedene Transportmittel: Elefanten und Kamele ebenso wie Rikschas, Autos, Busse und Sportfahrzeuge. Ohne eine Trennung der Verkehrsströme oder den Bau von erhöhten Bordsteinen wird das Blutbad auf den Straßen dem Bericht zufolge kein Ende finden.

100 mal so groß

In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara werden sich den Prognosen zufolge die Todeszahlen bis 2020 verdoppeln, während sie im gleichen Zeitraum in Europa um 36 Prozent fallen. In Äthiopien kommen auf 10.000 Autos 100 Verkehrstote – in Japan 10.000 Fahrzeuge gerade einer. Das Risiko, im Straßenverkehr umzukommen, ist in Addis Abeba also hundert mal größer als in Tokio.

Die Mitverantwortung des Westens besteht darin, dass die Weltbank und ähnliche Institutionen Geld für den Straßenbau an arme Ländern verteilen, um den Transport von Waren zu den Häfen zu gewährleisten, aber nicht dafür gesorgt wird, dass dieser Straßenbau von entsprechenden Gesetzen zur Reduzierung von Unfällen flankiert wird. In Afrika besteht eines der größten Projekte der Weltbank in dem 640 Millionen Dollar teuren nördlichen Korridor, der Mombasa über Kenia, Ruanda und Uganda mit dem Ölreichtum des Sudan und den Mineralien des Kongo verbindet. Das Geld wurde bereitgestellt, ohne Ziele zur Reduzierung der Unfalltoten im Straßenverkehr zu formulieren.

Für Watkins handelt es sich bei den Verkehrstoten nicht um Unfälle, sondern um eine Folge der kriminellen Vernachlässigung der Verkehrssicherheit. Regierungen und Geldgeber sollten seiner Meinung nach aufhören, den Erfolg ihrer Politik in Straßenkilometern zu messen, und stattdessen an die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer denken.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Randeep Ramesh | The Guardian

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