Tragödie der Irrungen

Großbritannien Theresa May hat mit ihrem Rückzug einen Ausweg gesucht, der längst keiner mehr ist. Der Brexit rückt damit weder näher noch in weite Ferne
Am 24. Mai erklärte Theresa May ihren Rücktritt
Am 24. Mai erklärte Theresa May ihren Rücktritt

Foto: Peter Summers/Getty Images

Für Theresa May geht eine turbulente und glücklose Amtszeit als Premierministerin zu Ende. Mit einer emotionalen Rede vor ihrem Regierungssitz Downing Street nannte sie es die „Ehre meines Lebens“, als zweite Frau in der Geschichte Großbritanniens dem Land als Premierministerin gedient zu haben. Ihr Stimme drohte kurz zu versagen, als sie erklärte, sie gehe „ohne Groll, sondern mit enormer und anhaltender Dankbarkeit“. Zuvor wollte sie nicht darauf verzichten, detailliert aufzulisten, was sie als Errungenschaften ihrer Regierungszeit betrachtet, darunter die Reduzierung des Haushaltsdefizits, eine sinkende Arbeitslosigkeit und mehr Geld für die psychische Gesundheitsversorgung. Gleichzeitig gab sie zu: „Es ist und wird immer eine Frage des großen Bedauerns für mich bleiben, dass ich es nicht geschafft habe, den Brexit umzusetzen.“

May, die auf Tory-Parteitagen auch tänzerische Einlagen bieten konnte, sah sich nach einem Treffen mit Graham Brady, dem Vorsitzenden des konservativen 1922-Komitees, zum Handeln getrieben. Der hatte ihr zu verstehen gegeben, ein zweites Misstrauensvotum anstoßen zu wollen, sollte sie sich beharrliche weigern, der unvermeidlichen Demission näherzutreten.

Mays Schicksal war dadurch besiegelt, wozu viel beigetragen hatte, dass ihr ein „neuer Brexit-Deal“ mit zehn Punkten vorschwebte, den sie zu Beginn der Woche angekündigt hatte, und der den Ärger vieler Tory-Hinterbänkler und vielen Mitgliedern ihres eigenen Kabinett erregt hatte – während er bei der Labour-Fraktion komplett durchfiel, die sie ja besonders hatte überzeugen sollen.

Noch ein paar Tage

Andrea Leadsom, der Vorsitzende des Unterhauses, war am Mittwoch lieber zurückgetreten, als das Brexit-Gesetz dem Parlament erneut vorzulegen. Eine Reihe von Mays Ministern hatten ebenfalls Bedenken, darunter Innenminister Sajid Javid, Kulturminister Jeremy Hunt, Verkehrsminister Chris Grayling und Schottland-Minister David Mundell. Vor allem lehnten sie Mays Angebot einer Parlamentsabstimmung über ein zweites Referendum ab, sollte die Brexit-Bill vom Parlament verabschiedet werden.

Die Premierministerin bleibt nun noch ein paar Tage (bis zum 7. Juni) im Amt, um die Verantwortung für das voraussichtlich katastrophale Ergebnis für ihre Partei bei der Europawahl zu übernehmen. Auch wird sie noch Gastgeberin für den Staatsbesuch von US-Präsident Donald Trump Anfang Juni sein, ohne dass sie noch über ein Mandat für Verhandlungen worüber auch immer verfügt.

Das 1922-Komitee setzt die Bedingungen für den Wettbewerb um den Parteivorsitz fest, der am 7. Juni beginnt und voraussichtlich sechs Wochen dauert. Favorit für den Posten des kommenden Premiers ist Ex-Außenminister und Hallodri Boris Johnson, aber auch weitere Tory-Politiker könnten interessiert sein. Im Kabinett hat bereits Entwicklungsminister Rory Stewart angekündigt, er wolle sich bewerben. Zudem sind Außenminister Jeremy Hunt, Umweltminister Michael Gove, Verteidigungsministerin Penny Mordaunt und Innenminister Sajid Javid potenzielle Rivalen für Johnson.

Mays Rückzug schließt drei Jahre des Kampfes mit Brexit-Befürwortern aus den hinteren Bankreihen der Konservativen ab, die sich die künftigen Beziehung zur EU nicht diktieren lassen wollten. Dafür eine Lösung zu finden, wurde deutlich schwieriger, als May bei der Parlamentswahl am 8. Juni 2017 ihre Mehrheit verlor. Mit dem Versprechen, ihr gehe es um „eine starke und stabile Führung im nationalen Interesse“, hatte sie einen weithin als katastrophal empfundenen Wahlkampf geführt.

Ungeduld und Unmut

Keine Frage, nichts als der Brexit beherrscht das Rennen um die May-Nachfolge. Angesichts der Deadline für den britischen EU-Austritt am 31. Oktober bleibt einem neuen Team allerdings nur wenig Zeit, eine neue Richtung einzuschlagen. Mays langjähriger Kollege, der frühere Erste Minister Damian Green, meinte am Tag der Rücktrittsankündigung Mays Performance verteidigen zu müssen: „Alle Premierminister übernehmen am Ende die Verantwortung dafür, was unter ihrer Leitung passiert. Aber ich glaube, es ist nicht zu leugnen, dass sie dadurch, dass sie plötzlich und unerwartet nach dem Erdbeben des Brexit-Referendums vom Juni 2016 Premierministerin wurde, extrem schlechte Karten auf der Hand hatte. Und die Wahrheit ist, dass der Verlust der konservativen Mehrheit durch die Wahl im darauffolgenden Jahr, (die Aufgabe) unmöglich machte.“ Green erklärte gegenüber BBC-Radio 4: „Die Tatsache, dass das Parlament nicht in der Lage war, einen Brexit-Deal zu verabschieden, hat zu Ungeduld und viel Unmut gegenüber der politische Klasse geführt, die längst an Verachtung grenzt. Wir erleben ein Ausmaß an Feindlichkeit und Übertretungen des Fairplay wie schon sehr, sehr lange nicht.“

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Heather Stewart | The Guardian

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