Anfang dieses Monats stattete US-Vizepräsident Joe Biden dem Irak einen unangekündigten Besuch ab, um seine Position als Barack Obamas Weichensteller in Mesopotamien zu konsolidieren. Planmäßig war vor dem Besuch der Abzug von US-Truppen aus städtischen Gebieten des Irak verlaufen. Bidens Vorhaben, im sich verschlechternden Verhältnis zwischen Bagdad und der kurdischen Provinz Arbil eine Vermittlerrolle einzunehmen, wurde hingegen von einer Reihe von Sandstürmen im Norden des Landes vereitelt.
Der Vorfall war symptomatisch für ein vergessenes Problem, welches die fragilen Erfolge der vergangenen zwei Jahre gefährden könnte. Die Geschichte des Iraks nach der Invasion wird vornehmlich über Opferzahlen, Wahlen von zukunftsträchtiger Bedeutung, Folterskandale und Truppenstärken erzählt. Vergessen wird dabei, dass die Zerstörung und der schmerzlich langsame Wiederaufbau des irakischen Staates in einer Umwelt stattfinden, um die es immer schlechter steht.
Landwirtschaftssektor am Boden
Mehr als zwei Jahre Dürre haben den ohnehin bereits marginalisierten und unterfinanzierten Landwirtschaftssektor gebeutelt. Im größtenteils aus Wüste bestehenden Irak beträgt die durchschnittliche Niederschlagsmenge gerade einmal 10 bis knapp 17 Zentimeter pro Jahr. Nur 13 Prozent des Landes sind landwirtschaftlich nutzbar. Traditionell stellt der Landwirtschaftssektor nach dem Ölsektor die meisten Arbeitsplätze. In Folge der jahrelangen Sanktionen und dem anschließenden Krieg im Jahr 2003 war der Zentralstaat jedoch nicht mehr fähig, gegen den Staudammbau durch Syrien und die Türkei stromaufwärts der Flüsse Euphrat und Tigris anzugehen.
Trotz Opposition der Weltbank führt die Türkei im Rahmen des Südostanatolien-Projekts, welches den Bau von 22 Staudämmen und 19 Wasserkraftwerken vorsieht, den groß angelegten Staudammbau fort. Aufgrund der hierdurch verursachten Reduzierung der Wassermengen in irakischen Flüssen verabschiedete das Parlament in Bagdad im Mai eine Resolution, in der die Regierung angehalten wurde, von den Nachbarstaaten einen größeren Anteil an den Wasserressourcen zu verlangen. Allerdings ist der irakische Staat angesichts ernster interner Probleme (allein im Juni starben über 400 Zivilisten) nicht wirklich in der Lage, wirksam Druck auf seine Nachbarn ausüben zu können.
Gestaute Flüsse, geringer Niederschlag
Für den Anbau von landwirtschaftlichen Produkten zur Ernährung der eigenen Bevölkerung hat die Stauung irakischer Flüsse stromaufwärts, in Zusammenspiel mit allgemein sinkenden Regenmengen verheerende Folgen. Das Welternährungsprogramm der UNO schätzt, derzeit sei die Ernährungssituation von 930.000 Menschen im Irak unsicher. Sollte das für die Verteilung von Nahrungsmittelrationen zuständige Public Distribution System (PDS) einmal versagen, wäre die Lebensmittelversorgung weiterer 6,4 Millionen Iraker bedroht. Die Wiederansiedlung von Binnenflüchtlingen und die mögliche Rückkehr von Millionen Irakern aus Jordanien und Syrien haben das Potential, das zerbrechliche System weiter zu belasten.
Adam L. Silverman, im vergangenen Jahr als sozialwissenschaftlicher Berater für das Human Terrain Team (HTT) des US-Militärs tätig, weist darauf hin, welche negativen Auswirkungen der Salzgehalt im Wasser auf die Ernteerträge hat, der in Folge geringen Abflusses steigt. Zudem, so Silverman führte die „anhaltende Bodenerosion zu weiterer Desertifikation, ansteigender Hitze und Staubstürmen, welche wiederum einen messbaren negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Iraker“ hätten. Reuters berichtete, durch die Sandstürme, die zur Verzögerung der Reise Bidens geführt haben, seien mehrere Menschen ums Leben gekommen. „Hunderte Iraker“ hätten „medizinische Hilfe aufsuchen müssen, nachdem einer der schlimmsten Sandstürme seit Menschengedenken sich über eine Woche hinzog.“ Besonders häufige Beschwerden waren Atemwegs- und Augenprobleme. Vor allem Asthmapatienten seien betroffen gewesen.
Flucht in die Städte
Verwüstung und zunehmend stärkere Sandstürme zwingen die Bevölkerung zur Flucht in die Städte. Die Konsequenzen dieser Urbanisierung strapazieren die ohnehin schon begrenzten Kapazitäten der Bagdader Regierung weiter. Das Rote Kreuz hat diesen Monat eine auffällige Zunahme von Bettlern in Bagdad festgestellt.
Die jüngsten Konferenzen zur Vergabe von Öl-Konzessionen deuten darüber hinaus auf die Beschleunigung eines weiteren Prozesses mit weit reichenden Auswirkungen auf die Umwelt des Irak. Die heruntergekommene Infrastruktur in Sachen Ölförderung und das Abfackeln von Gas verursachen bereits immense Umweltprobleme. Schätzungen zufolge werden im Irak täglich 17.000.000 Kubikmeter Gas abgefackelt, was das Land zum weltweit viertgrößten Übeltäter macht. Der Irak beherbergt außerdem schätzungsweise neun Prozent der weltweiten Rohölvorräte – eine Tatsache, die viele der weltweit größten Ölfirmen veranlasste, an der in diesem Monat in Bagdad stattfindenden Konferenz zur Versteigerung von Ölförderlizenzen teilzunehmen. Der Fokus wird jedoch darauf liegen, welches Ausmaß die Nationalisierung haben soll. Umweltschutzmaßnahmen werden gegen die Erhöhung der Fördermengen wohl hinten anstehen.
Das Austrocknen der Flüsse, die Ausbreitung der Wüsten und das Wachstum der Städte geraten angesichts der Gewalt im Irak in Vergessenheit. Dabei könnten diese Themen für die Zukunft des Lands von entscheidender Bedeutung sein.
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