Trüber und trüber

Emissionsschock Neue Zahlen zeigen, dass wir uns immer rasanter auf einen gefährlichen Klimawandel zubewegen, während den Politikern längst die Ideen ausgegangen sind

Manchmal sagt ein Zitat wirklich alles. Als Chefökonom der Internationalen Energiebehörde neigt Fatih Birol nicht zu Übertreibungen. Man sollte seine Aussage, die jüngsten Treibhausgas-Emissionen seien „die schlimmsten Nachrichten zum Klimawandel“ daher ernst nehmen. Nicht nur zeichnen die Emissions-Statistiken ein düsteres Bild, wenn sie für 2010 mit 30,6 Gigatonnen Kohlendioxid neue Rekorde beim Anstieg wie bei der Gesamtmenge des Kohlendioxid-Austoßes ausweisen.

Diese Messungen kommen auch zu einem Zeitpunkt, an dem die alten Gewissheiten der politischen Mitte, wie mit dem Klimawandel umzugehen sei, offenkundig überholt sind, ohne dass schon ein Ersatz gefunden wäre. Die vergangenen Jahre lebte diese Mitte mit einer diplomatischen, einer wirtschaftlichen und einer industriellen Grundannahme. Erstere bestand darin, die Vereinten Nationen böten den besten Rahmen für die Verhandlungen darüber, wie stark die CO2-Emissionen gesenkt werden sollen. Dies sei das gerechteste Forum, das ärmeren und kleineren Ländern eine Plattform neben den großen Staaten biete. Und die UNO kann ja durchaus effektiv sein – das Montreal-Protokoll von 1989 zur schrittweisen Abschaffung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) und anderen Substanzen, die der Ozonschicht Schäden zufügen, wurde vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan einmal als das „vielleicht erfolgreichste internationale Abkommen“ bezeichnet. Und selbst der Vertrag von Kyoto konnte als Erfolg gewertet werden, wenn man sich nur genug Mühe gab. Aber dann scheiterte der Klimagipfel von Kopenhagen 2009 spektakulär. Auch im Hinblick auf die nächste Verhandlungsrunde Ende 2011 in Durban warnen Amerikaner und Briten bereits vor zu großen Erwartungen.

Raum zum Atmen

Und in wirtschaftlicher Hinsicht, da argumentierten die Optimisten vor nicht allzu langer Zeit, die Rezession von 2008/09 werde Regierungen und Industrie den notwendigen Raum zum Atmen geben. Eine schrumpfende Weltökonomie produziere weniger Kohlendioxid. Unterdessen könnten der öffentliche und private Sektor zusammen einen Green New Deal aushandeln, der die Wende hin zu einem Wachstum auf der Grundlage eines geringen CO2- Ausstoßes einleitet. Die neuen Zahlen strafen all dies Lügen: Der Zusammenhang zwischen dem Wachstum des BIP und der Emission von Treibhausgasen ist nach wie vor überwältigend, auch wenn es zutrifft, dass die Verteilung seit dem Kyoto-Protokoll sich Richtung Osten verlagert hat, weil der Westen seine Industriegüter zunehmend importiert.

In industrieller Hinsicht schließlich hatte man alle Hoffnung darauf gesetzt, die reichen Länder würden sich von fossilen Brennstoffen unabhängig machen und auf eine Mischung aus Atom- und Erneuerbaren Energien setzen. Jetzt hat die Katastrophe von Fukushima Deutschland, Italien und die Schweiz aber dazu veranlasst, ihre Atomprojekte einzumotten.

Die neuen Zahlen über steigende Emissionen zeigen, dass die Welt immer noch auf einen gefährlichen Klimawandel zu rast und den Politikern nichts mehr dazu einfällt, wie sie diese Entwicklung verlangsamen könnten. „Eine nette Utopie“, nennt Fatih Briol die Hoffnung darauf, den weltweiten Temperaturanstieg unter zwei Grad Celsius halten zu können. Und wenn er das so sieht, sollte uns das alle beunruhigen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Übersetzung Holger Hutt
Geschrieben von

Editorial | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden