Wenn sich über den Ebenen Nordsyriens ein Kampfjet nähert, dann erkennen die Menschen am Boden in der Regel am Dröhnen, zu wem der Jet gehört und ob sie sich vor ihm verstecken müssen.
In den vergangenen Tagen aber war das schwieriger denn je. Denn die Luftstreitkräfte dreier Länder haben Syrien überflogen und mit den heftigsten Luftangriffen der vergangenen drei Jahre Ziele von der Mittelmeerküste bis zu den Wüsten im Osten bombardiert. Die Luftschläge der Türkei, Israels und Russlands bekräftigen, dass der seit zehn Jahren andauernde Syrien-Krieg nach wie vor brodelt, ja an mindestens drei Fronten zu eskalieren droht. Die allgemeine Aufmerksamkeit richtet sich derzeit auf den Konflikt in der Ukraine, der nie abgeschlossene K
hlossene Krieg in Syrien aber wirft einen immer größeren Schatten auf die ganze aufgewühlte Region.Das Sperrfeuer begann am frühen Samstag, als israelische Luftangriffe mehrere Orte entlang der syrischen Küste und im Landesinneren trafen. Laute Explosionen waren in Latakia sowie in den Städten Hama und Homs zu hören, wo die Regimekräfte mit russischer und iranischer Unterstützung nach einem zermürbenden elfjährigen Krieg wieder Hochburgen errichtet haben. Syrischen Regierungsangaben zufolge sind mindestens vier Soldaten getötet worden. Die Attacke steht in einer Reihe von israelischen Angriffe auf Ziele, die mit dem Iran in Verbindung stehen und von denen man annimmt, dass sich dort Komponenten für moderne Waffen treffen lassen, die für die Hisbollah im Libanon bestimmt waren. Israel sieht die Hisbollah als Speerspitze der militärischen Interessen des Iran in der Region und als existenzielle Bedrohung für die Existenz des Landes.Die Kampfjets kontrollieren den syrischen HimmelAm Sonntag folgten türkische Luftangriffe auf kurdische Stellungen im Nordosten Syriens. Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ Warnungen vor einem weiteren Vorstoß in kurdische Zentren folgen; seine Regierung hat die Gegenden als neue Heimat für bis zu einer Million arabischer Flüchtlinge vorgesehen, denen nach Befürchtungen von Nichtregierungsorganisationen die Vertreibung droht. Stunden nach seinen Äußerungen feuerten militante Kurden Raketen über die Grenze, wobei in einer türkischen Grenzstadt mindestens zwei Menschen getötet und zehn weitere verletzt wurden.Die wenigen in Syrien verbliebenen russischen Kampfjets flogen im Laufe des Sonntags und am frühen Montagmorgen Luftangriffe auf ländliche Gebiete in Idlib nahe der türkischen Grenze und auf zivile Einrichtungen in der Nähe zweier Flüchtlingslager. Es wird vermutet, dass das syrische Militär unterstützend tätig war. Russische Kampfflugzeuge haben wiederholt Gemeinden und militante Gruppen in Gebieten außerhalb der Kontrolle von Damaskus angegriffen und behauptet, diese würden Hardliner unterstützen. Die Angriffe haben jedoch meist zivile Ziele getroffen.„Wir erkennen die russischen und syrischen Flugzeuge an den Geräuschen, die sie machen“, sagt Mustafa Shabanda, ein syrischer Binnenvertriebener in der Provinz Idlib. „Sie sind alt und man kann sie schon von weitem hören. Die türkischen sind anders. Sie tauchen aus dem Nichts auf und sind genauso schnell wieder weg. Aber sie beunruhigen uns nicht. Sie sind hinter den Kurden her. Die Israelis habe ich nur in der Nähe von Hama gehört, als sie letztes Jahr die Armee von Baschar [al-Assad] angegriffen haben. Sie alle kontrollieren unseren Himmel. Es ist, als würden Falken Kaninchen abknallen.“Die Türkei verdrängt Kurden von der GrenzeIm Nordosten Syriens hat die Türkei zahlreiche Luftangriffe geflogen. Ankara sieht die Angriffe als Rache für einen Bombenanschlag in Istanbul, bei dem zuletzt sechs Menschen getötet worden waren und für den die türkische Regierung die militante Kurdische Arbeiterpartei (PKK) verantwortlich macht. Die Luftangriffe werden innerhalb der syrischen Provinz als Vorläufer einer Bodeninvasion gesehen, die darauf angelegt sein könnte, das türkisch kontrollierte Jrabalus an der Grenze mit der Stadt Tel Abiad zu verbinden.Die Angriffe der vergangenen drei Jahre haben die türkische Stellung in dem Gebiet bereits gefestigt und teilweise das Ziel Ankaras erfüllt, die Kurden von der Grenze zu verdrängen. Türkische Beamte sehen die PKK-Präsenz in Nordostsyrien seit langem als Brutstätte für einen Aufstand, den sie seit vier Jahrzehnten im Südosten der Türkei bekämpfen – einen Aufstand kurdischer Rebellen, die einen unabhängigen Staat gründen wollen.Plant die Türkei also eine Bodenoperation? Einige Syrer sind aus der Türkei jedenfalls in die Grenzgebiete zurückgeschickt worden. Viele andere berichten von einem wachsenden Klima der Angst innerhalb der Türkei, da die anti-syrische Rhetorik zunehme. „Wir wischen jetzt alles auf“, sagte ein regionaler türkischer Beamter im Süden des Landes. „Es ist Zeit, dass dieser Krieg endet.“Anti-syrische Rhetorik in der Türkei nimmt zuWas für viele, die die Anfänge des Anti-Assad-Aufstands im Jahr 2011 miterlebt haben, das Ende bedeutet, wird jedoch von den Hauptakteuren des Konflikts als eine neue Ära angesehen: Die Türkei, die die Oppositionsgruppen aktiv unterstützt hat, Russland, das Assad aus einer aussichtslosen Position heraus zu einem Pyrrhussieg verholfen hat, und Israel, das seither mit dem Iran in Syrien „Schnick-Schnack-Schnuck“ gespielt hat.„Der Krieg in Syrien droht zu einem vergessenen Konflikt zu werden“, sagt Lina Khatib, Leiterin des Programms für den Nahen Osten und Nordafrika bei der Denkfabrik Chatham House. „Die anhaltenden Luftangriffe der Türkei, Russlands und Israels zeigen jedoch, dass die regionalen Interessen weiterhin auf dem Spiel stehen, wobei jedes der drei Länder seine Gegner ins Visier nimmt, um sie daran zu hindern, ihren Einfluss in Syrien zu festigen. Dies erinnert daran, dass der Syrienkonflikt weder ein isolierter Konflikt noch ein Bürgerkrieg ist, an dem ausschließlich Syrer beteiligt sind. Regionale und internationale Interessen haben schon immer eine Rolle gespielt, und die wiederkehrenden türkischen, russischen und israelischen Bombardierungen zielen darauf ab, diese Interessen zu schützen.“Im Nordosten Syriens, der als Rojava bekannt ist, erklärte Merva Syamend, der Sprecher der hauptsächlich kurdischen YPG-Miliz: „Die Türken haben viele Orte in Nordostsyrien mit Drohnen und Flugzeugen bombardiert. Ihre Ausrede ist der Bombenanschlag in Istanbul. Sie beschuldigen die YPG für diesen Angriff, aber das ist nicht unsere Art, uns zu verhalten. Wir glauben, dass der Angriff vom türkischen Geheimdienst inszeniert wurde, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: erstens als Vorwand, um uns anzugreifen und zweitens, um den Prozess der Rückführung von Syrern in die von den Türken besetzten Gebiete in Syrien zu beschleunigen.“