TV-Soap mit Folterszenen

Ägypten Durch Wikileaks veröffentlichte Depeschen aus der US-Botschaft in Kairo vermitteln das Bild eines einst allmächtigen, jetzt völlig aus dem Ruder laufenden Polizeistaates

Brutale Polizeigewalt ist in Ägypten „Routine und allgegenwärtig“, der Gebrauch von Folter so weit verbreitet, dass die Regierung das schon gar nicht mehr leugnet. Dies jedenfalls ist geleakten Telegrammen zu entnehmen, die am 28. Januar von Wikileaks veröffentlicht wurden. Die Kabel aus der US-Botschaft zeichnen das trostlose Porträt völlig außer Kontrolle geratener Polizei- und Sicherheitskräfte. Sie legen nahe, dass Folter routinemäßig gegen einfache Verbrecher, islamistische Gefangene, oppositionelle Aktivisten und Blogger eingesetzt wird. „Die Polizei wendet brutale Methoden meistens gegen gewöhnliche Kriminelle an, um Geständnisse aus ihnen herauszubekommen, aber auch gegen Demonstranten, politische Gefangene und bedauernswerte unbeteiligte Beobachter. Ein Menschenrechtsanwalt berichtet, Hinweise auf den Gebrauch von Folter in Ägypten ließen sich bis zur Zeit der Pharaonen zurückverfolgen. Nichtregierungsorganisationen schätzen, es habe bisher allein in den Polizeistationen Kairos jeden Tag Hunderte Fälle von Folter gegeben“, heißt es in einer Depesche. Der alltägliche Gebrauch von Gewalt durch die Polizei habe die ägyptische Gesellschaft derart durchdrungen, dass in einer populären TV-Soap kürzlich ein Kriminalpolizist zu sehen war, der Verdächtige zusammenschlug, um an Beweise zu kommen.

Ohne Umschweife

Angehörige der ägyptischen Mittelklasse würden zuweilen Diebstähle in ihren Wohnhäusern nicht melden, weil sie wüssten, dass die Polizei ohne Umschweife „alle Portiers“ foltern würde, heißt es weiter. Eine Quelle wird mit den Worten zitiert, die Polizei setze regelmäßig Elektroschocks gegen Verdächtige ein und schlage Menschenrechtsanwälte zusammen, die in die Dienststellen kämen, um ihre Klienten zu verteidigen. Weibliche Gefangene hätten sexuelle Misshandlungen zu fürchten. Demoralisierte Polizisten seien der Auffassung, die Aufklärung von Verbrechen rechtfertige brutale Verhörmethoden, einige glaubten zudem, das islamische Recht billige die Folter.

Einer anderen Depesche vom März 2009 zufolge spielten Ägyptens Blogger eine „zunehmend wichtige Rolle“ innerhalb der Gesellschaft und waren dabei, „das Spektrum des akzeptablen politischen und sozialen Diskurses zu erweitern“. In den zurückliegenden fünf Jahren habe sich ein erheblicher Wandel vollzogen. Blogger könnten nun sensible Themen wie sexuelle Belästigung, sektiererische Spannungen, das Militär und sogar Abtreibung behandeln. Zugleich hätten ein rigoroses Vorgehen seitens der ägyptischen Regierung und andere repressive Maßnahmen dazu geführt, dass die Blogger keine „geschlossene Aktivistenbewegung“ mehr bildeten. 2009 waren im Land Schätzungen zufolge 160.000 Blogger in arabischer und zuweilen englischer Sprache aktiv – die meisten davon zwischen 20 und 35 Jahre alt. Heute scheinen die Blogger die Vorhut der Demonstrationen gegen Mubarak zu sein, was die Regierung dazu veranlasste, die Internetzugänge im Land zu kappen.

Die veröffentlichten Wikileaks-Kabel lassen auch die Beziehungen der USA zu ihren engsten arabischen Verbündeten in einem erstaunlichen Licht erscheinen. Sie zeigen, wie besorgt die US-Diplomaten angesichts der verheerenden Menschenrechtssituation sind. Und wie sie sich um eine Agenda der demokratischen Reformen und eines größeren Pluralismus bemühen. Es scheint in dieser Hinsicht allerdings wenig Fortschritte gegeben zu haben.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Luke Harding | The Guardian

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