Der Leak eines Telefonats zwischen der US-Diplomatin Victoria Nuland und US-Botschafter Geoffrey Pyatt in Kiew hat jüngst für Aufsehen gesorgt. Dies schien zunächst Nulands derber Rhetorik („Fuck the EU“)geschuldet. Bedeutsamer als die verbale Entgleisung erschien im Nachhinein aber der Kontext, in dem dieser Satz fiel, insbesondere der Hinweis auf intensive US-Kontakte mit ukrainischen Oppositionsparteien. Falls sie die Regierung übernähmen, sollte ihr Handeln amerikanischen Interessen dienen, unter anderem der Kontrolle von Ost-West-Energietrassen mit geostrategischem Wert.
In offiziellen Erklärungen betont das Weiße Haus stets, man wolle die Zukunft der Ukraine dem ukrainischen Volk überlassen. Das Nuland-Pyatt-Telefonat lässt freilich auf einen höchst aktiven Part der Amerikaner vor und nach dem Abgang des einstigen Präsidenten Wiktor Janukowytsch schließen. „Die USA hatten sehr genaue Vorstellungen davon, wie die Maidan-Revolte ausgehen sollte“, so Jonathan Marcus, BBC-Korrespondent in Kiew. „Washington hatte einen eigenen Schlachtplan und versuchte, die ukrainische Opposition aufzustellen. Außerdem sollten die Vereinten Nationen dazu bewegt werden, eine aktive Rolle beim Zustandekommen eines Deals zu spielen.“
Nulands Offenbarung
Die USA bemühten sich seit einiger Zeit, das Blatt in der Ukraine so zu wenden, dass der russische Einfluss eingedämmt wird. 2004 stellte die Bush-Regierung 65 Millionen Dollar für „Demokratie-Training“ der Opposition und mit ihr verbundener Aktivisten bereit. Bezahlt wurden Treffen zwischen dem damaligen Janukowytsch-Gegner Wiktor Juschtschenko und US-Offiziellen, dazu Nachwahlbefragungen, die nach der umstrittenen Präsidentenwahl Ende 2004 dabei behilflich waren, eine Neuauflage zu erzwingen. Unter Barack Obama expandierte dieses Programm. In einer Ansprache vor dem National Press Club in Washington D.C. bestätigte Nuland Ende Dezember 2013, die USA hätten insgesamt „über fünf Milliarden Dollar“ investiert, um eine „sichere, prosperierende und demokratische Ukraine“ zu haben. Die Geschäftswelt der Ukraine, die Opposition, die Zivilgesellschaft und religiöse Kreise arbeiteten hart daran, „ihrem Land und ihrem Präsidenten die richtige Richtung zu weisen“.
Welche? Vor gut zehn Jahren ließ Professor R. Craig Nation, Leiter für Russland- und Eurasien-Studien beim US-Army War College, in einer NATO-Publikation anklingen: „In der sich abzeichnenden Auseinandersetzung um die Dominanz über Energiekorridore, die Öl und Gas aus dem Kaspischen Becken zu europäischen Märkten bringen, wird die Lage der Ukraine als äußerst bedeutsam wahrgenommen. Wegen des Pipelinebaus kommt es bereits zu erheblichen Rivalitäten. Ob die Ukraine – wie vom Westen bevorzugt – alternative Routen bereitstellt, um Zugangsmöglichkeiten zu diversifizieren, oder ob sie gezwungen ist, die Rolle eines russischen Ablegers zu spielen, bleibt abzuwarten.“ In einem jüngst mit Hilfe des State Department erstellten Bericht heißt es, die „strategische Lage der Ukraine zwischen dem Energieproduzenten Russland und dem Gebiet um das Kaspische Meer, das ausgedehnte Transitnetz und verfügbare unterirdische Gasspeicher“ machten das Land zu einem „potenziell ausschlaggebenden Akteur im europäischen Energietransfer“.
Ihre Bedeutung werde bei steigender Nachfrage nach russischem und kaspischem Öl und Gas noch zunehmen. Negativ auf die US-Strategie in der Region wirke sich die „überwältigende Abhängigkeit der Ukraine von russischen Energieimporten“ aus. Dies gelte für Pläne, „von Ost nach West mehrere Pipelines und damit ein diversifiziertes System in der Region zu haben, das eine Alternative zu fortdauernder russischer Hegemonie darstellt“.
Einen Monat vor Nulands Auftritt im National Press Club unterzeichnete die Ukraine einen Schiefergas-Deal mit Chevron, der es dem US-Energiegiganten erlaubt, die sogenannten Olesky-Vorkommen in der Westukraine zu erschließen, die nach Schätzungen bis zu 2,98 Billionen Kubikmeter Gas enthalten. Ähnliche Arrangements gab es zuvor bereits mit Shell und ExxonMobil. Sie fielen zeitlich mit ukrainischen Bemühungen zusammen, engere Bindungen an die Europäische Union zu zementieren.
Gazprom-Monopol brechen
Doch Wiktor Janukowytschs Entschluss, das Assoziierungsabkommen auszusetzen und stattdessen plötzlich ein Angebot von Präsident Putin anzunehmen, das eine um 30 Prozent reduzierte Gasrechnung und Kredite von 15 Milliarden Dollar enthielt, führte schließlich zum Aufruhr des Maidan. Gewiss wurde der nicht nur durch Janukowytschs Veto gegen den EU-Vertrag ausgelöst. Auch die in die Höhe schießenden Kosten für Energie und Lebensmittel, die mit der ukrainischen Wirtschaftsmisere zusammenhingen, waren ein Faktor, die brutalen Aktionen der Polizei gegen anfangs friedliche Demonstranten ebenso.
Russlands imperiales Verhalten stellt für die jetzige Situation sicher den zentralen Faktor dar. Doch Bemühungen der USA, im Sinne eigener geopolitischer und strategischer Interessen die russische Einflusssphäre in der Ukraine mit anderen Mitteln zu verkleinern, werfen ebenfalls unangenehme Fragen auf. Große US-Energiekonzerne wie Chevron und Exxon versuchen immer ungestümer, das regionale Marktmonopol von Gazprom zu erschüttern. Und wer sich fragt, ob uns auch deshalb ein neuer Kalter Krieg bevorsteht, sollte vielleicht darüber nachdenken, ob der einstige Kalte Krieg wirklich je vorbei war.
Nafeez Ahmed ist Geschäftsführer des Institute for Policy Research and Development in London
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