Es ist gut zwei Monate her, dass der Europäische Gerichtshof urteilte, es gebe im Internet so etwas wie ein Recht auf Vergessen. Als Google daraufhin Betroffenen in einem Online-Beschwerdeformular die Kennzeichnung von „irrelevanten, überholten oder anderweitig unangemessenen“ Links erlaubte, gingen beim Unternehmen allein in den ersten sechs Tagen angeblich 40.000 Anträge ein. Noch ist aber nur wenig über die Verfahren im Umgang mit den Anträgen bekannt. Damit zur Wahrung der Interessen von Betroffenen keine mächtigen, aber stumpfen Werkzeuge eingesetzt werden, die womöglich sogar eher das Interesse an Desinformation bedienen, braucht es kreative Lösungen. Hier fünf Vorschläge:
1. Transparenz Momentan verfügt Googles Beschwerdeformular über ein Eingabefeld, das 1.000 Zeichen fasst. Es könnte nützlicher sein, wenn Einträge danach strukturiert würden, auf welche Art die Informationen behandelt werden können, und wenn das Formular über eine Hierarchie verfügte, die auf der Schwere des Eingriffs in den Datenschutz basiert. Außerdem könnte Google mit Datenschutzbehörden, anderen Datenschützern, Wissenschaftlern und Fachleuten kooperieren sowie frühere Fälle, Richtlinien und Erfahrungen zusammentragen, um die Konturen individueller Interessen zu erfassen und mit der wachsenden Menge neuer Anfragen zu verbinden.
2. Kompatibilität Für die Infosphäre und die Erfahrungen des Einzelnen sollten Googles Lösungen mit denen anderer Suchmaschinen und Informationsaggregatoren (von Bing und Yahoo bis Twitter und Facebook) kompatibel sein – und regional unbeschränkt. (Noch kann jeder auf „vergessene“ Informationen zugreifen, indem er einfach eine Suchmaschine außerhalb der EU benutzt.)
3. Diskretion Nutzer sollten – idealerweise über ein einfaches Online-Tool – ohne Weiteres einschätzen können, ob persönliche Informationen, die sie einem für die Daten Verantwortlichen mitteilen, automatisiert bearbeitet werden – oder diskret durch ein menschliches Gegenüber.
4. Anonymität Noch ist unklar, ob Google ausgewählte Löschanträge veröffentlichen wird (so wie derzeit etwa bei Copyright-Verstößen). Aus rechtlichen und ethischen Gründen sollten Löschanträge jedoch nicht identifizierbar öffentlich gemacht werden oder auf Seiten wie hiddenfromgoogle.com erscheinen. Und neben dem begrenzteren Recht auf Entfernung sollte ein allgemein zugängliches Recht zur Stellungnahme erwogen werden – zum Beispiel durch Verlinkungen, die klarstellen oder kontextualisieren.
5. Entkoppelung Obwohl ein begrenztes Recht zur Stellungnahme gerechtfertigt sein könnte, sieht der Richterspruch auch das Entfernen von Informationen vor. Hier besteht ein wichtiger Unterschied zwischen dem (vom EuGH bekräftigten) Recht, einen Link aus einer Liste von Suchergebnissen entfernen zu lassen, und dem Recht, eine Information (gemäß den bestehenden Datenschutzgesetzen) an der Quelle entfernen zu lassen. Beide Lösungen haben – auch je nach Anwendung und Plattform – ihre Stärken und Schwächen. Hier gilt es, die Frage der Verfügbarkeit von Informationen (etwa als gedruckter Zeitungstext in einem Archiv) von deren Zugänglichkeit (überall und jederzeit, zum Beispiel per Suchmaschine) zu entkoppeln.
Fazit Heute erscheinen Episoden unseres Lebens in der Infosphäre als Spuren aus Quellen jenseits unserer Kontrolle. Diese Spuren werden immer größer und bewegen sich in Richtung einer vollständigen Spiegelung und Inspektion unseres Lebens. Daher ist es wichtig, dass wir sorgsam überlegen, wie sich damit proaktiv und vor allem sicher umgehen lässt. Schließlich gestalten wir jetzt und hier die Umgebung, in der kommende Generationen ihr Leben verbringen werden.
Julia Powles forscht unter anderem zu Recht und Technologie an der Universität Cambridge. Luciano Floridi ist Professor für Philosophie und Informationsethik an der Universität Oxford und sitzt als unabhängiges Mitglied in Googles Beirat zum erwähnten Richterspruch
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