Unfähig, Teil dieser Welt zu sein

Cartoon Warum ist die Netflix-Serie „BoJack Horseman“ so beliebt? Weil wir uns am ehesten von einem sprechenden Pferd erzählen lassen, wie bescheiden unser Leben wirklich läuft

BoJack Horseman, die Serie, die letzte Woche zu Ende ging, ist ein Netflix-Cartoon über sprechende Tiere. So weit, so gut. Aber wie kam ausgerechnet dieses Format im Laufe von sechs Staffeln dazu, so viel Liebe einzuheimsen und so viele Debatten zu inspirieren? Eine der Antworten auf diese Frage liegt in der Art und Weise, wie sich das Drehbuch um das dreht, was sich heutzutage „tiefgründig“ schimpfen darf. Unser Leben, das wir online ausleben und in dem wir jederzeit mehr als eng vernetzt sind, hat uns zwar einerseits auf die Bedeutung des Alltäglichen aufmerksam gemacht, andererseits aber eben auch von Dingen entfernt, die uns vielleicht auf den ersten Blick als zu dumm oder zu ernsthaft erscheinen. Wir benutzen unseren Besuch beim Psychotherapeuten dazu, Twitter-Witze über das zu machen, was uns als Menschen abgeht. Wir peppen unseren Alltagssprech mit Worten wie „dissoziieren“ oder „Trauma“ auf. All diese Selbsterkenntnis ist schmerzhaft – und gleichzeitig lustig. Das ist unser Alltag. Allerdings muss zumindest ich eingestehen, dass ich nie erwartet hätte, dass sich dieser subtile Kulturwandel in Form eines sprechenden Zeichentrick-Pferdes manifestieren würde.

Doch irgendwie gelingt den Autoren genau das. Ein Teil von BoJacks Charme liegt darin, dass die Serie ein straffes Drehbuch hat – voller dynamischer, lustiger und scharfsinniger Dialoge. Aber an der äußersten Grenze der Erfahrungswelt ist Sprache nicht das Mittel der Wahl. Und so ist es Verdienst der visuellen Erzählung und des bedachten Pathos der Serie, dass ausgerechnet eine der besten Episoden ohne jedwedes Skript auskommt. Fish out of Water, eine dialoglose Episode aus Staffel 3, folgt BoJack durch eine Unterwasserwelt. Sie fängt perfekt die Frustrationen ein, die man empfindet, wenn man nicht in der Lage ist, sich in alltäglichen Situationen zurechtzufinden oder mit den Menschen um einen herum angemessen zu kommunizieren. Diese Frustrationen sind ein inhärenter Bestandteil von Depressionen und Sucht. Die Folge ist so traumähnlich, wie der Alltag bei bestimmten psychischen Erkrankungen traumähnlich sein kann: Unfähig, Teil dieser Welt zu sein, schweben wir an einen anderen Ort, irgendwo an der Peripherie.

Was schief gehen kann, wird schief gehen

Auf humorvolle Weise ahmt die Episode auch genau die Frustrationen eines Lebens nach, in dem immer wieder alles schief zu gehen scheint – BoJacks Versuche, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, werden jedesmal aufs Neue vereitelt. Erfolg ist zwar nur knapp außer Reichweite, aber eben doch außer Reichweite. Ohne das Ende verraten zu wollen, dient die gesamte Episode ebenfalls als Einleitung zu einer der lustigsten und schönsten Pointen der ganzen Serie.

Und das ist eben auch deren Geheimnis. Die Serie erlaubt es sich selten, sich so lange mit schmerzlichem Existenzialismus aufzuhalten, dass sie vergisst, das Publikum auch einfach mal zum Lachen zu bringen. Sei es durch unerwartete Wendungen, durch Tierwortspiele oder durch den mitunter flachen, aber wirksamen Slapstick-Humor – wenn man z.B. einen Hammerhai beim Versuch beobachten darf, einen Nagel mit seinem Kopf einzuschlagen.

Eingebetteter Medieninhalt

Die Form des Zeichentricks eignet sich für diese Art von Komödie ausgezeichnet. Und es ist auch diese Form der Darstellung, die ebenfalls dazu führt, dass man die ernsten Momente nicht kommen sieht – und sie einen dementsprechend verheerend umhauen. „Ich fühle mich, als wäre ich mit einer undichten Stelle geboren worden“, sagt BoJack. „Und alles Gute, mit dem ich auf die Welt kam, ist langsam aus mir herausgeflossen, und jetzt ist alles weg. Und ich werde es nie wieder in mich hineinbekommen. Es ist zu spät. Das Leben ist eine Reihe von zufallenden Türen, nicht wahr?“ Er sagt, er wisse nicht, wie die Menschen jeden Tag aufstehen und leben, und doch tut er in jeder Folge genau das. Er macht Witze, hat Sex, verhält sich so, wie es von ihm erwartet wird – und wird anschließend dafür bestraft. Das ist das Schöne an der Serie, sie ist wie das Leben: eine Reihe von Episoden mit variierendem Ausgang.

Eine Reihe von Episoden mit variierendem Ausgang

Bleibt die Frage, wie diese Serie eine so obsessive, beinahe kultische Anhängerschaft gewinnen konnte. Finden wir Trost in der Selbstbesessenheit von BoJack, weil sie unsere eigene ein wenig entschuldigt? Sind wir süchtig nach dem karikaturistischen Streben nach Tiefgang? Vielleicht! Möglicherweise sogar! Geht es in der Kunst nicht genau darum? Wenn ich eine Pilgerreise antrete, um in einem Raum voller Gemälde von Rothko zu stehen und etwas zu spüren, dann tue ich das mit der absoluten Selbstverständlichkeit, die wir intellektuellen Bestrebungen beimessen. Wenn ich aber den Missgeschicken eines Zeichentrick-Pferdes beiwohne und plötzlich mit mir selbst konfrontiert werde, erwischt es mich kalt – und bewegt mich dementsprechend intensiver.

Ich kenne BoJack. Ich weiß, wo er herkommt, wer ihn aufgezogen hat, was er getan hat, welche Gedanken ihn plagen. Es ist alles monumental beschissen. Und doch gibt es keinen anderen Weg, den sein Leben hätte einschlagen können, denn er selbst versteht sich als Mensch (oder besser gesagt: als Pferde-Mensch) ohne Qualitäten. Er erwartet weniger als nichts von sich selbst, und wenn ihm gute Dinge passieren, wartet er nur darauf, dass darauf Scheiße folgt. Er ist sich sicher, dass er es versauen wird, und er benutzt seine beschissene Vergangenheit, um seine beschissene Zukunft zu rechtfertigen. Und genau durch diese Höhen und Tiefen, durch die ich mit BoJack gegangen bin, konnte ich ebenfalls etwas über mich selbst lernen.

Eli Goldstone ist die Autorin von Strange Heart Beating

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Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Jan Jasper Kosok
Geschrieben von

Eli Goldstone | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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