Unfair Trade

Billigmode In Bangladesch starben vor kurzem 100 Arbeiter bei einem Brand in einer Textilfabrik – keine Seltenheit in dem Land mit den weltweit niedrigsten Löhnen

Wenn man den Einzelhandel fragt, wie er es schafft, die Preise für Textilien immer weiter zu drücken, bekommt man für gewöhnlich Geschichten von logistischen Meisterleistungen zu hören, von Verhandlungsgeschick der Unternehmen und dass hier kein Geld auf Werbung und Blumen verschwendet werde. Diese Strategie soll es angeblich ermöglichen, dass Jackets, Jeans und Strickjacken gerade einmal soviel kosten wie ein belegtes Brötchen und eine Tasse Kaffee.

Das einzige, von dem man nichts zu hören bekommt, ist die Arbeitskraft, derer es bedarf, um jahrein, jahraus eine immer gigantischere Menge an Anziehsachen zu produzieren. Allein in Bangladesch näht eine namenlose Armee von schätzungsweise 40 Millionen Menschen jedes Jahr 1,5 Millionen Paar Jeans. Sie ist der Motor des Cut Make Trim (CMT) – der Phase des Produktionsprozesses, in der die Kleidungsstücke geschnitten und zusammengenäht werden. Sie schuftet in ungefähr 250.000 Textilfabriken, vorwiegend in den industriell am wenigsten entwickelten Ländern des Erdballs.

Das Leben in dieser CMT-Armee ist düster, vor allem in Bangladesch. Ein Bericht des International Trade Union Confederation aus dem vergangenen Jahr bezeichnete die bangalischen Arbeiter als die „am schlechtesten bezahlten der Welt“. Am 12. Dezember brachen in Textilfabriken in Chittagong und Ashulia im Norden der Hauptstadt Dhaka Unruhen aus. „RMG Arbeiter rasten aus“ kommentierte die bangalische Tageszeitung Daily Star die Bilder umgestürzter Nähmaschinen und Arbeitstische. Proteste von Textilarbeitern sind nichts ungewöhnliches, aber an besagtem Sonntag wurden sie von dem Rapid Action Battalion (eine hybriden Mischform von Polizei und Armee) niedergeschlagen, wobei vier der Demonstranten erschossen wurden.

Wenn Arbeiter in einer derart prekären Lage ihre einzige Einkommensquelle aufs Spiel setzen und demonstrieren, müssen sie schon sehr verzweifelt sein. Angesichts steigender Lebensmittelpreise und sinkender Löhne warnen Arbeitsrechtsorganisationen schon seit langem vor wachsenden Protesten der Textilarbeiter, die gezwungen sind, ihre Familien von weniger als einem Pfund Sterling pro Tag am Leben zu erhalten, und das bei einer Arbeitszeit von sechs bis sieben Tagen die Woche.

Zahllose Brände in Textilfabriken

Zwei Tage später erinnerte ein Brand in einer That’s It- Sportartikelfabrik in Ashulia daran, dass diese erbärmlich bezahlte Arbeit auch noch äußerst gefährlich ist. Die Fabrik wird von einem der größten Unternehmen für den Export von Kleidungsstücken, Ha-Meen, betrieben, die für den weltweiten Einzelhandel produziert, unter anderem auch für die Modekette Gap. Wie immer – es gibt in Bangladesch so viele Brände in Textilfabriken, dass man beim Zählen nicht mehr mitkommt – war der Unfall absehbar gewesen. Aufgrund der Größe des Vorfalls und seiner zeitlichen Nähe zu den Unruhen erntete dieser ausnahmsweise internationale Aufmerksamkeit (noch immer unbestätigten Angaben zufolge kamen 100 Menschen ums Leben).

Das Problem der Brandgefahr bzw. der Brände in den provisorisch errichteten Textilfabriken ist seit langem bekannt. „Es gibt drei Themen, die erst vor zwei Monaten auf einer Konferenz in Dhaka besprochen wurden“, sagte der Experte für "ethische Mode", Professor Doug Miller von der University of Northumbria. „Zum einen die Sicherheit der elektrischen Anlagen und das Risiko von Kurzschlüssen; zum zweiten der Umstand, dass die Produktionsräume oft im zehnten oder elften Stock des Gebäudes untergebracht sind und schließlich die oft sehr kurzfristige Bestellung großer Mengen an Textilien, die zu extrem hohen Überstunden und einem drakonischen Arbeitsregiment führt, damit die Fristen einhalten werden können. In vielen Fällen werden die Arbeiterinnen einfach eingeschlossen, wobei auch bei den Notausgängen keine Ausnahmen gemacht werden.“

Anna McMullen von der Kampagne Labour behind the Label ist über die jüngste Tragödie nicht überrascht. Die Kontrollen, die von den Großhändlern als Beleg für ihre weiße Weste angeboten werden, seinen praktisch nutzlos. „Die Inspektionen in diesen Fabriken werden oft angekündigt und entsprechend vorbereitet. Mit diesem Ansatz wird man die Einhaltung der Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen nie ernsthaft überprüfen können. Wenn eine Kontrolle angekündigt ist, sind die Notausgänge natürlich immer geöffnet.“

Firmen drücken sich um Entschädigung

Im Gegensatz zu den 100 Menschen, die bei dem Brand ums Leben gekommen sind, ist es für deren Familien, die jetzt ohne Einkommen dastehen, noch nicht zu spät, etwas zu ändern. Es ist zur schlechten Tradition geworden, dass nach einer derartigen Tragödie ein Gap-Sprecher bestätigt, dass die Ha-Meen-Fabrik für sein Unternehmen produziere und seine "tiefe Betroffenheit" zum Ausdruck bringt. Aber nach Ansicht von Javier Chercoles, der früher bei Inditex (zu dem die Modekette Zara gehört) für die soziale Verantwortung des Unternehmens zuständig war, ist es höchste Zeit, dass internationale Unternehmen Verantwortung für derartige Tragödien übernehmen. Denn längst haben diese Strategien entwickelt, wie sie sich verhalten, wenn sie mit Sklavenarbeit oder dem Tod von ArbeiterInnen in Verbindung gebracht werden. So tun sie sich beispielsweise mit einer internationalen Wohltätigkeitsorganisation zusammen, um einen Fonds einzurichten oder eine Projekt für Kinder zu unterstützen. „So etwas macht man, wenn man gerade einmal bereit ist, ein wenig Spielzeug und ein paar Luftballons für die Kinder bereitzustellen“, so Chercoles, „aber das hat nichts mit einem wirklichen Recht auf Entschädigung zu tun.“ Er verwies auf einen Vorfall aus der jüngeren Vergangenheit, bei dem ein internationales Textilunternehmen für die 65 Witwen von Textilarbeitern lediglich 12.000 Pfund Sterling Entschädigung bereitstellte.

Stattdessen hat Chercoles eine versicherungstechnische Methode zur Berechung von Kompensationsleistungen sowie ein praktikables Verfahren entwickelt, wie die Hinterbliebenen in den ärmsten Regionen der Welt an das Geld kommen können. „Ich habe dieses Verfahren nach zwei Arbeitsunfällen in Bangladesch angewendet und alle Anspruchsberechtigten waren damit einverstanden“, sagte er. Von den internationalen Käufern jedoch ist nichts zu hören. „Jetzt ist es Zeit für sie, sich zu beteiligen und sich für ordentliche Entschädigungsrechte einzusetzen, jetzt, wo wir wieder 100 tote Arbeiter auf dem Gewissen haben.“

Es ist in der Tat höchste Zeit. Im kommenden Jahr jährt sich die Katastrophe in der Triangle Shirtwaist Factory in New York zum hundertsten Mal, bei der 146 junge Textilarbeiterinnen getötet wurden. Das Unglück stellt einen der schlimmsten Industrieunfälle der Stadt dar. Den Opfern wird in einem Museum und vielen Büchern gedacht. In Bangladesch aber gibt es so viele Brände, dass sie kaum noch wahrgenommen werden.

Die großen Mode-Ketten können mit Hinweis auf das freight on board-Prinzip jegliche Verantwortung von sich weisen: sie bezahlen einen Fixpreis, der alles beinhaltet: Fertigung des Stoffes, Zuschnitt, Verpackung und Versand. (Bis die Ware beim Käufer ist, trägt der Verkäufer die Verantwortung für etwaige Schäden oder Ausfälle ...) Nur äußerst selten werden die Arbeitskosten als separater Posten angeführt. Internationale Käufer handeln mit den Fabriken äußerst aggressiv um diesen fob-Preis und den Fabrikbesitzern bleibt als einzige wirkliche Variable oft genug nur der Lohn der Textilarbeiter. Daher werden sie wohl kaum Geld in ordentliche Fabriken mit funktionierenden Notausgängen und Sprenkelanlagen stecken, solange diese Unterlassung sie keine Aufträge kostet.



Der digitale Freitag

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Übersetzung der gekürzten Fassung: Holger Hutt
Geschrieben von

Lucy Siegle | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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