Ungerührt blank gezogen

Staatsterror Beim Verhör von David Miranda auf dem Flughafen Heathrow wurden Anti-Terror-Gesetze für einen Fall missbraucht, bei dem es gar keinen Terrorismusverdacht gab
David Miranda und Glenn Greenwald
David Miranda und Glenn Greenwald

Foto: Janine Gibson / The Guardian

Am 19. August gegen 6.30 Uhr am Morgen erhielt ich einen Anruf von jemandem, der sich als Sicherheitsbeamter auf dem Flughafen Heathrow ausgab. Der Anrufer teilte mir mit, mein Lebensgefährte David Miranda werde in Anwendung „von Paragraph 7 des Terrorism Act von 2000“ am Londoner Flughafen „festgehalten“.

David hatte die vergangene Woche in Berlin verbracht. Er war mit der US-Filmemacherin Laura Poitras dort, mit der ich an den NSA-Berichten gearbeitet habe. David ist brasilianischer Staatsbürger und wollte an diesem Tag mit British Airways über London nach Rio zurückkehren, doch wurde er nach seiner Zwischenlandung in der britischen Hauptstadt festgehalten.

Als mich der „Sicherheitsbeamte“ anrief, befand sich David bereits seit drei Stunden in Gewahrsam. Der Beamte sage mir, sie hätten das Recht, ihn zu Befragungszwecken bis zu neun Stunden festzuhalten. Danach könnten sie ihn entweder festnehmen und anklagen oder bei einem Gericht um mehr Verhörzeit ersuchen. Der Beamte – der sich weigerte, seinen Namen zu nennen und sich nur mit seiner Telefonnummer, der 203654, identifizierte – sagte außerdem, David dürfe keinen Anwalt vor Ort haben. Es sei ihm auch nicht erlaubt, mit mir zu sprechen.

Noch einmal fünf Stunden

Ich kontaktierte sofort den Guardian, der Anwälte zum Flughafens schickte. Gleichzeitig informierte ich einige mir bekannte Vertreter des brasilianischen Staates. Vor Ablauf einer Stunde hatten sich mehrere hochrangige Beamte eingeschaltet und brachten ihre Empörung über den Vorgang zum Ausdruck.

Dennoch vergingen noch einmal fünf Stunden, in denen weder die Anwälte des Guardian und noch nicht einmal der Botschafter Brasiliens in Großbritannien Informationen über David zu erlangen vermochten. Den Großteil dieser Zeit verbrachten wir damit, zu überlegen, welche Anklagepunkte ihm wohl drohen könnten, wenn die Neun-Stunden-Frist verstrichen sei.

Laut einem von der britischen Regierung veröffentlichtem Dokument über den Paragraphen 7 des Terrorism Act werden „weniger als drei von zehntausend Personen beim Übertritt der Grenze des Vereinigten Königreiches überprüft“. David reiste freilich nicht ins Vereinte Königreich ein, sondern befand sich bloß auf der Durchreise. Darüber hinaus, heißt es in dem Dokument, dauerte ein Großteil dieser Überprüfungen – nämlich 97 Prozent – „weniger als eine Stunde“. In einem Anhang ist zudem zu lesen, dass nur 0,06 Prozent aller Betroffenen länger als sechs Stunden festgehalten würden.

Der ausdrückliche Zweck dieses Gesetzes ist, wie sein Name es nahelegt, Personen zum Terrorismus befragen zu können. Die Befugnis, einzelne Personen festzuhalten, diene – so behauptet die britische Regierung – dem Zweck, „festzustellen, ob die Person in die Beauftragung, Vorbereitung oder Anstiftung von terroristischen Akten beteiligt ist oder war.“

Offensichtlich bestand gar kein Verdacht, dass David einer terroristischen Vereinigung nahesteht oder an einem Terrorplan beteiligt war. Stattdessen verbrachten seine Vernehmer die Zeit damit, ihn über die NSA-Berichte auszufragen, an denen Laura, der Guardian und ich arbeiten. Mit anderen Worten, sie haben ihre Anti-Terror-Gesetze für einen Fall missbraucht, bei dem es gar keinen Terrorismusverdacht gab. Ein nachdrückliches Beispiel dafür, wie häufig Regierungen lügen, wenn sie Gesetze anwenden, mit denen angeblich Terrorismus bekämpft werden soll.

Und als ob das noch nicht genügen würde, hielten sie David bis zur letzten Minute fest: neun Stunden lang, was – wie erwähnt – sehr selten vorkommt. Nach neun Stunden wurde er dann endlich freigelassen.

Mit jeder Stunde, die David länger festgehalten wurde, fürchteten wir mehr, dass er angeklagt werden könnte. Die Festnahme war insofern ein Warnung an alle, die sich journalistisch mit dem Thema NSA oder ihrem britischen Ebenbild, dem GCHQ, beschäftigten.

Bevor man David endlich gehen ließ, durchsuchten die Ermittler seine Taschen und beschlagnahmten seinen Laptop, sein Handy, USB-Sticks und sämtliche DVDs. Wann und ob er die Sachen wiederbekommt, wurde ihm nicht gesagt.

Weniger Skrupel als die Mafia

Es ist ein neuer Höhepunkt der staatlichen Übergriffe gegen die Presse. Erst wurden die journalistischen Quellen verfolgt und weggesperrt, dann traf es die Journalisten selbst, die zu diesem Thema recherchierten. Freunde und Verwandte zu inhaftieren, ist nichts als staatliche Willkür. Selbst bei der Mafia wurde die Familie des Feindes nicht angetastet. Doch Amerikaner und ihre britischen Marionetten beweisen bei diesem Thema weniger Skrupel.

Es ist ein fataler Irrtum, wenn die britische und amerikanische Regierung glauben, solche Drohungen könnten uns davon abhalten, weiterhin zu berichten, was diese geheime Dokumente offenbaren. Die einzige Reaktion auf derartige staatliche Willkür kann nur die verstärkte Arbeit an unseren Recherchen sein. Langsam aber sicher kommt das wahre Gesicht der Regierungen in London und Washington zum Vorschein, wenn die bolivianische Präsidentenmaschine zum Landen gezwungen wird, wenn Journalisten mit Verfolgung bedroht werden oder sogar deren Freunde stundenlang festgehalten werden. Es unterstreicht, warum es so gefährlich ist, die Rechte der Bürger im Namen der Sicherheit weiter einzuschränken. Der Umgang mit David Miranda zeigt, warum es so gefährlich ist, Regierungen die Möglichkeit zu geben, unkontrolliert zu bespitzeln.

Nachdem David freigelassen wurde, konnte er mich nicht anrufen, da sowohl sein Handy als auch sein Laptop von den Sicherheitsbehörden beschlagnahmt waren. Nur der Anwalt des Guardian schaffte es, nach der Freilassung mit David zu sprechen. Er beruhigte mich und sagte, David wirke gestresst von der Tortur, es ginge ihm jedoch soweit gut. Er bat den Anwalt, mir diesen Trotz zu übermitteln. Ich teile ihn, wie britische als auch amerikanische Behörden bald merken dürften.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman, Benjamin Zimmermann
Geschrieben von

Glenn Greenwald | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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